"Nationale Sicherheitsstrategie – Gemeinsam für mehr Sicherheit"
Rede 15.11.2022
Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Rauchstraße 17/18, 10787 Berlin
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Rednerin oder Redner
Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, dass wir heute gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eine Veranstaltung zur Nationalen Sicherheitsstrategie durchführen. Mein ganz besonderer Dank gilt dem Direktor der DGAP, Herrn Dr. Guntram Wolff.
Es ist wunderbar, dass Sie so zahlreich der Einladung zur heutigen Veranstaltung gefolgt sind. Ich begrüße die Mitglieder des Deutschen Bundestages, die Exzellenzen der Botschaften, die Vertretungen der Länder, die Leitungen der Geschäftsbereichsbehörden meines Hauses, die Angehörige der Medien und alle anderen Interessierten und Gäste ganz herzlich!
Meine Damen und Herren,
wenn Terroristen versuchen, in Deutschland Anschläge zu verüben, dann geben wir darauf innenpolitische Antworten.
Wenn fremde Staaten mit Desinformationskampagnen unsere Gesellschaft spalten wollen, dann muss die Innenpolitik reagieren.
Wenn Migration nach Europa instrumentalisiert wird, um Druck auf unsere offenen Gesellschaften auszuüben, dann ist es Sache der Innenpolitik, dem zu begegnen.
Die Innenpolitik ist auch dann gefragt, wenn unsere Kritischen Infrastrukturen oder unsere digitale Kommunikation angegriffen werden. Wenn durch die Folgen der Klimakrise immer mehr Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen geschehen. Oder wenn durch Diebstahl von Technologien unsere Wirtschaft und unsere Wissenschaft gefährdet werden.
Das alles sind Bedrohungen von außen, auf die wir innenpolitische Antworten geben müssen. Ich habe es schon oft gesagt und ich sage es auch hier: Unsere äußere und innere Sicherheit sind aufs Engste miteinander verwoben. Und es braucht eine starke Innenpolitik, um Sicherheit in und für unser Land zu gewährleisten.
Deshalb steht die Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie ganz weit oben auf der innenpolitischen Agenda und damit der Agenda meines Hauses. Und die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ist genau der richtige Ort, um diese enge Verknüpfung von innerer und äußerer Sicherheit zu unterstreichen.
Die Nationale Sicherheitsstrategie soll die Rolle Deutschlands für Frieden und Sicherheit in der Welt einordnen. Und auch die Bedrohungen der inneren Sicherheit werden in dieser Strategie eine große Rolle spielen.
Das ist wichtig und es ist notwendig. Denn die Innenpolitik hat seit jeher auch Antworten auf äußere Bedrohungslagen gegeben. Und damit ist die scharfe Trennlinie zwischen innerer und äußerer Sicherheit, die in der bundesdeutschen Debatte bisher gezogen wurde, schon längst von der Realität überholt worden. Dieser Realität tragen wir als Koalition unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz jetzt Rechnung.
Meine Damen und Herren,
in Deutschland haben wir die Trennung der äußeren und der inneren Sicherheit nach 1949 besonders strikt und konsequent vorgenommen. Das war eine richtige Reaktion auf den Machtmissbrauch der bewaffneten Kräfte in der Weimarer Republik und der NS-Diktatur.
Dabei ging es vor allem um institutionelle Fragen. Aber wenn wir die Diskussion darauf reduzieren, dann ignorieren wir, dass bei den aktuellen Bedrohungen und Gefahren die Grenze zwischen den beiden Sphären zunehmend verschwimmt. Und das wäre – gerade jetzt – fahrlässig!
Meine Damen und Herren,
der furchtbare, völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine rüttelt uns als Gesellschaft auf. Und dieser Krieg rüttelt an alten Gewissheiten – der Bundeskanzler hat das zu Recht als Zeitenwende beschrieben.
Vielen Menschen in Deutschland wird gerade klar, dass unsere Sicherheit eben nicht selbstverständlich ist – sondern dass wir etwas für sie tun müssen. Putins Krieg hat uns die Verwobenheit von innerer und äußerer Sicherheit schmerzlich vor Augen geführt. Denn die geopolitischen Verschiebungen, die wir gerade erleben, haben massive Auswirkungen auf die Sicherheitslage in unserem Land:
- Wir verzeichnen seit Beginn des Krieges eine stark erhöhte Gefährdungslage durch Cyberangriffe.
- Wir sind betroffen von hybriden Bedrohungen, zum Beispiel durch Desinformationskampagnen.
- Unsere Kritischen Infrastrukturen stehen ganz besonders im Fokus derjenigen, die uns schaden wollen.
Das alles sind Bedrohungen, die nach innenpolitischen Antworten verlangen. Diese Antworten geben wir im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie – aber wir geben sie auch jeden Tag ganz konkret durch das Handeln meines Ministeriums und unserer Sicherheitsbehörden.
Drei Grundsätze sind dabei für mich zentral:
- Wir müssen unsere freiheitliche Demokratie und unseren Rechtsstaat verteidigen.
- Wir müssen als Staat und Gesellschaft widerstandsfähiger werden.
- Wir brauchen ein neues Sicherheits- Bewusstsein bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes.
Die erste und oberste Priorität der Nationalen Sicherheitsstrategie ist für mich der Schutz und die Verteidigung der freiheitlich-demokratisch verfassten Gesellschaft in Deutschland. Und damit ist nicht nur der Schutz jedes Einzelnen gemeint. Es geht ums Ganze – um die Art und Weise, wie wir leben. Um den Schutz unseres demokratischen und rechtsstaatlichen Systems.
Denn viele der Akteure, die unsere innere Sicherheit bedrohen – Terroristen, Extremisten, und auch staatliche Akteure haben zum Ziel, unsere Gesellschaft zu spalten. Sie wollen uns schwach und unsere Demokratie instabil erscheinen lassen. Sie wollen elementare Bereiche der Daseinsvorsorge stören, das Vertrauen in unseren Staat erschüttern. Und sie wollen letztlich die Menschen in Angst versetzen.
Es ist deshalb essentiell, dass wir Deutschland im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie besser gegen hybride Bedrohungen aufstellen!
Desinformationskampagnen von fremden Staaten sind dafür ein besonders ressourcenstarkes wirkmächtiges Beispiel: Weil sie das Ziel verfolgen, bestehende gesellschaftliche Konflikte und Debatten zu verschärfen. Das Ziel, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben. Und das Ziel, Wut und Hass zu schüren.
Wir halten dagegen:
- indem wir die Kanäle stilllegen, die ausschließlich zur Verbreitung von Falschinformationen dienen,
- indem wir Plattformen auffordern, besonders drastische Falschinformationen zu löschen,
- und indem wir mit Debunking dafür sorgen, dass den Falschinformationen richtige Informationen aus seriösen Quellen entgegengesetzt werden.
Was aber bei der Bekämpfung von Desinformation das Wichtigste ist: Jeden Tag aufs Neue hart daran zu arbeiten, dass sie nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Wir müssen die Resilienz der Bevölkerung gegen Desinformation stärken. Nur so können wir unsere Demokratie dauerhaft und nachhaltig verteidigen!
Meine Damen und Herren,
der zweite innenpolitische Bereich mit hoher Priorität ist für mich, unserem Land mehr Widerstandskraft zu geben.
Denn die Anzahl, und auch die Komplexität der Krisen, mit denen wir gleichzeitig konfrontiert sind, hat in den letzten Jahren enorm zugenommen: Pandemie, Extremwetter, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, hybride Bedrohungen oder Angriffe auf die Kritische Infrastruktur machen nicht an Ländergrenzen halt – und sie richten sich auch nicht nach Ressortzuständigkeiten.
Die Herausforderungen sind enorm – aber wir nehmen sie an!
Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie legen wir Prioritäten fest, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Aus meiner Sicht haben der Bevölkerungsschutz und die Cybersicherheit bei der Stärkung der Widerstandskraft unseres Landes oberste Priorität.
Und daran arbeitet mein Haus bereits seit geraumer Zeit. Im Juli dieses Jahres hat das Bundeskabinett die unter meiner Federführung erarbeitete Resilienzstrategie beschlossen. Sie benennt im Bevölkerungsschutz bei der Katastrophenhilfe konkrete Felder, auf denen wir dringend Veränderungen brauchen.
Wir haben mit dem so genannten „kooperativen Föderalismus“ beim Bevölkerungsschutz eine sehr interessante Verantwortungs- und Aufgabenverschränkung - um es ganz freundlich zu formulieren. Leider hält sich die Realität nur nicht zwangsläufig daran, wie unsere Ebenen aufgeteilt sind. Denn Gefahren und Katastrophen machen nicht an Ländergrenzen halt.
Deshalb ist es unglaublich wichtig, dass alle Ebenen im Ernstfall an einem Strang ziehen und aufeinander abgestimmt handeln. Um das sicherzustellen, haben wir im Juni das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz eingerichtet. Denn ich bin überzeugt: ein effektiver Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren und Katastrophen darf niemals an Zuständigkeitsfragen oder schlechter Kommunikation zwischen Bund, Ländern und Kommunen scheitern!
Meine Damen und Herren,
ich habe eingangs bereits erwähnt, dass sich auch im Cyberraum die Gefährdungslage durch den Krieg in der Ukraine enorm erhöht hat. Wir haben alle Schutzmaßnahmen seit Kriegsbeginn deutlich hochgefahren, damit unsere Netze, Daten und auch unsere kritischen Infrastrukturen bestmöglich vor digitalen Angriffen geschützt sind.
Dieser Abwehr-Modus darf aber nicht davon ablenken, dass wir uns mit der Cybersicherheitsarchitektur auch ganz grundlegend beschäftigen müssen – und auch hier geht es wieder um das Verhältnis von Bund und Ländern in unserem föderalen System.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, unterstützt schon heute die Länder soweit wie möglich. Wir stoßen aber in der Zusammenarbeit immer wieder an verfassungsrechtliche Grenzen. Deshalb wollen wir das BSI zur Zentralstelle im Bereich der Cyber- und Informationssicherheit ausbauen. Damit können wir eine dauerhafte und institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ermöglichen.
Darüber hinaus braucht der Bund dringend gefahrenabwehrende Befugnisse, mit denen Cyberangriffe verhindert, beendet oder zumindest abgeschwächt werden können. Wir werden deshalb dem Bund die führende Rolle in der Abwehr von Cyber-Gefahren geben und das auch im Grundgesetz verankern.
Meine Damen und Herren,
Sie sehen: Oft sind Herausforderungen, die wir im Bereich der Sicherheit und Gefahrenabwehr haben, in der Architektur unseres föderalen Systems begründet. Oder sie entstehen aus Zuständigkeits-verteilungen zwischen den Ressorts. Ich bin überzeugt: Wenn wir mehr Widerstandskraft wollen, müssen wir das angehen – und dafür ist die Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie eine große Chance!
Dazu gehört auch:
Wir brauchen einen neuen Ansatz zur Krisenbewältigung. Und dieser Ansatz muss dem in der Nationalen Sicherheitsstrategie enthaltenen Konzept der „integrierten Sicherheit“ entsprechen.
Ich will, dass das Ressortprinzip in Bedrohungslagen und in Krisen durch einen Krisen-Koordinierungsstab der Bundesregierung ersetzt wird. So können wir Kompetenzen in Bedrohungslagen schneller zusammenführen. Der Krisen-Koordinierungsstab wäre eine jederzeit verfügbare Struktur, die von allen Ressorts genutzt werden kann -damit wir früh reagieren, schnell reagieren und gemeinsam reagieren!
Wie das aussehen kann, zeigt mein Haus bereits jetzt beim Schutz unserer Kritischen Infrastruktur. Zu diesem Thema haben wir bereits eine Koordinierungsstelle der einzelnen Ressorts auf Ebene der Staatssekretäre ins Leben gerufen. Dort tauschen wir uns auf hochrangiger Ebene über aktuelle Bedrohungslagen in unterschiedlichen Bereich der Kritischen Infrastruktur aus.
Parallel dazu erarbeiten wir das KRITIS-Dachgesetz. Damit wird der Schutz Kritischer Infrastrukturen in ein europäisches Gesamtsystem eingebettet. Wenn es in einem anderen EU-Land eine Störung bei Kritischen Infrastrukturen mit möglicher Auswirkung auf Deutschland gibt, werden wir das künftig noch früher erfahren. So stärken wir die Versorgungssicherheit – und damit unsere Widerstandskraft. Und damit die Nationale Sicherheit Deutschlands.
Meine Damen und Herren,
wenn Sie mich fragen: Frau Faeser, was ist das wichtigste Kriterium für unsere nationale Sicherheit? Wie schaffen wir es, uns als Gesellschaft vor all diesen komplexen Gefahren und Bedrohungen zu schützen? Dann lautet meine Antwort: Gemeinsam.
Gemeinsam innerhalb der Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern, gemeinsam mit den Fachleuten aus Wirtschaft und Gesellschaft, und auch: gemeinsam mit jeder Bürgerin und jedem Bürger.
Damit die Nationale Sicherheitsstrategie Wirkung entfaltet, muss „gemeinsam“ aber noch mehr heißen: Wir brauchen in unserer Gesellschaft und bei jedem Einzelnen ein tief verankertes Bewusstsein, dass unsere freiheitliche Demokratie, unser Rechtsstaat und auch unsere Sicherheit keine Selbstverständlichkeit sind. Dass sie ernsthaft bedroht sind. Und dass jede und jeder Einzelne sich für sie einsetzen muss. Jeden Tag!
Sehr lange haben wir als Gesellschaft die Einstellung gehabt: „Es wird schon irgendwie gut gehen.“ Und wenn doch mal etwas passiert, dann ist das woanders – nicht bei uns. Oder es ist eine Ausnahme, ein singuläres Ereignis.
Leider haben uns die letzten Jahre mit all ihren Krisen und Unsicherheiten gezeigt, dass das nicht stimmt. Wir können uns eben nicht darauf verlassen, dass es „schon irgendwie gut geht“. Wir haben uns zu lange zu sicher gefühlt. Deshalb müssen wir jetzt mit aller Kraft die großen Versäumnisse der letzten Jahre und Jahrzehnte aufholen.
Für mich ist klar: Wir brauchen ein neues Bewusstsein für Sicherheit in der Bevölkerung:
- Dazu gehört, dass jeder wissen muss, wie er im Ernstfall sich selbst und andere schützen kann.
- Dazu gehört, dass noch mehr Menschen sich ehrenamtlich für unser aller Sicherheit engagieren – zum Beispiel bei THW und Feuerwehr. Und allen die das schon tun, danke ich von ganzem Herzen.
- Dazu gehört, dass auch Unternehmen die Ziele der Nationalen Sicherheitsstrategie unterstützen – zum Beispiel indem sie ihre IT-Systeme sicherer machen.
Es kommt auf jeden und jede Einzelne an.
Es ist deshalb essentiell, in der Nationalen Sicherheitsstrategie verbindliche Verabredungen zur aktiven Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger zu treffen – und damit meine ich nicht, Informations-plattformen ins Netz zu stellen und dann zu sagen „Da kann sich ja jeder informieren.“
Stattdessen müssen wir aktiv auf die Menschen zugehen, informieren, werben, überzeugen. Nur gemeinsam erreichen wir als Gesellschaft die Widerstandskraft, die wir brauchen.
Dazu möchten wir ab 2023 gemeinsam mit den Ländern einen Bevölkerungsschutztag einführen. An diesem Bevölkerungsschutztag können wir für Schutzmaßnahmen des Staates, aber auch für die Vorsorge, die jeder selbst treffen kann, werben. So können Menschen sich selbst, ihre Familien und Nachbarn besser schützen. So können wir die Resilienz unserer Gesellschaft insgesamt stärken. Wir wollen Sicherheit und Handlungsstärke vermitteln. Und das, ohne Angst zu verbreiten.
Meine Damen und Herren,
die Nationale Sicherheitsstrategie wird unsere freiheitliche, offene und demokratische Gesellschaft ein großes Stück voranbringen. Ihre Entwicklung ist gerade in Zeiten neuer Bedrohungen und massiver geopolitischer Veränderungen von allergrößter Wichtigkeit.
Aber: allein mit der Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie sind wir nicht automatisch sicher. Alle Ebenen, alle Ressorts und vor allem alle unsere Sicherheitsbehörden müssen sie entschlossen umsetzen. Und dafür brauchen sie die Unterstützung von uns allen!
Packen wir es an.