75 Jahre BMI – Festveranstaltung im BMI

Typ: Rede , Datum: 20.09.2024

Rede von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Bundesministerium des Innern und für Heimat

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter, lieber Otto Schily,
sehr geehrter Herr Dr. Thomas de Maizière,
sehr geehrte Präsidentinnen und Präsidenten der BMI-Geschäftsbereichsbehörden,
sehr geehrte Parlamentarische und beamtete Staatssekretärinnen und Staatssekretäre,
sehr geehrte Beauftragte,
sehr geehrter Herr Prof. Andreas Wirsching,
liebe Beschäftigte und ehemalige Beschäftigte des BMI,
meine sehr geehrten Damen und Herren, 

„Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“

Dieses Zitat stammt vom ersten Bundesminister des Innern und späteren Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Gustav Heinemann. Es beschreibt – trotz seiner Kürze – ziemlich akkurat das Spannungsfeld, in dem man sich bewegt, wenn man an der Spitze des Bundesinnenministeriums steht. 

Denn wenn es eines gibt, das mich mit meinen 20 Vorgängern in diesem Amt verbindet, dann ist es das: Die Aufgabe zu erkennen, was notwendig ist zu verändern und was wichtig ist zu bewahren.

In den 75 Jahren seines Bestehens hat sich unser Land fortwährend verändert. Und das BMI mit ihm. Bewahrt hat es aber das unbeirrbare Ziel, dieses Land, seine Menschen und seine freiheitliche und demokratische Ordnung zu schützen. Aus historischer Verantwortung, aber vor allem, um den Auftrag aus unserem Grundgesetz umzusetzen.
 
Als das BMI 1949 gegründet wurde, stand Deutschland nach den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und der Shoah vor der großen Aufgabe, eine neue, demokratische Ordnung zu errichten – eine Ordnung, die auf Recht, Freiheit und Menschenwürde fußt.

Doch gerade in den Anfangsjahren der Bundesrepublik fanden sich in Politik und Verwaltung viele Menschen mit nationalsozialistischer Vergangenheit. Das lag in Teilen an der besonderen Personalnot damals – aber eben nicht nur.

Und so war es auch im BMI, wie Professor Wirsching und seine Kollegen wissenschaftlich herausgearbeitet haben. Die Studie dazu hat Dr. Thomas de Maizière 2014 in Auftrag gegeben und damit eine wichtige Aufarbeitung angestoßen.

Lieber Thomas de Maizière, ich freue mich sehr, dass Sie heute bei uns sind, herzlichen Dank für Ihr Kommen!

Die Studie offenbarte, dass sogar hochrangige Positionen von ehemaligen Nationalsozialisten bekleidet wurden. Der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder im Haus ist erst ab 1970 erstmals auf unter 50 Prozent gesunken – unter Innenminister Hans-Dietrich Genscher.

Und bei aller Anerkennung für die Leistungen meines Vorgängers für unser Land: diese Personalentwicklung war wahrscheinlich mehr dem Generationswechsel geschuldet als politisch forciert. Lieber Herr Professor Wirsching, Sie haben diese Zeit für das BMI wissenschaftlich aufgearbeitet. Ich freue mich, dass Sie heute hier sind.

Trotzdem: Auch in den frühen Jahren unserer Republik sind im Bundesinnenministerium wichtige Richtungsentscheidungen für unsere junge Demokratie getroffen worden. So war es ein Strafantrag des zweiten Bundesinnenministers, Robert Lehr, mit dem 1951 der berühmter „Remer-Prozess“ begann.

Mit einem wegweisenden Urteil wurde von einem deutschen Gericht festgestellt, dass der nationalsozialistische Staat ein Unrechtsstaat – übrigens ein Begriff von Fritz Bauer – war. Das Urteil hat dazu beigetragen, dass Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime nicht länger öffentlich als Vaterlandsverräter diffamiert wurden.

Ein neuer gesellschaftlicher Umgang mit der NS-Zeit prägte auch die turbulenten Jahre der späten 1960er und 1970er. Aus gesellschaftlichen Umbrüchen gingen neue soziale Bewegungen hervor. Ein Teil des Protestes radikalisierte sich, bis hin zum Terror der RAF, der unser Land – und unsere Sicherheitsbehörden – jahrelang in Atem gehalten und viele Menschleben gekostet hat. In diesen Jahren musste das BMI erstmals unter Beweis stellen, wie wehrhaft unsere Sicherheitsarchitektur tatsächlich ist. Dieser Beweis ist geglückt: Es ist gelungen, den Rechtsstaat zu stärken und gleichzeitig den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Bedrohungen sicherzustellen. Die damals umgesetzten Maßnahmen prägen unsere Sicherheitsarchitektur bis heute:

Das Bundeskriminalamt wurde ausgebaut und mit polizeilichen Kompetenzen ausgestattet.
Neue Sicherheitsgesetze wurden eingeführt, wie etwa die Anti-Terror-Gesetze.

Die Spanne der gesellschaftlichen und sozialen Bewegungen war seinerzeit groß. Umweltthemen und Fragen nach der Zukunft der Atomkraft rückten in die Mitte der Diskussion – und auch die ein oder andere Frage der inneren Sicherheit wurde neu aufgeworfen und diskutiert. Zum Beispiel: Was darf ziviler Ungehorsam – und was nicht?

In Ostdeutschland bildete sich eine Bürgerrechtsbewegung wie sie unser Land selten gesehen hat. Die Menschen begehrten auf und schafften 1989 das, was Jahrzehnte schier unmöglich schien: Die Wiedervereinigung unseres Landes wurde vom Traum zu einer realistischen Option.

Großen Anteil daran, dass sie tatsächlich gelungen ist, hatte auch Wolfgang Schäuble, der in verschiedenen Positionen unserem Land gedient hat.

Er hat damals für die Bundesrepublik Deutschland den Einigungsvertrag ausgehandelt. Eine Leistung, für die es keine Generalprobe und kein Vorbild gab. Und die entscheidend für das Zusammenwachsen der vormals getrennten Staaten zu einem gemeinsamen Deutschland war.

Für das Zusammenwachsen der Gesellschaft in diesem Land hat später auch ein weiterer Minister wichtige Weichen gestellt, der heute den Weg zu uns gefunden hat: Lieber Otto Schily, ich freue mich sehr, dass Du heute hier sein kannst und auch gleich noch mit uns diskutieren wirst! Du hast seinerzeit unter anderem eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts angestoßen, auf der wir jetzt – 25 Jahre später – aufbauen konnten.

Du hast aber nicht nur gesellschaftlich viel vorangebracht; Du hast Dir auch als „roter Sheriff“ einen Namen gemacht – wie ich finde – ein Ehrentitel für einen sozialdemokratischen Innenminister.

Nach den beispiellosen Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA hat dieses Haus – unter Hochdruck – die bis dahin umfassendsten Sicherheitsgesetze in der Geschichte der Bundesrepublik verfasst. Und es gehört zu den bleibenden Leistungen von Otto Schily, dass er sie politisch durchgesetzt hat – gegen Widerstände, teils sogar aus den eigenen Reihen.

Wir beide teilen eine wichtige Überzeugung: Nämlich die, dass nur ein wehrhafter Staat, der die Sicherheit seiner Bürger hoch priorisiert, auch ein freier Staat sein kann. Das wird aktuell gerade wieder sehr deutlich. Dieses Land hat Dir viel zu verdanken, lieber Otto Schily.

Dein Nachfolger – und genaugenommen auch Vorgänger – führte diesen Weg konsequent fort – einige sprachen damals scherzhaft von einem Linksruck, als Wolfgang Schäuble Dir nachfolgte. Natürlich setzte er einen Schwerpunkt bei der öffentlichen Sicherheit. Zugleich war Dr. Schäuble auch immer ein Verfechter des Dialogs und des Austausches.

Er hat die Deutsche Islam Konferenz ins Leben gerufen, um ein Forum zu schaffen: Miteinander, statt übereinander reden. Übrigens nicht nur bei diesem Thema eine kluge Leitlinie.

Das gilt gerade in Zeiten, in denen islamistischer Terrorismus unser Miteinander überschattet. Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der schrecklichen islamistischen Anschläge von Mannheim (Mai) und Solingen (August). Dieses Haus hat in den letzten Wochen mit Hochdruck ein Sicherheitspaket geschnürt, das Waffenrecht verschärft, unsere Sicherheitsbehörden stärkt und auch im Aufenthaltsrecht dafür sorgt, die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu verbessern.

Wir bauen damit auch auf den Regelungen auf, die Thomas de Maizière als Bundesinnenminister in der Folge des furchtbaren Terroraktes vom Breitscheidplatz auf die Spur gesetzt hat.

Sie haben das Sicherheitsnetz unserer Sicherheitsbehörden damals neu gewoben!

Und auch darüber hinaus haben Sie, lieber Thomas de Maizière, einige Dinge angestoßen, die das Bundesinnenministerium gefordert haben. So haben Sie beispielsweise die besagte Studie in Auftrag gegeben, die die Historie des BMI aufarbeiten sollte.

Auch Sie standen, wie Wolfgang Schäuble, gleich zwei Mal an der Spitze dieses Hauses – Sie wurden von Angela Merkel immer dann ernannt, wenn es besonders wichtig war, dass Politikvorstöße gut organisiert und effizient umgesetzt werden. Sie haben wichtige Grundsteine gelegt, etwa indem Sie die digitale Verwaltung vorangetrieben haben. Unserem Land haben Sie in unterschiedlichen Positionen gedient – und auch Ihnen haben wir viel zu verdanken. All Ihre Positionen haben eines gemein: In jeder haben Sie die Stabilität und Sicherheit Deutschlands bewahrt.

Meine Damen und Herren,

was zu bewahren ist und was notwendig zu verändern – diese Entscheidung ist keine einfache; und doch ist sie höchst relevant.

Denn es geht um nichts Geringeres als den Schutz unserer Demokratie. Heute stehen wir wieder vor neuen Herausforderungen. Der schreckliche Angriff Russlands auf die Ukraine hat wieder Krieg nach Europa gebracht.

Unsere klare Unterstützung für die demokratische Ukraine hat uns stärker ins Visier von Demokratiefeinden rücken lassen. Wir sind mit hybriden Bedrohungen konfrontiert, zum Beispiel mit Desinformationskampagnen – auch und insbesondere aus Russland. Wir halten dagegen, unter anderem mit einer neuen Zentralen Stelle, die ausländische Einfluss- und Manipulationskampagnen frühzeitig erkennen und analysieren kann. Und wir schützen unsere Kritischen Infrastrukturen, um sie widerstandsfähiger gegen Angriffe und Sabotage zu machen.

Auch unsere Demokratie muss wehrhaft sein: sie muss der Bevölkerung Schutz bieten und gleichzeitig gesellschaftliche Weiterentwicklung ermöglichen, begleiten und fördern.

Wir müssen das Grundgesetz schützen und gleichzeitig zeitgemäß auslegen. Wir müssen Bewährtes bewahren, um Stabilität zu sichern und gleichzeitig offen für Veränderungen sein, um auf neue Herausforderungen angemessen zu reagieren.

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat hat dafür alles, was es braucht: hoch qualifizierte, motivierte und Kolleginnen Kollegen, Expertise in allen Fragen der inneren Sicherheit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts und nicht zuletzt eine beeindruckende Geschichte, die es gilt, fortzuschreiben.

Für Freiheit, für Sicherheit – für unsere Demokratie.

Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag!