BKA Gedenkveranstaltung anlässlich des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust sowie Unterzeichnung einer gemeinsamen Vereinbarung BKA und ZR zum Thema Antiziganismus
Rede 27.01.2023
Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
BKA Berlin
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Rednerin oder Redner
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Rose,
sehr geehrter Herr Präsident Münch,
sehr geehrter Herr Dr. Daimagüler,
sehr geehrte Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Dr. Klinke,
sehr geehrter Herr Ziercke,
sehr geehrter Herr Pfeil,
sehr geehrter Herr Dainow,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die letzten Gefangenen des Vernichtungslagers Auschwitz. Dieser Tag der Befreiung kam zu spät für Millionen von Menschen. Auch mehr als 500.000 Sinti und Roma sind zwischen 1939 und 1945 unter der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ermordet worden: ein systematischer Völkermord unfassbaren Ausmaßes.
Wir erinnern heute an das Schicksal der im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Wir erinnern an die Überlebenden, die ihre Angehörigen verloren haben. Und wir fühlen mit den Nachfahren, die bis heute nicht nur mit der Trauer und dem Leid der Vergangenheit leben müssen, sondern auch mit den bis heute bestehenden Vorurteilen, Hassbotschaften und Angriffen.
Lieber Herr Pfeil,
auch Sie und Ihre Familie haben schreckliches Leid erfahren. Ich bin tief berührt von Ihrem Engagement und Ihrem unermüdlichen Kampf gegen das Vergessen. Ich verspreche Ihnen hier und heute: Wir werden bei der Bekämpfung von Antiziganismus nicht nachlassen!
Die Erinnerung an das unfassbare, unbegreifliche und ungeheuerliche Morden der Nationalsozialisten wurde in Deutschland lange verdrängt. Eine Kehrtwende war die Entscheidung des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog vor 25 Jahren, dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einen Rahmen zu geben, in Form des heutigen Gedenktages.
So symbolisiert der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz den letztlichen Sieg des Rechtes und der Menschlichkeit. Er steht für das Ende einer qualvollen Zeit der Brutalität und Unmenschlichkeit, der Verfolgung und Vernichtung von Menschenleben.
In der ersten Gedenkstunde im Deutschen Bundestag im Jahr 1996 drückte es Roman Herzog so aus: “ […] die entscheidende Aufgabe ist es heute, eine Wiederholung – wo und in welcher Form auch immer – zu verhindern. Dazu gehört beides: die Kenntnis der Folgen von Rassismus und Totalitarismus und die Kenntnis der Anfänge, die oft im Kleinen, ja sogar im Banalen liegen können.“
Auch nach der Befreiung des KZ Auschwitz musste die Gemeinschaft der Sinti und Roma die schmerzhafte Erfahrung machen, dass ihre Diskriminierung nicht beendet war. Ausgrenzung hat auch das Leben der Angehörigen und Nachfahren der Getöteten geprägt. Die politische Anerkennung des Völkermords fand erst Jahrzehnte später statt und wäre ohne die Bürgerrechtsarbeit der Sinti und Roma selbst nicht vorstellbar.
Der heutige Gedenktag mahnt uns, Verantwortung zu übernehmen. Auch heute noch erleben Sinti und Roma in unserem Land Herabwürdigung – in der Kita und in der Schule, in Behörden und in Arztpraxen, bei der Bewerbung um eine Arbeitsstelle oder eine Wohnung.
Dass unter den Opfern des rassistischen Anschlags in Hanau im Frühjahr 2020 auch Sinti und Roma waren, zeigt, welcher tödlichen Gefahr sie weiterhin ausgesetzt sind. Es ist inakzeptabel, das Rassismus und Gewalt immer noch zum alltäglichen Leben von Sinti und Roma in Deutschland gehören!
Die deutschen Polizeibehörden registrieren jedes Jahr mehr als 100 antiziganistische Straftaten. Und leider müssen wir davon ausgehen, dass es ein erhebliches Dunkelfeld gibt. Ich sage ganz klar: Jede dieser Straftaten ist eine zu viel! Wir müssen alles daransetzen, diese Straftaten ebenso wie auch Angriffe unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu verhindern.
Dafür braucht es eine Polizei, die Antiziganismus erkennt, erfasst und entschlossen bekämpft. Die Aufnahme der IHRA-Definition für Antiziganismus in den Themenfeldkatalog des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität ist dafür ein wichtiger Baustein. Denn sie steht beispielhaft für das Bestreben, ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus zu schaffen und die Polizei im Kampf gegen Antiziganismus weiter zu sensibilisieren – auch für eigene Vorurteile.
Ich möchte an dieser Stelle aber betonen: Die Arbeit der Polizei, der Sicherheitsbehörden allein wird nicht ausreichen, um Antiziganismus zu bekämpfen. Im Gegenteil: Tief verwurzelte rassistische Vorurteile einzudämmen und zu beenden, ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
Klar ist: Wir müssen Antiziganismus, wo er sich offen zeigt, mit aller Konsequenz strafrechtlich verfolgen. Aber mindestens ebenso wichtig sind langfristig angelegte Maßnahmen der Prävention, der politischen Bildung und der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Ich bin froh, dass die Bundesregierung sich dessen angenommen hat. Wir haben in dieser Legislaturperiode den ersten Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland ernannt. Herr Dr. Daimagüler ist heute auch hier unter uns, was mich persönlich sehr freut. Ich bin sicher, dass Sie und auch Herr Dr. Klinke uns später noch mehr darüber berichten werden, was die Bundesregierung im Kampf gegen Antiziganismus tut. Deshalb möchte ich nur wenige Projekte herausgreifen:
Im Februar 2022 haben wir die nationale Strategie “Antiziganismus bekämpfen, Teilhabe sichern!“ beschlossen. Was mir besonders wichtig war: Anstatt über Politik für Sinti und Roma nur zu sprechen, wollen wir gemeinsam mit Sinti und Roma ihre politische Teilhabe gestalten. Die in diesem Zusammenhang eingerichtete Nationale Roma Kontaktstelle wird den Dialog mit der Community fördern und institutionalisieren.
Ich unterstütze aber auch ausdrücklich die Einrichtung von unabhängigen, zivilgesellschaftlichen Monitoring- und Informationsstellen, die antiziganistische Übergriffe unterhalb der Strafbarkeitsschwelle erfassen – denn von dem großen Dunkelfeld habe ich bereits gesprochen. Schon drei dieser Meldestellen haben ihre Arbeit aufgenommen – weitere sollen folgen.
Herausheben möchte ich außerdem die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie macht mit zahlreichen Angeboten und Projekten die Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland sichtbar und leistet einen großen Beitrag bei der Präventionsarbeit.
Die deutschen Sicherheitsbehörden tragen eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antiziganismus. Dazu gehört auch, sich kritisch mit der eigenen Geschichte zu befassen, Fehlentwicklungen zu korrigieren und Herangehensweisen immer wieder zu überprüfen.
Lieber Herr Ziercke,
das Bundeskriminalamt hat auf Ihre Initiative hin im Jahr 2007 als eine der ersten Sicherheitsbehörden mit einer solchen kritischen geschichtlichen Aufarbeitung begonnen. Die Erkenntnisse aus dem Historienprojekt und der Kolloquienreihe haben Eingang in die polizeiliche Aus- und Fortbildung und auch die tägliche Arbeit des BKA gefunden.
Die heutige Veranstaltung ist ein Resultat Ihrer Arbeit. Wir gehen heute einen weiteren Schritt auf einem Weg, bei dem sich die Polizei selbst hinterfragt und ihre Arbeit im Austausch mit der Zivilgesellschaft weiterentwickelt. Ich möchte Ihnen, lieber Herr Ziercke, sehr herzlich für Ihr Engagement, Ihre Beharrlichkeit und Ihre Weitsicht danken!
Meine Damen und Herren,
wir müssen uns unserer historischen Verantwortung bewusst sein und Antiziganismus mit aller Kraft bekämpfen.
Ein wehrhafter demokratischer Rechtsstaat braucht eine Polizei, die schon die Anfänge von Antiziganismus nicht nur erkennt, sondern ihnen entschlossen entgegentritt.
Ich bin stolz, dass das BKA sich dazu heute klar bekennt und die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma weiter stärkt. Diese Zusammenarbeit ist ein herausragendes Beispiel für eine Partnerschaft auf Augenhöhe.
Dafür danke ich Ihnen allen. Vor allem Ihnen, Herr Rose, und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Zentralrat der deutschen Sinti und Roma für Ihr unermüdliches Engagement. Und ich danke Ihnen, Herr Präsident Münch, und allen Kolleginnen und Kollegen im BKA dafür, dass Sie die heute zu schließende Vereinbarung mit Leben füllen werden.