Münchner Sicherheitskonferenz zum Thema: "100 Jahre Interpol"

Typ: Rede , Datum: 18.02.2023

Grußwort der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Münchener Sicherheitskonferenz, München

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Dr. Franke,
sehr geehrter Herr Prof. Stock,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

den Schwerpunkt der Münchner Sicherkonferenz bilden traditionell eher Themen der Außen- und Verteidigungspolitik. Heute stehe ich aber als Innenpolitikerin vor Ihnen – und das zeigt, dass die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit fließend sind. Ein exzellentes Beispiel dafür ist die internationale Polizeizusammenarbeit.

Ich möchte deshalb den Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz nutzen, um die Rolle einer Organisation kritisch zu würdigen, die seit nunmehr 100 Jahren die internationale Polizeizusammenarbeit trägt und prägt:
Es geht um die Internationale Kriminalpolizei-Organisation Interpol.

Und an dieser Stelle möchte ich ihren Generalsekretär, Herrn Prof. Jürgen Stock, höchstpersönlich sehr herzlich begrüßen, der heute hier im Publikum ist.

Mit ihren 195 Mitgliedstaaten ist Interpol ein wichtiger Pfeiler der internationalen Sicherheitsarchitektur. Interpol ist heute eine weltumspannende Organisation. Vor wenigen Wochen erst hat die Republik PALAU – der Inselstaat im Pazifischen Ozean – beim Generalsekretariat ihren Antrag auf Interpol-Mitgliedschaft gestellt.

Die Organisation blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Gegründet wurde der Vorläufer von Interpol, die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission, 1923 in Wien. Sie etablierte sich schnell zu einem wichtigen Forum für den polizeilichen Informationsaustausch, insbesondere in Europa.

Heute ist Interpol als Sicherheits-Akteur nicht mehr wegzudenken. Bekannt geworden ist Interpol vor allem durch sein System zur weltweiten Fahndung – vor allem durch die sogenannten "Rotecken" zur Fahndung nach Personen zur Festnahme und Auslieferung.

Interpol leistet heute aber noch viel mehr: Sie koordiniert gegenseitige polizeiliche Unterstützungsmaßnahmen, entsendet Expertinnen und Experten, stellt technische Ausrüstung zur Verfügung und unterstützt den Aufbau effektiver Polizeistrukturen weltweit – Strukturen, die für den Kampf gegen Kriminalität unerlässlich sind.

Wenn es Interpol nicht gäbe, könnten Kriminelle einfach über Landesgrenzen fliehen, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Dank der Interpol-Strukturen können ihre Verbrechen grenzüberschreitend verfolgt und oftmals auch geahndet werden.

Mit Fug und Recht können wir also sagen:

Interpol macht unsere Welt sicherer!

Auch nach der Vertiefung der europäischen Einigung und dem Aufbau von Europol bleibt Interpol für eine erfolgreiche Strafverfolgung unverzichtbar.

Die umfangreichen Dienstleistungen der Organisation haben durch die fortschreitende Globalisierung sogar nochmal erheblich an Bedeutung gewonnen:

Allein im Jahre 2021 wiesen 71 % der Ermittlungsverfahren im Bereich organisierte Kriminalität in Deutschland einen internationalen Bezug auf. Die Leistungen von Interpol bilden also einen wichtigen Eckpfeiler der polizeilichen Arbeit.

Meine Damen und Herren,

Fragen der inneren und der äußeren Sicherheit sind eng miteinander verknüpft.

Das haben spätestens der 11. September 2001 und die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus schmerzlich gezeigt.

Kriminelle Akteure machen nicht an Landesgrenzen halt und darum dürfen auch wir bei der Strafverfolgung nicht in nationalen Grenzen denken. Und genau deshalb stehe ich auch als Innenministerin hier auf der Münchner Sicherheitskonferenz, wo wir uns über gemeinsame, internationale Herausforderungen austauschen und Lösungen dafür ausloten.

Auch unserer künftigen Nationalen Sicherheitsstrategie liegt ein integrierter Sicherheitsbegriff zu Grunde, der dieser Entwicklung Rechnung trägt.

In dieser Strategie müssen wir uns ganz klar zu einer Stärkung europäischer und internationaler Sicherheitsagenturen wie Interpol verpflichten.

Umso mehr ist es allerdings nötig, dass wir uns mit der Organisation, ihrer Rolle und ihrer Vergangenheit kritisch auseinandersetzen: Denn die Geschichte der Interpol hat auch dunkle Seiten.

1940, nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, wurde das Sekretariat auf Betreiben des Chefs der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, nach Berlin-Wannsee verlegt und dem Reichssicherheitshauptamt unterstellt – der Terrorzentrale des nationalsozialistischen Regimes.

Die Akten der damaligen Interpol sollen dem nationalsozialistischen Regime bei der Verfolgung bestimmter Personengruppen gedient haben. Das betraf zum Beispiel die internationale Registratur von Sinti und Roma, deren Erstellung schon menschenverachtend war.

Die Nationalsozialisten haben auch die Akten zu Falschmünzerei und Passfälschung für ihre Zwecke verwendet: In der so genannten "Fälscherwerkstatt" im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin mussten Häftlinge nach Mustern aus diesen Akten Falschgeld und falsche Pässe herstellen, etwa für Nazi-Agenten.

Dieser Missbrauch sollte uns heute als Mahnung dienen. Er macht deutlich, welche historische und auch welche gegenwärtige Verantwortung mit solchen Daten und Zugriffsmöglichkeiten einhergeht.

Interpol machte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Neuanfang:

1946 wurde die Organisation neu gegründet und 1956 in Paris als Verein nach französischem Recht etabliert.

Sie hat sich – auch mit Blick auf ihre eigene Geschichte – dem Geist der Internationalen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet.

Andererseits verpflichtet sie sich aber auch der Neutralität gegenüber ihren Mitgliedern: Es ist ihr strengstens verboten, sich einzumischen oder Aktivitäten zu verfolgen, die einen – ich zitiere –"politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakter" haben, so heißt es in ihrer Charta von 1956.

Dieses Neutralitätsgebot stellte zwar sicher, dass polizeiliche Zusammenarbeit über politische Systemgrenzen hinweg möglich war. Andererseits stellt es die Organisation immer wieder vor besondere Herausforderungen – zum Beispiel, wenn autoritäre Staaten ihre Fahndungssysteme zum Zwecke der politischen Verfolgung missbrauchen.

Wie weit darf die Zusammenarbeit mit Staaten gehen, die die Menschenrechte aus den Augen verlieren oder sogar mit Füßen treten?

Wie weit darf der Informationsaustausch mit solchen Staaten gehen, um effektive Polizeiarbeit zu gewährleisten?

Und wo müssen die Grenzen des Pragmatismus gezogen werden, damit Polizeiarbeit auch zukünftig durch gemeinsame Werte getragen wird?

Diese Fragen lassen sich nicht pauschal beantworten. Aber wir sollten sie uns immer wieder stellen – gerade auch vor dem Hintergrund der 100-jährigen Geschichte von Interpol und unserer eigenen deutschen Geschichte, die sehr schmerzlich gezeigt hat, welche Folgen die Zerstörung von Rechtsstaatlichkeit haben kann.

Sicherheit muss deshalb immer Hand in Hand mit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit gehen. Sicherheit ist kein Selbstzweck. Hier müssen wir alle sehr wachsam bleiben und rechtsstaatliche Strukturen entschlossen verteidigen!

Interpol ist hier bereits einen weiten Weg gegangen und hat nicht zuletzt unter Leitung von Prof. Stock eigene Instanzen und Kontrollmechanismen geschaffen, um den Missbrauch von Daten und Fahndungssystemen zu verhindern. Das muss weiter ausgebaut werden – ohne dabei den Datenaustausch so zu erschweren, dass die praktische polizeiliche Arbeit unmöglich wird.

Diese Aufgaben müssen wir gemeinsam anpacken und hierbei müssen wir Interpol auch in Zukunft fördern und unterstützen. Denn nur mit Interpol kann unsere Welt sicherer werden!