Regelmäßig tauchen in den Tageszeitungen Meldungen zu Bürgern auf, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie boykottieren Entscheidungen von Verwaltungen und behindern Polizisten bei der Arbeit. Sie ziehen Grenzen um ihre Häuser und erklären damit ihr Grundstück zum eigenen, separaten Staatsgebiet. Sie haben eigene Pässe, eigene Währungen und eigene "Staatsordnungen". Die Rede ist von sogenannten "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern".

Ebenso sprechen sie den demokratisch gewählten Vertretern wie dem Bundeskanzler oder auch örtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeisten die Legitimation als Volksvertreter ab. Einige dieser Gruppierungen und Einzelpersonen gehen sogar davon aus, dass unsere Rechtsordnung für sie nicht gelte. Ihre Motive können dabei sehr unterschiedlich sein.

Ausschnitt eines blauen Reisepassdokuments der Reichsbürger Ausschnitt eines blauen Reisepassdokuments der Reichsbürger (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster) Quelle: BPol

"Reichsbürger" - ein heterogenes Phänomen

Die Szene ist sowohl organisatorisch, als auch ideologisch äußerst heterogen. Die Sicherheitsbehörden gehen bislang nicht davon aus, dass eine einheitliche Bewegung existiert. Häufig konkurrieren die verschiedenen Szenen sogar untereinander. Allein vier verschiedene Gruppierungen der "Reichsbürger"-Szene repräsentieren ihrem Selbstverständnis nach einen "Freistaat Preußen". Andere versuchen zum Beispiel "preußische" Gemeinden zu "reorganisieren", um sie unter "Selbstverwaltung" zu stellen.

Teilweise berufen sich die Anhänger der Szene auf das historische Deutsche Reich und folgen verschwörungstheoretischen Argumentationsmustern. Dabei treten sie für die Verwirklichung ihrer Ziele sehr aktiv ein. Gleichwohl ist die Bewegung zersplittert, vielschichtig und unübersichtlich. Viele lehnen daher für sich eine Bezeichnung als "Reichsbürger" oder "Selbstverwalter" ab. Entgegen weit verbreiteter Annahmen ist nur ein geringer Teil der Szene dem Rechtsextremismus zuzuordnen.

  • Deutschlandweite Erhebungen des BKA und des BfV (Stand: 31. Dezember 2022)

  • 23.000Personen gehören zur Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" (2021: 21.000 Personen)

  • 1.250Personen davon sind der rechtsextremen Szene zuzurechnen (2021: 1.150 Personen)

  • 2.300Personen davon gelten als gewaltorientiert (2021: 2.100 Personen)

  • rund 400Personen davon besitzen legal Waffen*

  • 1.100Personen wurden waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen (seit 2016)

Ideologische Komponenten und typisches Verhalten

Insgesamt berufen sich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" auf verschiedenste geographische, völkerrechtliche und politische Situationen der deutschen Geschichte. Um ihren jeweiligen Standpunkt zu untermauern, zitieren sie Gesetze, Verträge, Rechtsprechungen und Redebeiträge. Dabei verdrehen sie die Tatsachen, stellen schlicht falsche Behauptungen auf und stützen sich auf pseudojuristische/-historische Argumente. Zitate werden unzulässig verkürzt oder auch frei erfunden. Mitunter stützen sie sich auf offensichtliche Fälschungen für ihre "Argumente".

Darüber hinaus weigern sich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" meist Steuern und Gebühren zu entrichten oder Rechtsanordnungen Folge zu leisten. Gegenüber der Polizei, Gerichtsvollziehern und anderen Amtsträgern treten sie häufig sehr aggressiv auf. Mitunter wenden sie sogar Gewalt an. Diese Haltung ergibt sich aus den verschiedenen ideologischen Versatzstücken. Dabei behaupten insbesondere die "Selbstverwalter" gerne eine bestehende Notwehrlage, wenn behördliche Maßnahmen gegen sie auf den von ihnen beanspruchten Territorien durchgeführt werden.

Im Ergebnis bildet jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates und der Rechtsordnung die gemeinsame ideologische Grundlage der unterschiedlichsten Splittergruppen und Einzelpersonen ohne organisatorische Einbindung.

Coronaproteste

Der leichte Anstieg des Personenpotenzials in den letzten beiden Jahren hat mit den Aktivitäten rund um die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu tun. Viele Elemente der Ideologie, die in der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"-Szene verbreitet sind, sind an diese Proteste anschlussfähig. Das hat zu einer gewissen Dynamik in der Szene geführt hat. Ein Beispiel für eine Ideologie ist die antisemitische Verschwörungserzählung der "Neuen Weltordnung" bzw. "New World Order".

Eine Gefahr für unsere Rechtsordnung

Da "Reichsbürger" die Existenz unseres Staates und seines Rechtssystems ablehnen, ist die Gefahr, dass Angehörige dieser Szene gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen, sehr hoch. Wie fatal die Folgen dieser Ideologie sein können, zeigte sich am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd / Bayern. Dort tötete ein 50-jähriger Szeneangehöriger einen Polizeibeamten und verletzte drei weitere Angehörige eines Spezialeinsatzkommandos, die Schusswaffen bei ihm sicherstellen wollten.

Das Bundesinnenministerium nimmt die Bedrohung durch diese Personen sehr ernst, denn das Potenzial zur Gewaltbereitschaft ist sehr hoch. Die Sicherheitsbehörden beobachten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" seit November 2016 intensiver als zuvor. Seitdem kommt es verstärkt zu Exekutivmaßnahmen wegen legalen oder illegalen Waffenbesitzes, gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Urkundenfälschung oder Betrugs. Bei dem größten Teil der begangenen Straftaten handelt es sich um Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt (besser: Vollstreckungsmaßnahmen).

Stand: 12.12.2022