Festakt anlässlich des 75 -jährigen Jubiläums der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main

Typ: Rede , Datum: 13.09.2023

Grußwort von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    hr-Sendesaal Frankfurt am Main

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Professor Korn,
sehr geehrter Herr Grünbaum,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Boris,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
lieber Mike,
sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, gemeinsam mit Ihnen allen das 75. Jubiläum der Wiederbegründung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt zu würdigen. Und ich gratuliere Ihnen herzlich dazu. Auch zu der beeindruckenden, besonderen und bewegenden Konzeption dieses Festaktes.

Man kann nicht oft genug daran erinnern, wie wertvoll das vielfältige jüdische Leben in Deutschland ist. Dass es zurückgekehrt ist, erfüllt mich mit Demut und vor allem tiefer Dankbarkeit. Gerade angesichts der deutschen Schuld, an den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus. Nach der Schoa erschien jüdisches Leben in Deutschland kaum denkbar.

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Jüdinnen und Juden, die sich dazu entschlossen haben, in Deutschland zu bleiben, nach Deutschland zurückzukehren oder nach Deutschland zu emigrieren. Es waren Jüdinnen und Juden, die sich dazu entschlossen, jüdisches Leben in Deutschland wiederaufzubauen.

Ein Vertrauensvorschuss in die junge Bundesrepublik. Im kommenden Jahr feiern wir ihr 75-jähriges Jubiläum. Es ist ein Segen, dass wir es gemeinsam feiern. Mir ist bewusst, dass unter Jüdinnen und Juden seinerzeit heftig über den Neuanfang in Deutschland gestritten wurde. Umso dankbarer bin ich allen, die sich nicht davon abbringen ließen, dieses Land wieder zu ihrer Heimat zu machen. Trotz allem.

Es ist unsere Aufgabe, das jüdische Leben in Deutschland zu schützen und zu verteidigen. Das gilt – und das muss man angesichts aktueller Ereignisse leider betonen – auch und gerade für Menschen, die politische Verantwortung tragen. Und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern wenn es darauf ankommt. Wenn es einen vielleicht etwas kostet. Denn der Kampf gegen den Antisemitismus darf niemals zum bloßen Faktor der Kalkulation des eigenen Machterhalts werden.

Mit umso mehr Sorge beobachte ich, dass sich gegenwärtig Grenzen verschieben, die nicht verschoben werden dürfen. Der Imperativ des "Nie Wieder!“ muss gelten, unverrückbar.

Er gehört zu den Grundfesten dieser Republik. Und es ist Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten, ihn ohne Wenn und Aber zu verteidigen!

Es gibt kaum einen besseren Ort, um sich das bewusst zu machen als hier, in dieser Stadt. Denn Frankfurt steht nicht nur für unsere deutsche Demokratiegeschichte. Frankfurt steht zugleich für die Traditionen und Brüche des jüdischen Lebens in Deutschland, für die grausamen Pogrome des Mittelalters (1241 und 1349), für die Shoa. Mit Orten des Gedenkens – wie der Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle.

Mit Orten des Lernens – wie dem Jüdischen Museum. Dieses Museum vermittelt eindrucksvoll die Höhen und Tiefen jüdischer Geschichte und Kultur in Frankfurt. Ich habe im vergangenen Jahr ganz bewusst meinen Amtskolleginnen aus Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich und der Schweiz dorthin eingeladen. Wer es gesehen hat, versteht besser, warum es eben keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir heute diesen besonderen Festakt feiern.

Der Nationalsozialismus hat hier in Frankfurt eine über acht Jahrhunderte gewachsene jüdische Kultur und ihre Institutionen zerstört.

12.000 Frankfurter Jüdinnen und Juden wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Hier vor Ort überlebten nur etwa 160 die mit kalter Präzision durchorganisierte, millionenfache Verfolgung, Entrechtung, Erniedrigung und Ermordung.

Doch kein halbes Jahr nach der Befreiung von Auschwitz kehrte jüdisches Leben nach Frankfurt zurück. Innerhalb weniger Jahre wurden Synagogen neu eingeweiht, ein Kindergarten und eine Grundschule eröffnet – erste Zeichen der Rückkehr an den traditionsreichen Ort. Und die Gemeinde wuchs, bis sie zu den größten Deutschlands zählte.

"Wer ein Haus baut, will bleiben“, diesen Satz haben Sie geprägt, Herr Prof. Dr. Korn. Und die Jüdische Gemeinde in Frankfurt will bleiben: Heute bildet sie in sechs Synagogen das gesamte jüdische religiöse Spektrum ab. Ihre Mitglieder engagieren sich vorbildlich: Für die Bildung, für Familien und Senioren, aber auch für Geflüchtete. Damit prägt die Jüdische Gemeinde Frankfurt ihre Stadt und wirkt über ihre Grenzen hinaus und trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

Viele große Persönlichkeiten hatten daran Anteil. Zu Ihnen zählt nicht zuletzt Harry Schnabel, der vergangene Woche überraschend verstorben ist. Im Vorstand dieser Gemeinde und im Präsidium des Zentralrats der Juden hat er viel Gutes bewirkt und große Vorhaben angestoßen. Nicht zuletzt durch sein Engagement für die „Jüdische Akademie“ an der Senckenberganlage. Auch mein Haus war daran beteiligt, dass dieser Ort des Wissens und der Debatte Wirklichkeit werden konnte. Er wird immer mit dem Namen Harry Schnabels verbunden bleiben.

Sein Engagement und sein Optimismus werden fehlen, weit über Frankfurt hinaus. 

Denn es braucht Vorbilder wie ihn, damit wir als Gesellschaft vorwärtskommen.

Gerade im Kampf gegen den Antisemitismus, den wir leider noch immer führen müssen – mit aller Kraft. Es ist bitter, dass es nach wie vor die Sicherheitsbehörden braucht, um über Orte jüdischen Lebens zu wachen. Ich schäme mich dafür, dass in unserem Land jüdische Kitas und Schulen von der Polizei geschützt werden müssen. Ich verspreche Ihnen, dass ich alles tue, was in meiner Macht steht, damit das eines Tages nicht mehr nötig ist.

 
Meine Damen und Herren,

ich wünsche der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, dass Sie weiterhin die Kraft haben, selbstbewusst die Stimme zu erheben und für Ihre Anliegen einzustehen. Sie sind ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft! Und es ist mir ein Herzensanliegen, Sie und all das zu schützen und zu verteidigen, was wir gemeinsam erreicht haben.

Auf die nächsten 75 Jahre!

Vielen Dank.