Gedenkstunde zum 86. Jahrestag der Novemberpogrome 1938

Typ: Rede , Datum: 10.11.2024

Grußwort der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Westend-Synagoge, Frankfurt am Main

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Rabbiner (Avichai) Apel,
sehr geehrter Herr Rabbiner (Julian-Chaim) Soussan,
sehr geehrter Herr (Benjamin) Graumann,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Josef, lieber Mike,
sehr geehrter Herr (Uwe) Becker,
liebe Noa,
lieber Michel Friedman,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gemeinde,

wir kommen heute zusammen in der einzigen Synagoge in Frankfurt, die vor 86 Jahren das Pogrom überstanden hat –obwohl SA-Männer sie in Brand gesetzt hatten. Im gesamten Staatsgebiet wurden in jener Nacht jüdische Einrichtungen zerstört, verwüstet und geplündert. Zehntausende Menschen wurden verhaftet und verschleppt, tausende ermordet. An den meisten Orten hat die Feuerwehr die brennenden Synagogen nicht gelöscht, ist die Polizei nicht zu Hilfe gekommen.

An diesem Tag sind die Dämme gebrochen. Ein Augenzeuge berichtet über die Ausschreitungen hier in Frankfurt:

"…im Hemd wurden die Menschen über die Straße gejagt, da man ihnen keine Zeit ließ, sich anzuziehen. Selbst das Waisenhaus wurde nicht verschont. Die Kinder wurden auf die Straße gesetzt und die Einrichtung vollkommen zerstört und und verbrannt. Nach den Pogromen glichen die jüdischen Häuser einem Trümmerhaufen.“

Die Familie der damals 14-jährigen Lore Jacobs gehörte zur Gemeinde dieser Synagoge. So beschreibt sie den Morgen des 10. November, als sie von bewaffneten SS-Männern aus dem Schlaf gerissen wird:

"Die Nazis stürmten in unsere Wohnung, nahmen alles auseinander, warfen den Inhalt der Schubladen auf den Boden und nahmen die Bilder von der Wand. Sie nahmen alle Wertsachen aus dem Safe. Einer der Nazis gab die Befehle, schubste meinen Vater und schrie ihn an, sich zu beeilen.“

Lores Vater wird verhaftet und deportiert.  Beide Eltern werden später umgebracht. So wie Millionen Menschen, die in der Schoa entrechtet und ermordet wurden.

Heute gedenken wir dieser schrecklichen Ereignisse. Wir gedenken der November-Pogrome heute auch im Bewusstsein, dass der Schrecken solch entfesselten Judenhasses heute wieder grassiert. Die brutalen Verbrechen der HAMAS am 7. Oktober des vergangenen Jahres in Israel haben viele Parallelen dazu: Die enthemmte Gewalt. Ihr öffentliches Zurschaustellen, damals wie heute. Und die Versuche, die Opfer als Täter darzustellen – und die Täter als Opfer. Damals wie heute kennzeichnet das den Antisemitismus, der sogar an Universitäten heute wieder lautstark sein Unwesen treibt.

Aber auch "Nie wieder ist jetzt“ hören wir seitdem oft. Darüber bin ich froh. Auch wenn ich mir viel mehr solcher Zeichen wünsche, mehr Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen. Aber einige fragen sich vielleicht: Ist das "Nie wieder“ noch einzuhalten, das die Überlebenden vor fast 80 Jahren geschworen haben?

Für mich steht fest: Damals ist nicht heute.

Unsere Demokratie steht zwar unter Druck. Aber sie ist wehrhaft! Und ich versichere Ihnen: Heute steht der Staat, heute steht die Bundesregierung fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft.

Wir halten gegen, wenn Judenhass droht, unseren Zusammenhalt zu vergiften. Und zwar mit Taten. Wir wissen: Terror greift unsere demokratische Gesellschaft als Ganze an. Dass die Verbrechen der HAMAS auf unseren Straßen gefeiert wurden, ist unerträglich. Unter anderem deshalb habe ich die Betätigung dieser antisemitischen Terror-Organisation in Deutschland verboten, zusammen mit ihrem Unterstützer-Netzwerk Samidoun. Im Juli habe ich darüber hinaus das Islamische Zentrum Hamburg und seine bundesweiten Ableger verboten. Denn es hat aggressivsten Antisemitismus verbreitet, und demokratiefeindliche, islamistische Ideologie.

Um islamistischen Terror besser bekämpfen zu können, haben wir als Bundesregierung nach dem furchtbaren Anschlag von Solingen ein Sicherheitspaket geschnürt. Unter anderem haben wir den Ausschluss vom asylrechtlichen Schutzstatus bei Straftätern mit antisemitischen Beweggründen erleichtert. Wir bekämpfen Judenhass und Terror aus jeder Richtung. Darauf zielt auch die Resolution, die der Bundestag am Donnerstag mit breiter Mehrheit beschlossen hat. All das ist leider dringend nötig. Denn die Bedrohung ist akut: Erst zwei Tage zuvor, am Dienstag, haben unsere Sicherheitskräfte acht mutmaßliche Mitglieder einer rechtsterroristischen Vereinigung verhaftet. Glühende Antisemiten, mit konkreten Plänen für einen neuen Nationalsozialismus. Und am Donnerstag wurden in Amsterdam israelische Fußballfans auf schrecklichste Weise gejagt und angegriffen, weil sie Juden sind.

Meine Damen und Herren,

so etwas zu verhindern und das "Nie wieder“ jetzt umzusetzen, ist Aufgabe jeder Bundesregierung. Ich verneige mich vor den Opfern. Und werde Kraft meines Amtes alles dafür tun, jüdisches Leben zu schützen. Vielen Dank.