BKA-Herbsttagung 2023
Rede 23.11.2023
Rede von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
RheinMain CongressCenter (RMCC) in Wiesbaden
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Rednerin oder Redner
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident Münch,
sehr geehrter Herr Tiesler,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
ich freue mich sehr, bei der BKA-Herbsttagung zu sein. Ich habe ein paar Personen, die ich von meiner Seite noch begrüßen möchte:
Ich freue mich, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften da sind. Und, dass Herr Ziercke als ehemaliger Präsident des BKA hier bei uns ist. Ebenfalls ich freue mich, dass Jürgen Stock als Generalsekretär von Interpol heute anwesend ist. Herzlich willkommen!
Sehr geehrte Damen und Herren,
der 1992 verstorbene Autor Isaac Asimov hat einmal geschrieben: "Gewalt ist die letzte Zuflucht der Unfähigen."
Auch wenn Asimov vor allem Science-Fiction schrieb – hier hat er einen sehr realen Punkt: Das Ausmaß der Gewalt weltweit ist erschütternd, es ist ein trauriges Zeugnis menschlicher Unfähigkeit. Gewalt bestimmt die Schlagzeilen und Aufmacher – in den Zeitungen, im Fernsehen, im Netz: Vom schrecklichen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bis zum jüngsten Terror der Hamas in Israel. Am 7. Oktober haben die Mörder der Hamas mehr als 1.400 Unschuldige ermordet, unterschiedslos Soldaten und Zivilisten massakriert, Männer und Frauen, ältere Menschen und Kinder. Diese Taten zwingen uns nicht nur hinzusehen sondern vor allen Dingen zu handeln. Deshalb möchte ich auch hier noch einmal ganz klar sagen: Wir stehen nicht nur solidarisch an der Seite Israels und der jüdischen Menschen in Deutschland und der ganzen Welt! Wir handeln auch: Und das zeigen die neuerlichen Exekutivmaßnahmen, die wir heute, in Folge der Verbote von Hamas und Samidoun vollzogen haben.
Aber auch jenseits der großen Krisenherde unserer Zeit: Wir können uns vor Bildern der Gewalt kaum retten. Und so prägt Gewalt unser Bild der Welt, sie wirkt in unseren Alltag hinein.
Gewalt ist auch ein Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft: für Verrohung, für Verunsicherung, die Sorge vor sozialem Abstieg und dem Verlust von Lebensqualität. Leider ist die Bedrohung nicht nur gefühlt – unsere Gesellschaft ist tatsächlich gewalttätiger geworden. Das zeigen die Zahlen deutlich. Und deshalb müssen wir politisch gegensteuern: Mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Als demokratischer Staat, als Sozialstaat, als Rechtsstaat – nicht zuletzt durch unsere Sicherheitsbehörden.
Die Polizeien von Bund und Ländern genießen in der Bevölkerung ein sehr großes Ansehen und Vertrauen – und das zu Recht. Aber auch sie müssen sich der Herausforderung stellen, die das aktuelle Ausmaß von Gewalt für unsere Gesellschaft mit sich bringt. Das BKA leistet hier herausragende Arbeit. Stellvertretend für all die Landes- und Bundesbehörden möchte ich dem BKA und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür herzlich danken!
Meine Damen und Herren,
wir müssen über Gewalt in unserer Gesellschaft reden. Dringend. Über Ursachen und Konsequenzen. Mit kühlem Kopf und klarem Blick.
Schauen wir also zunächst auf die nüchternen Zahlen: Die vorläufigen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik weisen im ersten Halbjahr 2023 – im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – einen deutlichen Anstieg der Straftaten aus – insgesamt um 11 Prozent. Bei der Gewaltkriminalität sehen wir sogar einen Anstieg um 16,8 Prozent.
Der Zuwachs ist eindeutig, seine Ursachen vielfältig. Dahinter stehen gesellschaftliche Schieflagen, die eng damit zusammenhängen, welche Erfahrungen man mit Gewalt macht. Denn die soziale Herkunft entscheidet nicht nur über Bildungs- und Berufschancen. Sie zeichnet auch vor, wie sehr ein Mensch Gefahr läuft, Gewalt zu erleben – auf dem Schulhof, im Wohnumfeld, oder in der eigenen Familie.
Und sie beeinflusst das Risiko, sich in Sucht oder Kriminalität – bis hin zum Einsatz von Gewalt – zu flüchten. Dieses Risiko hat sich offenbar erhöht.
Dabei spielt auch die Corona-Pandemie nach wie vor eine Rolle. Weil sie für viele Menschen eine enorme Belastung war: psychisch, sozial oder auch wirtschaftlich. Die Auswirkungen der Pandemie bekommen wir heute auch bei Kindern und Jugendlichen zu spüren: In einer deutlich gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt.
Nicht nur für Jüngere bedeuteten die notwenigen Schutzmaßnahmen enorme Einschränkungen im Alltag. Und seit sie weggefallen sind, bieten sich zugleich wieder mehr Gelegenheiten und Anlässe für Gewalttaten. Das Ende der Pandemie fiel zudem mit einer neuen Migrationsdynamik zusammen – verbunden mit der Herausforderung, viele Menschen gleichzeitig in Deutschland zu integrieren. Auch darüber müssen wir sprechen. Offen, unverdruckst und frei von Ressentiments und Rassismus.
Gerade bei Geflüchteten wirken oft verschiedene Risikofaktoren zusammen: Wer vor Krieg und Armut geflohen ist, wer Stacheldraht überwunden und Schlepperboote überlebt hat, blickt anders auf Gewalt. Wer sich im neuen Umfeld fremd fühlt, sich schlecht verständigen kann, keinen Zugang zum Arbeitsmarkt findet und für sich keine Perspektiven sieht, der läuft schneller Gefahr, auch Gewalttäter zu werden.
Lieber Herr Münch,
Sie werden all diese Zusammenhänge später noch detailliert in den Blick nehmen. Und ich halte es auch für notwendig – mit der notwendigen Klarheit, aber auch mit der notwenigen Differenziertheit.
Als Sicherheitsministerin sehe ich vor allem zwei Dinge, die mich sorgen: Eine allgemeine Entwicklung hin zu mehr Gewalt, bei der wir gegenhalten müssen. Und eine Reihe von besonderen Schwerpunkten der Gewalt, die wir ganz genau unter die Lupe nehmen müssen. Ich will fünf davon heute in den Fokus meiner Rede stellen:
Erstens besteht die Gefährdung durch Extremismus und Terrorismus unvermindert fort. Angesichts der aktuellen Lage in Israel müssen wir den islamistischen Terror besonders scharf ins Visier nehmen. Wir müssen uns der verachtenswerten Tatsache stellen, dass Sich auch auf deutschen Straßen Menschen nach dem 7. Oktober mit den Mördern der Hamas solidarisieren.
Und machen wir uns nichts vor: Die islamistische Szene versucht massiv, die Eskalation im Nahen Osten für ihre politischen Zwecke zu nutzen.
Gleichzeitig steigt die Gewalt gegenüber jüdischen und israelischen Menschen und Einrichtungen. Umso wichtiger ist es, klipp und klar zu sagen: Wir stellen uns dagegen. Mit Organisations- und Betätigungsverboten, wie bei Hamas und Samidoun Anfang des Monats, mit zusätzlichem Schutz für jüdisches Leben in unserem Land. Aber auch mit dem klaren Signal, dass wir das in Deutschland nicht dulden.
Und aus meiner Sicht muss auch von dieser Tagung das Signal ausgehen: Wenn es um die Solidarität mit Israel und um Antisemitismus geht, gibt es in Deutschland kein "Ja, aber"! Jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu halten, zu bewahren, zu fördern und zu schützen – und auch das Selbstverteidigungsrecht Israels anzuerkennen – ist Teil unserer Staatsräson. Wer Teil unserer Gesellschaft sein will, muss diese Lehre aus unserer Vergangenheit mittragen. Wer Teil unserer Gesellschaft sein will, kann nicht zugleich das Existenzrecht Israels in Frage stellen! Wir werden den Kampf gegen Antisemitismus weiter mit voller Kraft und aller Härte führen. Auch und gerade dort, wo er sich als gewaltbereiter Islamismus zeigt.
Besonders gefährlich bleiben vor allem jihadistisch motivierte Einzeltäter, die kein komplexes Terror-Netzwerk hinter sich benötigen. Für ihre verheerenden Taten reicht ein Küchenmesser oder Mietauto. Wir sprechen hier in Deutschland derzeit von rund 500 Personen, die als islamistische Gefährder gelten. Also Menschen, denen die Polizei jederzeit einen Anschlag zutraut. Gleichzeitig werden rund 11.000 Personen dem salafistischen Spektrum zugerechnet.
Diese Szene umfassend im Blick zu behalten, ist keine leichte Aufgabe. Die exekutiven Maßnahmen gegen das Islamische Zentrum Hamburg am 16. November haben gezeigt, wie gut Bund und Länder im Kampf gegen islamistische Netzwerke zusammenarbeiten. Ganz herzlichen Dank noch einmal an alle, die daran mitgearbeitet haben! Da gilt mein Dank als Bundesministerin auch und vor allem den Vertreterinnen und Vertretern der Länder.
Ein zweiter Punkt: Die Gewaltbereitschaft in kriminellen Gruppierungen nimmt immer weiter zu.
Organisierte Kriminalität ist ein Schwerpunkt auf dieser Tagung und auch für meine Arbeit als Ministerin. Diese Form der Kriminalität zu bekämpfen ist nach wie vor eine große Herausforderung. OK-Strukturen versuchen, Einfluss auf Politik, Behörden und Wirtschaft zu nehmen. Sie gefährden damit Menschen, schaden unserem Gemeinwesen und destabilisieren Staaten und Regionen in aller Welt.
Das gilt nicht zuletzt für die Auswirkungen der Schleuserkriminalität, die wir national und international gerade verstärkt bekämpfen. Denn sie ist eine besonders brutale, rücksichts- und skrupellose Form des organisierten Verbrechens. Schleuser behandeln Menschen wie Ware, für maximalen Profit gehen sie über Leichen. Deshalb müssen wir diesem abscheulichen Geschäftsmodell dringend einen Riegel vorschieben. Und deshalb habe ich dazu auch Gesetzesverschärfungen vorgeschlagen, die jetzt dem Deutschen Bundestag vorliegen.
Drittens will ich die wachsende Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ansprechen – etwa bei den Silvesterkrawallen und zuletzt auch an Halloween. Die Zahl der Gewalttaten stieg hier im Jahr 2022 um fast acht Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Auch gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte verzeichnen wir einen massiven Zuwachs der Gewalt. Und auch hier müssen wir den Trend wenden. Denn ein Klima, in dem Gewalt gedeiht, schadet allen: Polizei und Einsatzkräften, aber oft auch diejenigen, denen am wenigsten zugetraut wird, sich zu wehren. Die Opfer sind sehr häufig vulnerable Gruppen, Kinder, Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Obdachlose. Deswegen müssen wir gegen diese widerwärtige Form der Kriminalität stark vorgehen.
Damit komme ich zu einem vierten Punkt, an dem wir vor einer bedrückenden Entwicklung stehen: Die Gewalt, die sich gegen Frauen richtet.
Gewalt gegen Frauen ist Alltag in Deutschland und wurde viel zu lange als privates Schicksal abgetan. Sie findet überwiegend in der Partnerschaft oder der Familie statt. Und die Täter sind meistens Männer. Das Lagebild Häusliche Gewalt des BKA für das Jahr 2022 hat gezeigt, dass statistisch gesehen an jedem dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners oder Ex-Partners getötet wurde. Jeden dritten Tag! Insgesamt gab es im vergangenen Jahr fast 158.000 Opfer von vollendeten und versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt.
Fast ein Zehntel mehr als im Jahr zuvor. Die Anzahl der Opfer von Häuslicher Gewalt steigt nahezu kontinuierlich an, in den letzten fünf Jahren um 13 Prozent. Und das bereitet mir große Sorgen. Und ich will es nochmal deutlich sagen: Wenn eine Frau durch die Tat eines Partners oder Ex-Partners getötet wurde, dann ist das ein Femizid und keine "Beziehungstat".
Genau wie – fünftens – die Entwicklung der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. 2022 wurden 15.520 Fälle von sexualisierter Gewalt gegen diese Opfergruppe in der PKS erfasst. Und seit Jahren steigen die Fallzahlen bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen. Das ist erschütternd, denn hinter jeder dieser Taten steht unfassbares Leid, das ausgerechnet den Verwundbarsten in unserer Gesellschaft angetan wird. Und lebenslange Spuren hinterlässt.
All diesen Entwicklungen müssen wir entgegenwirken. Und wir müssen Antworten auf die komplexen Fragen finden, die dahinterstehen. Denn es ist Aufgabe des Staates, alle Menschen vor Gewalt zu bewahren, die unter seinem Schutz stehen.
Gleich woher sie kommen, gleich ob sie arm sind oder reich, gleich wen sie lieben, welcher Kultur oder welcher Religion sie angehören. Unser Ziel bleibt: Jede und jeder in Deutschland muss sich sicher fühlen können. Ich will eine Politik, die konsequent gegen Gewalt vorgeht - aber auch konsequent gegen ihre Ursachen!
Dazu brauchen wir erstens auf Bundes- und Landesebene gut aufgestellte Sicherheitsbehörden, technisch und personell. Wir müssen sie in Lage versetzen, im Ernstfall hart durchzugreifen – mit allen Befugnissen, die dazu nötig sind.
Zweitens braucht es einen starken und handlungsfähigen Rechtsstaat. Das heißt konkret: schnelle Verfahren, konsequente Verurteilung, nachvollziehbare Strafen. Damit die Täter spüren, dass ihr Handeln Konsequenzen hat. Das schließt bei ausländischen Tätern auch ein, ihren Aufenthalt in Deutschland zu beenden. Was die Rückführung von Straftätern und Gefährdern angeht, haben wir Ende Oktober im Kabinett wichtige Verbesserungen auf den Weg gebracht: Wir wollen den Ausreisegewahrsam verlängern, Rückführungen leichter vollziehbar machen und insbesondere ausländische Straftäter schneller ausweisen, die Teil der Organisierten Kriminalität sind. Gerade mit Blick auf ausländische Mehrfach- und Intensivtäter arbeiten wir eng mit den Ländern zusammen, um den Druck weiter zu erhöhen.
Drittens: Viele Gewalttaten werden bewaffnet verübt. Ob beim Anschlag auf Dr. Walter Lübcke, den Morden von Hanau oder den islamistisch motivierten Messerangriffen von Duisburg im April:
Wir haben immer wieder gesehen, dass auch bei extremistischen Taten mit legal erworbenen Waffen gemordet wurde. Ich bin überzeugt: Wir müssen allen Gewalttätern konsequent die Waffen entziehen. Der Gesetzentwurf aus dem BMI dazu liegt übrigens schon seit Januar vor. Ich halte zudem mehr Waffenverbotszonen auf kommunaler Ebene für sehr sinnvoll, weil auch dort Grenzen aufgezeigt werden müssen. Und ich weiß: Auch die Stadt Wiesbaden hat hiermit gute Erfahrungen gemacht.
Viertens: Ich habe es angesprochen: Wir müssen Kinder und Jugendliche besser vor sexualisierter Gewalt schützen. Um die Täter dingfest zu machen, brauchen wir auch die IP-Adressen. Ich setze mich deshalb nachdrücklich dafür ein, den rechtlichen Spielraum nutzen, den der EuGH uns diesbezüglich auf nationaler Ebene einräumt.
Was wir, fünftens, brauchen: Mehr Zivilcourage und Respekt. Respekt vor dem Gesetz, aber auch vor den Personen, die es durchsetzen.
Respekt für gesellschaftliche Regeln, Respekt voreinander. Deshalb bin ich gerne Schirmherrin des XY-Preises. Er geht an couragierte Menschen, die sich vorbildlich, beherzt und klug gegen Kriminalität eingesetzt haben. Sie sind ein wirklich gutes Vorbild für uns alle. Erst heute Morgen haben wir die diesjährige Preisverleihung aufgezeichnet.
Als BMI werben wir seit vielen Jahren dafür, gegenüber Polizei- und Rettungskräften mehr Respekt und Solidarität zu zeigen. Am 23. August diesen Jahres habe ich dazu auch die digitale Kampagne "Zusammen für mehr Respekt" gestartet. Sie setzt wichtige und wertvolle Signale – vor allem auch an junge Menschen. Aber selbstverständlich müssen wir auch hier die ganze Palette rechtsstaatlicher Mittel nutzen. Denn es braucht klare Zeichen an alle, die sich von Hinweisen und Bitten eben nicht beeindrucken lassen.
Last but not least, sechstens: Respekt müssen wir aber auch gesamtgesellschaftlich verteidigen. Das bedeutet:
Null Toleranz für Hasskriminalität, Rassismus und Antisemitismus. Es ist sehr besorgniserregend, wie massiv antisemitische Hetze und Propaganda speziell seit den grauenvollen
Hamas-Angriffen auf Israel zugenommen haben – in welcher Qualität und in welcher Stärke. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: Schon vor dem 7. Oktober hatten wir ein massives Problem damit. Wir alle sind gefordert, uns dem entgegenzustellen. Mit rechtlichen Schritten, mit staatlichen Maßnahmen, mit menschlichem Anstand und mit demokratischer Zivilcourage.
Polizeien, Staatsanwaltschaften, Strafgerichte - sie alle können die Mittel des Rechtsstaats nutzen, um Gewalt zu ahnden und potentielle Täter abzuschrecken. Sie können aufklären, sensibilisieren und deeskalieren. Aber: Wenn wir das Problem an der Wurzel packen wollen, müssen wir vor allen Dingen die gesellschaftlichen Ursachen angehen. Kriminalität kann nicht allein mit dem Strafrecht erfolgreich bekämpft werden. Polizei und Justiz allein können Gewalt nicht verhindern.
Und Sicherheitsbehörden können nicht der Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen sein.
Wir müssen bei den sozialen Ursachen ansetzen, die sich hinter Kriminalität und Gewalt verbergen:
Fehlende Schulabschlüsse, zu wenige Weiterbildungsangebote, mangelnde berufliche Perspektiven. Gute Sozial- und Bildungspolitik ist die beste Präventionspolitik. Wir haben in dieser Bundesregierung einiges auf den Weg gebracht, um mehr sozialen Ausgleich zu schaffen: Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Wohngeld-Plus. Auch das Aus- und Weiterbildungsgesetz trägt dazu bei, den Risikofaktoren für Gewalt in der Gesellschaft vorzubeugen.
Prävention fängt aus meiner Sicht schon in den Kindertagesstätten an. Weil Menschen hier – von klein auf – demokratische Grundregeln erproben können und sollen. Weil sie dadurch lernen, Konflikte friedlich zu lösen.
Mitreden, Mitbestimmen und Mitentscheiden hilft übrigens in vielen Bereichen: Arbeitgeber, Bildungsträger, Zivilgesellschaft – alle können etwas gegen Gewalt tun. Indem sie positive Demokratieerfahrung schaffen, indem sie Werte vermitteln.
Besonders denen, die sich erst neu in Deutschland einfinden müssen. In einer Einwanderungsgesellschaft wie unserer ist es essentiell, Integration und Zusammenhalt zu fördern und auch einzufordern. Klar zu machen, welche Regeln in unserem demokratischen Rechtsstaat für alle Menschen gelten. Damit wir in unserem Land respektvoll, friedlich, vorurteils- und diskriminierungsfrei zusammenleben können – auf Grundlage unserer Verfassung und unserer Werte. Diesem Ziel dienen viele Programme, Projekte und Maßnahmen von BMI und BAMF, allen voran die Integrationskurse. Wir entwickeln sie konsequent weiter: Mit einem besonderen Fokus auf das jüdische Leben
in Deutschland und die Bekämpfung von Antisemitismus – auch unter Muslimen.
Denn Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus können wir letztlich nur erfolgreich bekämpfen, wenn wir die gesamte Bevölkerung in den Blick nehmen.
Umso wichtiger ist politische Bildung!
Weil sie den Wert von Dialog, Demokratie und Teilhabe vermittelt. Oder – frei nach Asimov: Weil sie die Menschen zu gewaltfreien Lösungen befähigt.
Wo wir damit an Grenzen stoßen, kann unsere Verfassungsordnung aber auch anders: Wir haben einen durchsetzungsfähigen Rechtsstaat, der sichtbar und spürbar eingreift, wo das Gesetz missachtet wird. Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie! Aber wir müssen aufpassen, dass auch die Menschen nach wie vor an die Durchsetzungskraft des Rechtsstaats glauben. Und deswegen brauchen wir auch schnellere Reaktionen, kürzere Verfahren und auch ein Ausschöpfen von Strafrahmen.
Wir leben in Deutschland in einer wehrhaften Demokratie! Denn wir wissen aus historischer Erfahrung: Demokratie lebt vom Vertrauen der Menschen – in die Politik, in den Staat, in die Verwaltung und das Recht. Sie lebt vom Vertrauen darauf, dass Menschen in Deutschland keine Angst vor Kriminalität und Gewalt haben müssen. Nur in einem sicheren Umfeld kann sich Demokratie frei entfalten. Das BKA hat dazu in der Vergangenheit viel Gutes beigetragen.
Ich erinnere an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Italien, bei der im Februar ein großer Schlag gegen die staatenübergreifende Organisierte Kriminalität gelungen ist. Oder die Stilllegung des bislang größten Captagon-Drogenlabors im Juli in Regensburg. Ich erinnere auch daran, wie Sie im Juni 2022 gleich drei der größten Darknet-Plattformen abschalten konnten, auf denen mit Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder gehandelt wurde.
Jeder Ihrer Erfolge macht unser Land sicherer. Jeder Ihrer Erfolge schafft Vertrauen in die Fähigkeiten dieses Staates. Jeder Ihrer Erfolge macht uns als Gesellschaft stärker. Dafür danke ich ihnen sehr herzlich. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Redebeiträge und wünsche Ihnen eine lehrreiche und interessante Tagung.