Bundestagsdebatte zum Thema „Antisemitismus bekämpfen – Erinnern heißt handeln“
Rede 09.11.2022
Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Deutscher Bundestag
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Rednerin oder Redner
Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
heute vor 84 Jahren setzten staatlich organisierte Schlägertrupps jüdische Gotteshäuser und Geschäfte in Brand. Tausende von Jüdinnen und Juden wurden aus ihren Wohnungen gezerrt, öffentlich gequält und gedemütigt, verhaftet, getötet. Es war der Beginn des größten Massen- und Völkermords in unserer Geschichte.
Diese barbarischen Taten fanden in ganz Deutschland für alle sichtbar statt. Unter dem Gejohle von Anwohnern und Nachbarn. Es gab, bis auf Einzelfälle, keine Gegenwehr oder Unterstützung für die jüdischen Nachbarn. Sie waren der Gewalt schutzlos ausgeliefert. Familien, die über Generationen geschätzte und verdiente Bürgerinnen und Bürger waren, wurden ausgestoßen, misshandelt, ermordet.
Die Nacht des 9. November 1938 bleibt für immer eine Nacht der Schande für unser Land!
Die Erinnerung daran darf niemals verblassen. Sie ist der Auftrag, dass sich so etwas niemals wiederholen darf. Sie mahnt uns, dass wir Antisemitismus immer und mit aller Kraft entgegentreten müssen!
Meine Damen und Herren,
der Antisemitismus ist weder 1945 verschwunden, noch ist er – wie manche behaupten – erst durch Zuwanderung wieder nach Deutschland gekommen. Nein, er war immer da. Und zwar nicht nur an den Rändern, sondern auch mitten in unserer Gesellschaft – das zeigen uns Studien und Erhebungen immer wieder ganz klar.
Seit Jahren verzeichnen wir einen kontinuierlichen Anstieg antisemitischer Straftaten. Oft sind es sogenannte Volksverhetzungsdelikte. Aber dass aus Worten Taten folgen können, hat uns der Anschlag auf die Synagoge in Halle gezeigt. Ich schäme mich dafür, dass in diesem Land jüdische Kitas und Schulen noch immer von der Polizei bewacht werden müssen!
Meine Damen und Herren,
der antisemitische Verschwörungswahn hat während der Corona-Pandemie Zulauf bekommen. Und antisemitische Stereotype tauchen auch in vermeintlich aufgeklärten Milieus immer wieder auf – das konnten wir gerade erst auf der documenta in Kassel schmerzvoll beobachten.
Klar ist: Antisemitismus bedroht nicht allein Juden, er bedroht uns alle. Dieser Satz kann schnell wie eine Plattitüde klingen. Aber er bringt es auf den Punkt: Der Antisemitismus ist ein Feind aller Jüdinnen und Juden und zugleich der Feind aller Demokratinnen und Demokraten!
Die Bekämpfung von Antisemitismus muss uns allen ein Anliegen sein. Denn Antisemitismus ist niemals harmlos. Egal, ob er aus dem rechtsextremen, dem linksextremen oder dem islamistischen Milieu stammt, egal ob er an einem Stammtisch oder in einer Moschee verbreitet wird. Oder, ob es um israelfeindlichen Antisemitismus geht – und hier möchte ich auch das Münchener Olympia-Attentat 1972 nennen.
Wir werden deshalb nicht müde, jede Form von Antisemitismus entschlossen zu bekämpfen. Dabei gehören Politische Bildung, Prävention und das entschlossene Handeln unserer Sicherheitsbehörden zusammen. Das ist der Kern meines Aktionsplans gegen Rechtsextremismus.
Zusätzlich erarbeiten wir gerade die erste Nationale Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Diese Strategie wird ein Werkzeug sein, um Antisemitismus noch besser und zielgerichteter zu begegnen.
Glücklicherweise gibt es in Deutschland eine starke und lebendige Zivilgesellschaft, die mit Engagement und Beharrlichkeit die Antisemitismusarbeit unterstützt. All den engagierten Menschen gilt dafür mein ausdrücklicher Dank! Gleichzeitig brauchen sie verlässliche Grundlagen für ihre Arbeit. Dazu werden wir Ende des Jahres mit einem Demokratiefördergesetz beitragen.
Meine Damen und Herren,
heute geht es zuallererst darum, dass wir den Millionen Opfern gedenken und uns ihrer erinnern. Und doch hört man immer wieder, dass damit nun endlich einmal Schluss sein müsse. Bis zu einem Drittel der Bevölkerung denkt laut Umfragen so oder so ähnlich. Und oft wird behauptet, es gehe dabei um einen Schuldvorwurf.
Aber wer so argumentiert, hat den Sinn und Zweck von Erinnerung nicht verstanden. Es geht darum – so hat es Josef Schuster einmal gesagt: „… dass auch die nachfolgenden Generationen lernen, wozu Menschen fähig sind. Sie sollen verstehen, warum in unserem Staat die Achtung der Menschenwürde und der Schutz von Minderheiten so wichtig genommen werden.“
Und wer in diesem Zusammenhang von einem „Vogelschiss“ oder von einer „Auschwitz-Keule“ spricht, verhöhnt die Opfer der Shoa.
Wir werden nie vergessen! Und wir werden alles tun, damit was geschah nie wieder geschieht!
Ich danke Ihnen.