Aktuelle Stunde zum Thema "Ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht – für mehr Teilhabe, eine bessere Integration und die Anerkennung von Lebensrealitäten"
Rede 25.05.2023
Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Deutscher Bundestag, Berlin
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Rednerin oder Redner
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
Deutschland ist ein Einwanderungsland.
Ich sage das oft und wiederhole es auch heute, weil es wichtig ist. Es hat viel zu lang gedauert, bis diese Tatsache anerkannt wurde.
Von den 83 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, haben mehr als zehn Millionen keine deutsche Staatsangehörigkeit – das sind fast dreizehn Prozent. Mehr als die Hälfte von diesen Menschen lebt aber bereits seit mehr als zehn Jahren hier.
Sie arbeiten hier, ihre Kinder gehen in die Kita oder zur Schule, sie engagagieren sich im Sportverein, haben einen Kleingarten, machen Wochenendausflüge – kurzum: sie sind hier zuhause.
Und doch können sie ihr Zuhause, ihre Heimat nicht demokratisch mitgestalten.
Sie können nicht mitbestimmen, wer im Landtag und Bundestag sitzt. Sie können sich nicht selbst aktiv einbringen, indem sie für öffentliche Ämter kandidieren.
Und das hat verheerende Konsequenzen.
Wenn ein Teil der Bevölkerung sich nicht an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen kann und keinen Zugang zu öffentlichen Ämtern hat, ist das nicht gut für unsere Demokratie.
Denn wer nicht mitbestimmen darf, verliert irgendwann auch das Interesse daran, mitzumachen. Unsere Demokratie lebt aber davon, dass alle mitmachen. Unsere Demokratie braucht Menschen, die sich für sie einsetzen!
Fakt ist, dass sich derzeit nur ein Bruchteil der Einbürgerungsberechtigten tatsächlich einbürgern lässt. Im europäischen Vergleich liegen wir deutlich hinter unseren Nachbarn:
Während im EU-Schnitt die Einbürgerungsrate 2019 bei 2 Prozent lag, betrug sie in Deutschland lediglich 1,3 Prozent.
Woran liegt das? Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern verlangen wir von den Menschen, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Diese Entscheidung ist aber gar nicht so einfach, wenn man seine Wurzeln in einem anderen Land hat und gleichzeitig eine neue Heimat in Deutschland.
Es ist deshalb höchste Zeit, dass Deutschland auf der Höhe der Zeit ankommt und Mehrstaatigkeit akzeptiert, wie die überwiegende Zahl der EU-Mitgliedstaaten.
Das hat übrigens auch Vorteile für Deutsche, die eine zusätzliche Staatsangehörigkeit erwerben wollen – denn auch sie können dann ihre deutsche Staatsangehörigkeit ohne aufwändiges Verfahren ganz regulär behalten.
Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht schaffen wir Anreize für Integration, statt Hürden aufzubauen und lange Wartezeiten zu verlangen.
Wer in Deutschland ein qualifiziertes Aufenthaltsrecht hat, soll künftig schon nach fünf Jahren eingebürgert werden können statt wie bisher acht Jahre warten zu müssen. Auch dies ist in einer großen Zahl der EU-Mitgliedstaaten bereits der Standard.
Wer besonders gut integriert ist, kann diesen Zeitraum sogar auf bis zu drei Jahre verkürzen – Menschen, die zum Beispiel sehr gut Deutsch sprechen, in Schule oder im Beruf herausragende Leistungen erzielen oder sich ehrenamtlich engagieren.
Ich bin überzeugt: Leistung soll sich lohnen!
Auch alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern sollen künftig vorbehaltlos die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten – wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Damit sorgen wir für Integration von Anfang an. Denn wir wissen längst aus vielen Studien: Je früher Kinder und Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, desto besser sind ihre Bildungschancen!
Durch die Zulassung von Mehrstaatigkeit können sie außerdem die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern dauerhaft behalten – sie müssen sich nicht mehr für oder gegen einen Teil ihrer Identität entscheiden. Das ist ein wichtiger Schritt für ein modernes Deutschland.
Besonders wichtig ist mir, dass wir im neuen Staatsangehörigkeitsrecht auch die Lebensleistung der Gastarbeitergeneration anerkennen.
"Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen", sagte Max Frisch.
Diese Menschen sind in den 50ern und 60er Jahren unter anderem aus Italien, Spanien, Griechenland oder der Türkei nach Deutschland gekommen – und sie haben damals keine Integrationsangebote erhalten.
Deshalb werden wir ihnen die Einbürgerung erleichtern. Denn sie haben für unser Land Herausragendes geleistet und sie haben die Anerkennung der gesamten Gesellschaft verdient, meine Damen und Herren!
Bei allen notwendigen Erleichterungen müssen diejenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen, natürlich bestimmte Bedingungen erfüllen:
Erstens: Wer in Deutschland eingebürgert werden will, muss wirtschaftlich integriert sein. Das ist schon jetzt so und bleibt so.
Davon ausgenommen werden die Generation der Gastarbeiter und die Vertragsarbeiter, die vor 1990 in die ehemalige DDR gekommen sind.
Und auch diejenigen, die Vollzeit arbeiten und deren Lohn nicht zum Leben reicht. Wer sich anstrengt, soll nicht auf der Strecke bleiben – das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit!
Zweitens: Wer in Deutschland eingebürgert werden will, muss sich zu den Werten unserer freiheitlichen Gesellschaft bekennen. Dazu gehören besonderes die Würde und Gleichheit aller Menschen. Wer diese Werte nicht teilt, oder wer ihnen sogar zuwiderhandelt, kann nicht deutscher Staatsangehöriger werden.
Denn das gilt in allen Bereichen unseres Zusammenlebens – auf jegliche Form von Menschenverachtung kann unsere Antwort nur sein: Null Toleranz, auch im Staatsangehörigkeitsrecht!
Es gibt noch einen weiteren guten Grund für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht:
Für unseren Wohlstand als gesamte Gesellschaft ist es existenziell, dass mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu uns kommen und hier arbeiten. Und wir dürfen uns nichts vormachen: Für gut qualifizierte Menschen ist Deutschland an vielen Stellen noch nicht attraktiv genug. Unsere aktuellen Regelungen sind zu bürokratisch und Menschen stehen vor hohen Hürden, wenn sie nach Deutschland einwandern wollen.
In klassischen Einwanderungsländern wie Kanada ist das ganz anders. Wenn man dort Fachkräfte fragt, warum sie nach Kanada kommen, sagen sie klipp und klar: Weil ich hier die Perspektive auf Einbürgerung habe.
Die Menschen wollen mitgestalten können, wenn sie ihr Herkunftsland verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen. Das kann man ihnen nicht verdenken. Deshalb wollen wir gut integrierten und gut qualifizierten Menschen künftig ermöglichen, deutsche Staatsangehörige zu werden.
Denn beides – Fachkräfteeinwanderung und ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht – geht nur zusammen!
Meine Damen und Herren,
mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht zeigen wir Respekt und Anerkennung für alle, die seit Jahrzehnten unser Land stark machen und voranbringen.
Es ist ein echtes Fortschrittsprojekt dieser Bundesregierung.
Wir setzen Anreize für eine gelungene Integration. Wir schaffen ein modernes Einbürgerungsrecht für ein modernes Land. Damit bringen wir Deutschland weiter voran.
Vielen Dank.