Jahresempfanges des Bundes der Vertriebenen (BdV)

Typ: Rede , Datum: 08.04.2025

Grußwort von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Katholische Akademie in Berlin

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Ulrike Scharf,
sehr geehrter Herr Erzbischof Dr. Nikola Eterović,
sehr geehrte Damen und Herren Bundestagsabgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete,
sehr geehrte Frau Bundesbeauftragte Natalie Pawlik,
sehr geehrter Herr Bernhard Gaida, 
sehr geehrte Damen und Herren, 

es ist mir auch in diesem Jahr wieder eine besondere Ehre, ein Grußwort anlässlich Ihres Jahresempfangs sprechen zu dürfen. Zu dieser traditionsreichen Veranstaltung überbringe ich herzliche Grüße der Bundesregierung. 

2025 ist ein besonderes Jahr – in wenigen Wochen wird eine neue Bundesregierung unter neuer Führung ihre Arbeit aufnehmen. Auch stehen in wenigen Wochen für uns und unser Land wichtige Jahrestage an: 

Am 8. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges – der Tag der Befreiung – zum 80. Mal. Und zusätzlich können wir in diesem Jahr gemeinsam das 75. Jubiläum der Charta der deutschen Heimatvertriebenen begehen. Diese beiden Jahrestage erinnern uns nicht nur an die Vergangenheit, sondern sind auch ein guter Anlass, um die aktuellen Herausforderungen und Chancen in den Blick zu nehmen.

Denn mit einem weltweit erstarkenden Nationalismus, mit beunruhigenden Entwicklungen jenseits des Atlantiks und nicht zuletzt mit einem Krieg auf dem europäischen Kontinent, gibt es wahrlich viel zu tun. 

Die Fragen aus der Nachkriegszeit – wie schaffen wir ein geeintes Europa? Was braucht dauerhafter Frieden? Wie können wir trotz der Verwerfungen wieder zueinander finden? – all diese Fragen stellen sich auch heute wieder. 

Eine bemerkenswerte Antwort gab im August 1950 die Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Im Kern geht es ihr darum, trotz der eigenen Verletzungen, dem Leid und der Verunglimpfungen auf Rache und Vergeltung zu verzichten – für ein vereintes Europa, für ein versöhntes Deutschland. 

Die Charta ist damit ein leuchtendes Beispiel der Menschlichkeit. Ich gratuliere deshalb schon heute ganz herzlich zum 75. Jubiläum dieses bedeutenden Dokuments!

Wie aktuell sie noch immer ist, zeigt sich auch in Ihrem Handeln, in Ihrem Engagement, meine Damen und Herren. Dabei wird zukünftig gerade und insbesondere der Jugendarbeit eine noch größere Bedeutung zukommen. Denn mit ihr werden Grundsteine gelegt, auch zum Schutz unserer Demokratie. Jugendarbeit ist beispielweise ein wichtiges Element im Kampf gegen Desinformation. 

Ich freue mich deshalb sehr, dass zum Beispiel die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland eine solch aktive Jugendarbeit betreibt. Mit internationalen Projekten wie „Erinnerungsnaht“, das einen virtuellen Erinnerungsort an die deportierten Russlanddeutschen schafft und jungen Menschen die Möglichkeit gibt, sich mit ihrer Familiengeschichte – im Kontext der Geschichte der Russlanddeutschen – auseinanderzusetzen.

Zugrunde liegt auch dieser wichtigen Arbeit die Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Als sie verkündet wurde, steckte die Bundesrepublik noch in den Kinderschuhen. 

Europa war gezeichnet von den Menschheitsverbrechen des NS-Regimes, vom Grauen des Zweiten Weltkriegs und war noch vollends mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Doch mit dem Ende des Krieges war das Leid nicht vorbei: für viele Menschen folgten Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung. 

Und, meine Damen und Herren, solche Erfahrungen traumatisieren Menschen und ganze Familien – und zwar über Generationen hinweg, wie wir heute wissen. Sich vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen aufzumachen und Völkerverständigung und Aussöhnung in den Mittelpunkt des eigenen Tuns zu stellen, verdient allerhöchsten Respekt. 

Nichts weniger war das Ansinnen der Charta der deutschen Heimatvertriebenen. 

Ihnen allen hier gilt mein tief empfundener Dank dafür, dass Sie die Grundsätze der Charta bis heute mit Leben füllen. 

Ihr heutiges Engagement steht in dieser Tradition. Mit der „Nothilfe für Deutsche aus der Ukraine“ hat der BdV erstmals einen Spendenaufruf gestartet. Rund 51.000 Euro kamen zusammen und konnten in wichtige Projekte investiert werden: in Seelsorge, in Hilfstransporte, in Jugendeinrichtungen. Um damit den flüchtenden Menschen beiseite zu stehen.

Sie unterstützen auch bei Integrationsmaßnahmen. Beispielsweise indem Sie als Teil der Migrationsberatung für zugewanderte Erwachsene in zehn Bundesländern Beratung anbieten.

Ihre Erfahrungen sind dabei von besonderem Wert. Und deshalb ist es unsere Pflicht, Ihre Geschichten zu bewahren und weiterzugeben, damit die Erinnerung an das Unrecht, das den Vertriebenen widerfahren ist, nicht vergessen wird. Und damit es sich niemals wiederholt. 

Im November vergangenen Jahres kamen wir im Bundesinnenministerium zusammen, um das ehrenamtliche Engagement deutscher Spätaussiedler zu würdigen und aktuelle Herausforderungen zu diskutieren. Die Beauftragte Natalie Pawlik hatte dazu eingeladen und es war ein wirklich bewegender Austausch. 

Besonders sind mir hier die Beispiele aus der Praxis in Erinnerung geblieben. Eine Vertreterin der Banater Schwaben, Frau Kielburg, hat zum Beispiel berichtet, wie ihre Jugendtanzgruppe im Austausch mit Partnergruppen in Rumänien steht. Dass sie zudem Zeltlager durchführen, an denen auch Jugendliche aus Deutschland teilnehmen, deren Familien keinen Aussiedlerhintergrund haben. Es sind solche Formate, die uns gemeinsam voranbringen, die Aussöhnung schaffen und uns über Ländergrenzen verbinden.

Denn auch heute wird uns schmerzhaft in Erinnerung gerufen: 

Frieden ist nicht selbstverständlich. Wir müssen ihn fördern und pflegen – und wir müssen ihn entschlossen verteidigen. Gerade wenn wir heute sehen, wie um uns herum und in der ganzen Welt Konflikte zunehmen, wie Nationalismus und völkisches Denken erstarkt – gerade dann müssen wir die Werte des Friedens, der Freiheit und der Menschenwürde hochhalten.

Die europäische Idee ist auch hier der richtige Ansatzpunkt. Als starke Wertegemeinschaft zeigen wir immer wieder aufs Neue, welch große Bedeutung demokratische Strukturen haben, was Humanität wirklich bedeutet. 

Und dabei können wir uns an dem Beispiel orientieren, das uns die deutschen Heimatvertriebenen gegeben haben: Ihr Engagement hat geholfen, ein gemeinsames Europa zu schaffen. 

Trotz der großen Schwierigkeiten, mit denen Heimatvertriebene zu Beginn der Bundesrepublik konfrontiert waren, 

haben sie einen essentiellen Anteil daran, dass die Geschichte der Bundesrepublik eine Erfolgsgeschichte werden konnte. Ihre Erfahrungen können auch heute noch Brücken bauen, ihre Geschichte kann Verständnis fördern. Sie bieten wertvolle Perspektiven auf Fragen von Migration und Integration – Themen, die uns auch heute sehr beschäftigten.Der Bund der Vertriebenen ist dafür ein wichtiger Partner. Er steht wie keine zweite Organisation für das Erinnern, Bewahren und Gestalten. Es sind die Fundamente Ihres Engagements und Ihrer Arbeit seit mehr als 67 Jahren. 

80 Jahre nach Ende der NS-Diktatur, die so viel Leid gebracht hat, ist Ihre Arbeit wichtiger denn je. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht in Vergessenheit gerät, was Krieg und was Verantwortung für unser Land ganz konkret bedeuten. Lassen Sie uns dies weiterhin unser gemeinsamer Auftrag sein.

Vielen Dank.