Veranstaltung "Gewalt gegen Frauen geht uns alle an!" der Friedrich-Ebert-Stiftung
Rede 24.04.2024
Keynote von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin.
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Rednerin oder Redner
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
statistisch gesehen wird alle vier Minuten eine Frau in Deutschland Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch diese Gewalt. In Deutschland. Im Jahr 2024.
Hinter jedem dieser Fälle verbirgt sich der Horror, ausgerechnet im engsten Umfeld angegriffen zu werden – dort, wo man sich eigentlich am sichersten fühlen sollte.
Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland Alltag. Sie findet meistens in der Partnerschaft oder Familie statt. Durch Ehemänner, Lebensgefährten, Freunde, Ex-Partner. Und ihre Gewalt reicht von sozialer und digitaler Kontrolle, Stalking und Psychoterror über Schläge und Misshandlungen bis hin zu Mord.
Häufig werden diese Morde als "Beziehungstragödien" oder "Eifersuchtsdramen" bezeichnet. Mir ist fundamental wichtig, dass es in der Öffentlichkeit nicht länger verharmlost wird, wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Diese Taten müssen klar als das benannt werden, was sie sind: als Femizide!
Meine Damen und Herren,
der Großteil der Gewalt gegen Frauen findet zu Hause statt, hinter verschlossenen Türen. Das stellt die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen, Frauen gut zu schützen.
All das sind keine neuen Erkenntnisse. Die meisten von Ihnen kennen die Zahlen. Im öffentlichen Diskurs sorgen sie nach ihrer Veröffentlichung regelmäßig für kurze Phasen der Empörung, bevor man sich dann wieder anderen Dingen widmet.
Mir war vom ersten Tag meiner Amtszeit an wichtig, dass sich das ändert. Denn ich will mich nicht damit abfinden, dass Gewalt gegen Frauen in Deutschland Alltag ist. Gewalt gegen Frauen geht uns alle an!
Sie ist kein Problem der Frauen, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft! Und es ist eine zentrale Aufgabe des Staates, Frauen vor Gewalt zu schützen. Denn jede Frau hat das Recht auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit!
Deshalb habe ich das Thema "Gewalt gegen Frauen" in die vorderste Reihe der Sicherheitsthemen geholt. Direkt am Anfang der Legislaturperiode habe ich intensiv und gründlich prüfen lassen, welche Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des BMI bereits ergriffen wurden und ich habe Neues auf den Weg gebracht:
Mein Ministerium hat zum Beispiel im letzten Jahr ein neues Lagebild Häusliche Gewalt vorgelegt. Damit wurde das Lagebild Partnerschaftsgewalt, das seit 2015 ausgewertet wird, erweitert. Denn Gewalt im persönlichen Nahraum hat viele Gesichter – sie findet häufig in Beziehungen, aber auch im weiteren Familienumfeld statt. Und es ist hilfreich, dass wir darüber nun einen besseren Überblick haben.
Zweitens fördert das BMI seit (Oktober) 2023 die Entwicklung einer Tarn-App. Wir wollen damit die Hemmschwelle für Betroffene weiter senken, sich Hilfe zu suchen. Die App läuft versteckt auf dem Handy und kann genutzt werden, um sich Beratung zu holen und sich über Hilfe-Möglichkeiten zu informieren. Auch Gewaltspuren können damit gerichtsverwertbar dokumentiert werden.
Ich freue mich sehr, dass Frau [Stefanie] Knaab vom Verein "Gewaltfrei in die Zukunft" heute ebenfalls hier ist.
Liebe Frau Knaab, vielen Dank, dass Ihr Verein diese wichtige App entwickelt hat!
Auch rechtlich hat die Regierungskoalition – drittens – etwas verändert: Im Oktober 2023 wurden die gesetzlichen Vorgaben zur Strafbemessung im Strafgesetzbuch um frauenfeindliche Beweggründe erweitert. Paragraph 46 Absatz 2 StGB nennt jetzt ausdrücklich auch "geschlechtsspezifische" und "gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Tatmotive. Das ist wichtig, weil frauenverachtende Motive nun endlich auch zu höheren Strafen führen.
Und im letzten Sommer habe ich, das ist mein viertes Beispiel, gemeinsam mit Familienministerin Lisa Paus und dem Bundeskriminalamt eine Dunkelfeldstudie auf den Weggebracht. Erste Ergebnisse erwarten wir im Laufe des nächsten Jahres. Wir hoffen, damit erstmals wirklich belastbarere Informationen zu erhalten, welche Frauen und vor allem auch wie viele von Gewalt betroffen sind. Dann können wir auch gezielter wirksame Maßnahmen ergreifen.
Denn Fakt ist: Es trauen sich zwar mittlerweile mehr Frauen, die Täter anzuzeigen – aber es gibt noch immer zu viele Betroffene, die das aus den unterschiedlichsten Gründen nicht tun.
Sei es aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt oder geholfen wird. Sei es wegen der Befürchtung, es nicht alleine zu schaffen, weil zum Beispiel die finanzielle Abhängigkeit vom Partner zu groß ist. Oder sei es aus Scham, sich als Opfer zu offenbaren.
All diesen Frauen müssen wir glaubhaft versichern können: Du bist nicht allein. Es gibt ein Hilfenetz, das dich schützt.
Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass dieses Versprechen in der Vergangenheit nicht immer eingelöst werden konnte.
Weil es noch immer zu wenige Plätze in Frauenhäusern gibt. Weil betroffene Frauen nicht ernst genommen werden oder an bürokratischen Strukturen scheitern.
Oder weil die Täter den Opfern weiterhin zu nahe kommen können.
In Deutschland gibt es also, was Gewalt gegen Frauen angeht, noch viel zu tun.
Zum Beispiel aufgrund der Istanbul-Konvention, die Deutschland 2017 und die Europäische Union im vergangenen Jahr ratifiziert haben. Sie verpflichtet uns dazu, Frauen besser vor Gewalt zu schützen.
Deswegen war es politisch ein ungemein wichtiges Signal, dass die aktuelle Bundesregierung im letzten Jahr alle Vorbehalte fallengelassen und die Istanbul-Konvention endlich vollständig ratifiziert hat.
Die Konvention stellt klare Ansprüche daran, was der Staat zum Schutz von Frauen vor Gewalt tun muss. Zum Beispiel muss er dafür sorgen, dass Gewalt gar nicht erst ausgeübt wird, mit umfassenden Präventionsmaßnahmen.
Zum Aufgabenkatalog gehören aber auch die Sensibilisierung von Sicherheitsbeamten und anderen Berufsgruppen, die mit Tätern und Opfern häuslicher Gewalt in Kontakt kommen sowie der Ausbau der Schutzeinrichtungen für Betroffene.
Mit dem neuen Lagebild und der Dunkelfeldstudie sind wir auf einem guten Weg. Denn gute Prävention braucht gute Daten! Dazu gehört zum Beispiel, dass das Töten von Frauen aufgrund ihres Geschlechts statistisch nun endlich aussagekräftig erfasst wird.
Zwar weist das BKA seit 2015 Gewalt gegen Frauen als Partnerschaftsgewalt aus. Und seit dem vergangenen Jahr gibt es das erweiterte Lagebild "Häusliche Gewalt". Aber Femizide finden auch jenseits des häuslichen Umfelds statt, zum Beispiel wenn Frauen vergewaltigt und ermordet oder aus purem Frauenhass getötet werden.
Wir gehen deshalb nun den nächsten Schritt und legen in diesem Herbst erstmals ein Lagebild "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" vor, in dem Femizide explizit als solche benannt und erfasst werden – auch über häusliche Gewalt hinaus.
Das ist ein wichtiger Schritt für die Sichtbarkeit von Gewalt gegen Frauen, meine Damen und Herren! Außerdem haben wir die Aus- und Fortbildung der Polizeibeamten verbessert. Sie sollen Anzeichen und Warnsignale besser erkennen können. Dann können sie auf die Frauen zugehen. Sie können früh eingreifen und Schlimmeres verhindern. So müssen die Betroffenen den ersten Schritt nicht alleine gehen: Denn eine ausgestreckte Hand zu ergreifen ist leichter als um Hilfe zu bitten. Betroffene müssen den Staat und seine Vertreter als ihre Verbündeten wahrnehmen; sie müssen uns an ihrer Seite wissen!
Die Bundesregierung erarbeitet deshalb im Moment eine ressortübergreifende Strategie, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Es soll ein umfangreiches Maßnahmenpaket entstehen, um alle Formen von Gewalt zu bekämpfen, die unter die Istanbul-Konvention fallen.
Das Bundesfamilienministerium plant darüber hinaus ein Gewalthilfegesetz, mit dem jede von Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erhalten soll. Mein Haus ist hier in enger Abstimmung mit dem BMFSFJ. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass wir dieses Gesetz noch in dieser Legislatur umsetzen.
Lisa Paus in ihrem Ressort und ich in meinem arbeiten also an verschiedenen Stellen, um Regelungslücken zu schließen, Frauen besser zu schützen und – und das ist mir auch sehr wichtig – Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Denn viel zu oft wird die Frage gestellt, warum von Gewalt betroffene Frauen die Täter nicht verlassen. Diese Täter- Opfer-Umkehr halte ich für grundfalsch. Die Schuld liegt nie beim Opfer, sondern immer beim Täter.
Um Gewalt gegen Frauen endlich zu stoppen, reicht es nicht, nur an einer einzelnen Stellschraube zu drehen. Wir können uns nicht nur auf die Opfer konzentrieren, ebenso wenig nur auf die Täter. Wir können nicht nur mit repressiven Mitteln arbeiten, aber Prävention alleine reicht ebenso wenig.
Wir werden die Vorgaben der Istanbul-Konvention nur erfüllen können, wenn wir an vielen unterschiedlichen Stellen – bei den Opfern, bei den Tätern, beim System – ansetzen. Ich möchte Ihnen deshalb nun einige neue Ansätze vorstellen, mit denen wir die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland weiter vorantreiben und Gewalt gegen Frauen weiter zurückdrängen wollen.
Erstens bin ich davon überzeugt, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften ein wirksames Instrument im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen sind. Deshalb habe ich die Initiative ergriffen, mit den Ländern über die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften auch in diesem Bereich zu diskutieren. Ich halte das für sinnvoll, weil Täter, die gegen Frauen gewalttätig werden, im Moment häufig nicht hart genug bestraft werden. Weil es mildernde Umstände gibt. Weil der Partnerin eine Mitschuld gegeben wird. Und das liegt auch daran, dass viele Gerichte nicht genügend geschult sind für diese Straftaten.
Schwerpunktstaatsanwaltschaften spezialisieren sich auf ihren Phänomenbereich: Expertise, Kenntnisse und Umgang sind dann auf die besonderen Erfordernisse der Straftaten abgestimmt und können noch stärker mit der nötigen Sensibilität behandelt werden.
In anderen Phänomenbereichen wie zum Beispiel bei Wirtschaftsstrafsachen wurden schon gute Erfahrungen damit gemacht. Und ich bin davon überzeugt, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei Gewalt gegen Frauen auch gut funktionieren können.
Meine Damen und Herren,
wenn wir über Gerichtsverhandlungen und Urteile sprechen, befinden wir uns in einem Bereich, in dem die Gewalt bereits strafrechtlich verfolgt wird. Aber der Opferschutz muss schon früher ansetzen: Spätestens dann, wenn das Opfer Hilfe sucht. Ich habe deshalb (zweitens) in Auftrag gegeben, an zwei Standorten der Bundespolizei 24/7- Schalter für von Gewalt betroffene Frauen in einem Pilotversuch einzurichten.
An diesen Schaltern finden Betroffene dann rund um die Uhr besonders geschultes Personal, sie finden dort weibliche Ansprechpartnerinnen und sie finden Unterstützung für ihre jeweilige Situation. Sie können ihre Handlungsmöglichkeiten besprechen, auch ihre strafrechtlichen Möglichkeiten. Sie werden sensibel beraten und geschützt.
Als Bundesinnenministerin bin ich oberste Dienstherrin der Bundespolizei. Die "normale" Streifenpolizei der Länder gehört nicht zu meinem Zuständigkeitsgebiet. Normalerweise werden Gewalttaten bei Dienststellen der Landespolizei angezeigt. Dort gehören geschulte Ansprechpartner hin. Und doch finde ich, kann auch die Bundespolizei mit gutem Beispiel voran gehen, wenn es darum geht, Gewalt gegen Frauen zu stoppen.
Denn 54.000 Bundespolizistinnen und -polizisten arbeiten jeden Tag für die Sicherheit unseres Landes; an den Grenzen, an großen Flughäfen, in Zügen. Das sind alles Orte, an denen es auch zu Gewalttaten kommt; vor allem aber sind sie zentral und damit geeignet, um Schutzräume anzubieten.
Wir sensibilisieren natürlich alle unsere Beamtinnen und Beamten für Fragen sexualisierter und Partnerschaftsgewalt. Und doch bin ich davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, geschützte Räume zu schaffen, die den traumatischen Gewalterfahrungen von Frauen Rechnung tragen.
Ich möchte mit den Pilot-Schaltern mit gutem Beispiel vorangehen. Es wird dann im Rahmen der Innenministerkonferenz zu besprechen sein, ob die Länder das auch in ihrem Zuständigkeitsbereich als machbar ansehen. Ich werde dafür werben.
Meine Damen und Herren,
bei Schwerpunktstaatsanwaltschaften geht es um den strafrechtlichen Bereich. Bei den 24/7 Schaltern um einen verbesserten Opferschutz. Ein dritter Bereich ist mir besonders wichtig – nämlich die Frage, wie wir es schaffen können, dass die Gewalt gegen Frauen endlich weniger wird. Ich halte es für essenziell, nicht nur auf die Opfer zu schauen und darauf, was man beim Opferschutz besser machen kann.
Wir müssen auch über die Täter reden. Darüber, wie wir sie davon abhalten können, Gewalt gegen ihre Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen auszuüben. Ja, dazu gehören härtere Strafen und konsequente Strafverfolgung. Aber Männer werden nicht als Täter geboren. Sie können zu Tätern werden. Das muss aber nicht so sein.
Daraus folgt dann auch, dass man Männern dabei helfen kann, nicht Täter zu bleiben. Eine Maßnahme dafür kann die sogenannte verpflichtende Täterarbeit sein, wie es sie in Österreich bereits gibt. Dort werden alle Täter, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wurde, verpflichtet, an Gewaltpräventionskursen teilzunehmen. Man arbeitet also mit ihnen daran, wie sie es schaffen können, nicht wieder gewalttätig zu werden. Täterarbeit ist in Österreich gelebter Opferschutz. Das findet in Deutschland bisher nur dann statt, wenn Täterarbeitseinrichtungen aktiv aufgesucht werden – oder im Rahmen einer (eher seltenen) Verpflichtung durch ein Gericht.
Außerdem müssen die Kontakt- und Näherungsverbote nach dem Gewaltschutzgesetz konsequenter durchgesetzt werden können. Dafür ist auch der Einsatz von elektronischer Aufenthaltsüberwachung eine Möglichkeit: Würden die Täter zum Beispiel mit einer elektronischen Fußfessel überwacht, könnte die Polizei im Ernstfall schneller einschreiten und erneute Gewalt gegen Frauen besser verhindern.
Aus meiner Sicht sollte man das Gewaltschutzgesetz entsprechend erweitern. Dafür habe ich bei meinem Kollegen Bundesjustizminister Buschmann bereits geworben. Mitarbeiterinnen meines Hauses werden darüber hinaus auf die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesjustizministerium und dem Bundesfamilienministerium zugehen, um gemeinsam Lücken im Gewaltschutzgesetz zu identifizieren und zu schließen.
Meine Damen und Herren,
sicherlich müssen wir bei all diesen Maßnahmen Effizienz und Wirksamkeit gut durchdenken. Im konkreten Fall Täterarbeit zum Beispiel: Wie viel eigene Einsicht und Wille zur Veränderung sind notwendig, damit solch eine Maßnahme überhaupt wirksam sein kann? Entscheidend ist aber, dass wir auf allen Ebenen endlich mehr tun, um Frauen vor Gewalt zu schützen: präventiv, strafrechtlich und was den Opferschutz angeht. Sie alle haben vermutlich schon die ganze Palette an Argumenten gehört, warum der Kampf, Gewalt gegen Frauen zu stoppen, hinter anderen Dingen zurückstehen muss:
"Kosten und Nutzen stehen in keinem guten Verhältnis."
"Männer dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden." "Es steht so oft Aussage gegen Aussage." Und und und.
Die Ansätze, die ich heute vorgestellt habe, sind weitere Schritte, um Gewalt gegen Frauen einzudämmen. Sie sind machbar. Und sie sind geboten.
Denn: Alle vier Minuten wird eine Frau Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Alle drei Tage stirbt eine Frau durch diese Gewalt.
Das darf nicht so bleiben. Wir müssen Frauen besser schützen. Und wir werden sie besser schützen.
Vielen Dank.