Impuls im Anschluss an den Gottesdienst zum Buß- und Bettag: "Herausforderungen für die Wehrhafte Demokratie“

Typ: Rede , Datum: 20.11.2024

Rede von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Dekan Guth,
sehr geehrter Herr Pfarrer Wiegand
sehr geehrte Frau Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Pawlik,
liebe Natalie,
(sehr geehrte Bundestagsabgeordnete),
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Vielen Dank für die Gelegenheit zu Ihnen zu sprechen, an diesem – für mich als Ministerin – ganz besonderen Ort, an diesem besonderen Tag. Einem Tag, der für Besinnung steht, für innere Einkehr, einem Tag des Nachdenkens. Ich will ihn nutzen, um gemeinsam mit Ihnen über den Zustand unserer Demokratie nachzudenken: über die Herausforderungen, denen sie gegenübersteht, über ihre Wehrhaftigkeit.

Beginnen will ich bei einem Begriff, der uns als Christen immer wieder begegnet: der Ewigkeit. Er beschäftigt uns auch – ganz weltlich – in Recht und Politik. Etwa in Form der so genannten „Ewigkeitsklausel“ des Grundgesetzes.

Diese Klausel soll dafür sorgen, dass die Grundlagen unseres demokratischen freiheitlichen Gemeinwesens fortbestehen – unabhängig davon, ob sich politische Mehrheiten ändern: Die Verpflichtung unseres Staates auf die Menschenwürde, der Föderalismus, die Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat.

Und obwohl unsere Verfassung diese Klausel kennt, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Jahr 2017 auf etwas sehr Grundlegendes hingewiesen. Nämlich darauf, – ich zitiere – "dass die Demokratie weder selbstverständlich noch mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist.“ Der Bundespräsident hat diesen Satz gesagt im Gedenken an die Gründung der Weimarer Republik im November 2018. Sein Hinweis ist ungebrochen aktuell: Jetzt, 2024, dem Jahr, in dem wir das 75. Jubiläum unseres Grundgesetzes gefeiert haben. Denn gerade Weimar hat uns gelehrt: Republiken können scheitern – auch an sich selbst. Und wir sehen, dass die liberale Demokratie keinen leichten Stand hat – Beispiele dafür finden sich in aller Welt, sogar in Nachbarländern.

Wir alle müssen uns deshalb Gedanken darüber machen, wie wir unsere parlamentarische Demokratie stärken. Damit wir sie für die nächsten Generationen bewahren – allen Schwierigkeiten zum Trotz. Der Buß- und Bettag bietet dafür eine gute Gelegenheit. Denn seine Wurzeln liegen in Zeiten der Not, in Kriegen und Katastrophen, in der Auseinandersetzung mit existenziellen Bedrohungen.

Vor solchen Herausforderungen steht auch unsere Demokratie heute. Und wir müssen uns fragen: Wie können wir sie schützen in diesen schwierigen Zeiten? Wie machen wir sie lebendiger und widerstandsfähiger? Angesichts des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen Zeitenwende. Angesicht des Klimawandels. Oder angesichts der Notwendigkeit, mit dem rasenden Tempo der Digitalisierung Schritt zu halten, unsere Wirtschaft zukunftssicher umzubauen und den demografischen Wandel zu gestalten.

Der Veränderungsdruck, unter dem wir stehen, ist enorm. Und das sorgt für Verunsicherung. Auch was die Wahrnehmung unseres demokratischen Systems in der Bevölkerung angeht. Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Komplexität politischer Probleme kaum noch zu durchschauen ist. Es gibt eine weit verbreitete Sehnsucht nach einfachen Antworten. Die repräsentative Demokratie muss wieder ganz grundsätzlich um Vertrauen kämpfen. Wo dieses Vertrauen bröckelt, wittern die Feinde unserer freiheitlichen Gesellschaft ihre Chancen. Die Feinde von Wissenschaft und Vernunft, die Feinde von Diskussion und Kompromiss, die Feinde von gesellschaftlicher Freiheit und Solidarität.

Das beschäftigt mich: Als Christin, als Sozialdemokratin, und nicht zuletzt als Bundesministerin des Innern und für Heimat. Denn Menschenfeinde, Populisten und Extremisten sind auf dem Vormarsch. Auch solche, die für sich in Anspruch nehmen, ihre Taten im Namen ihres Glaubens rechtfertigen zu können.

Die grauenvollen Verbrechen der Hamas beim Überfall auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres haben in aller Brutalität gezeigt, wozu die Anhänger des islamistischen Extremismus fähig sind. Auch unser Land steht im Visier seiner Anhänger und ihrer Unterstützer. Das haben die Anschläge in Mannheim und Solingen nochmals unmissverständlich deutlich gemacht. Wir haben schnell und konsequent auf diese Attacken reagiert: Mit einem umfassenden Sicherheitspaket, das in Teilen schon seit Ende Oktober in Kraft ist.

Es beinhaltet wegweisende Maßnahmen, um das Waffenrecht zu verschärfen, das Aufenthaltsrecht anzupassen und die Befugnisse unserer Behörden zu erweitern. Dass wir uns besser wappnen, ist dringend nötig. Das haben zuletzt auch die entsetzlichen Angriffe auf israelische Fußballfans in Amsterdam gezeigt. Antisemitismus war auch in Deutschland nie verschwunden. Jetzt gerade manifestiert er sich zunehmend offen, in ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft. Deshalb müssen wir unüberhörbar deutlich machen: Wir dulden das nicht!

Für Menschenfeindlichkeit gibt es keine Rechtfertigung. Und auch das muss klar sein: Antisemiten müssen die volle Härte des Rechtsstaates spüren. Der Bundestag hat in seiner Resolution gegen Antisemitismus klar Stellung bezogen und auch ich sage: Nie wieder ist jetzt! All das unterstreicht: Unsere Demokratie hat die Mittel, sich zur Wehr zu setzen, und wir wissen sie zu nutzen! 

Gewaltbereite Islamisten sind aber längst nicht die einzigen Feinde der Demokratie, derer wir uns erwehren müssen. Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein beobachten wir Radikalisierungsprozesse, auf die wir Antworten brauchen. Gerade angesichts der Erfolge von Parteien an den politischen Rändern. Eine wichtige Maßnahme zum Schutz unserer Demokratie ist, das Bundesverfassungsgericht stärker vor der Einflussnahme verfassungsfeindlicher Kräfte zu schützen. Schließlich ist es eine tragende Säule unseres Rechtsstaats. Und es ist gut, dass es unter den demokratischen Parteien einen breiten Konsens gibt, dieses Thema gemeinsam anzugehen. Das lässt mich hoffen, dass wir diese Änderungen auch unter den neuen Bedingungen verabschieden können.

Am politischen Klima, das den Feinden unserer Demokratie Geländegewinne verschafft, haben auch ausländische Mächte ihren Anteil – insbesondere Russland. Für ihre Desinformation und ihre Propaganda nutzen Putins Anhänger auch Bots und KI-unterstützte Kampagnen. Sie wollen Menschen manipulieren, Diskurse verschieben und Zwietracht schüren. In Teilen unserer Gesellschaft fällt diese Saat auf fruchtbaren Boden – leider. Diese Entwicklung ist brandgefährlich für unsere Demokratie. Für die Werte, die uns verbinden. Für unseren Zusammenhalt als Gesellschaft.

Wir müssen allen Bestrebungen entschlossen entgegentreten, die Menschen in unserem Land gegeneinander aufzuhetzen. Ganz gleich, ob sie von innen oder von außen kommen! Um solchen Manipulationsversuchen entgegenzuwirken, haben wir zusammen mit den Ländern an einem Aktionsplan gegen Desinformation gearbeitet. Ziel ist, die Medien- und Nachrichtenkompetenz der Bürgerinnen und Bürger stärken. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung ist auf diesem Gebiet hochaktiv. Vor allem aber haben wir im Bundesinnenministerium eine Früherkennungseinheit auf den Weg gebracht. Sie soll ausländische Manipulations- und Einflusskampagnen schnell identifizieren. Und uns gerade mit Blick auf die vorgezogene Neuwahl des Bundestags helfen, angemessene Gegenmaßnahmen gegen solche hybriden Bedrohungen zu treffen.

Gerade der Umgang mit Desinformation, und Hass-Propaganda zeigt: Wir sind alle gefordert! Wir müssen unser Zusammenleben in Freiheit und Sicherheit aktiv verteidigen! Im Mai hat die Bundesregierung deshalb eine gemeinsame Strategie aller Ressorts beschlossen – für eine starke Demokratie und gegen Extremismus. Sie fußt auf zwei Säulen:

Erstens: Wir stärken die Demokratie von innen heraus. Mit politischer Bildung und der Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement – und auch, indem wir Demokratie und Vielfalt noch stärker im öffentlichen Dienst verankern.

Zweitens stellen wir uns aktiv allem entgegen, was die Demokratie bedroht.

Ganz gleich, ob die Gefahr von Links- oder Rechtsextremisten kommt – oder von gewaltbereiten Islamisten. Wir bekämpfen alle Feinde der offenen Gesellschaft entschieden: Einerseits mit allen repressiven Maßnahmen unserer Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, und auf der anderen Seite mit politscher Bildung, Demokratie-förderung und Extremismusprävention.

Was Repression angeht, nutzen wir die ganze Bandbreite unserer Möglichkeiten. Im Februar dieses Jahres habe ich ein 13-Punkte-Paket auf den Weg gebracht, um insbesondere gegen den Rechtsextremismus vorzugehen – um seine Netzwerke zu zerschlagen, seine Finanzquellen auszutrocknen und seinen Anhängern die Waffen zu entziehen. Im Kampf gegen Extremisten nutzen wir außerdem konsequent das Mittel von Vereins- und Betätigungsverboten: So habe ich im vergangenen Jahr entsprechende Schritte gegenüber den rechtsextremen Hammerskins ergriffen. Ebenso gegen die rassistische und antisemitische Sekte der „Artgemeinschaft“.

Gleiches gilt für den Phänomenbereich des Islamismus. Bereits im November vergangenen Jahres habe ich die HAMAS und das Netzwerk „Samidoun“ verboten, im vergangenen Juli das „Islamische Zentrum Hamburg“. Daran anknüpfend ein Beispiel aus dem präventiven Bereich: Ich habe eine Task Force Islamismusprävention eingerichtet, um in diesem Bereich passgenaue Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Sie bringt die Perspektiven von Wissenschaft, zivilgesellschaftlicher Praxis und Sicherheitsbehörden zusammen. Das Gremium hat im Oktober seine Arbeit aufgenommen, mit dem Schwerpunkt-thema „Online-Radikalisierung junger Menschen“. Denn gerade das Netz macht es möglich, dass Menschen heute rasend schnell in Radikalität und Extremismus abrutschen.

Die Aufgabe, diesen Tendenzen entgegenzuwirken, liegt – seitens der Bundesregierung – vor allem bei meinem Ressort. Dem Bundesministerium des Innern und für Heimat. Wir stehen ein für Sicherheit, Zusammenhalt und Demokratie im 21. Jahrhundert. Deshalb fördern wir auch das ehrenamtliche Engagement und machen den Sport stark! Denn beide verbinden Menschen, über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg.

Zum Beispiel mit dem „Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport“, das ich ins Leben gerufen habe. Oder dem Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“, das die Bundeszentrale für politische Bildung in meinem Geschäftsbereich umsetzt. Es richtet sich vor allem an Menschen, die in ländlichen und strukturschwachen Gegenden in Vereinen und Verbänden aktiv sind – und rüstet sie gegen Extremismus. Politische Bildung und Demokratiebildung sind insgesamt wesentliche Schlüssel, um unser freiheitliches Gemeinwesen zukunftssicher zu machen.

Eine ganz andere Art von Bedrohung für unsere Demokratie sind Angriffe auf kommunale Amts- und Mandatsträger. Sie haben in letzter Zeit erschreckend zugenommen. Wo aber Menschen abgeschreckt werden, sich für unser Gemeinwesen zu engagieren und ihre Bürgerrechte zu nutzen, legt das die Axt an die Wurzeln unserer Demokratie! Deshalb habe ich beim Deutschen Forum für Kriminalprävention die „Starke Stelle“ eingerichtet. Seit 1. August vermittelt diese bundesweite Ansprechstelle konkrete, persönliche und vertrauliche Unterstützung für die Betroffenen. Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten – und unsere Aufgabe ist es, sie zu stützen, zu schützen und zu unterstützen.

Und natürlich nutzen wir alle Instrumente unseres Rechtsstaats, um Täter zu überführen und zur Rechenschaft zu ziehen. Ob es etwa um Gewalt gegen Amts- und Mandatsträgerinnen geht oder darum, Extremisten aller Art das Handwerk zu legen. Unsere Sicherheitsbehörden haben diese Bedrohungen im Visier und verfolgen die Täter konsequent. Ich habe diesen Kampf immer vorangetrieben – schon bevor ich Bundesinnenministerin war. Und ich verspreche: Wir werden ihn entschlossen und mit der vollen Härte des Rechtsstaats weiterführen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Demokratien mögen nicht für die Ewigkeit bestehen. Sie sind zerbrechlich. Aber ich glaube fest daran: Wir können viel tun, um ihre Zukunft zu sichern. Unsere Demokratie schützen wir bereits jetzt nach Kräften. Indem wir als Demokratinnen und Demokraten zusammenhalten. Indem wir respektvoll diskutieren und ja, auch konstruktiv streiten. Ich freue mich sehr auf unseren Austausch!