Gedenkstunde zum 1. Jahrestag der Flutkatastrophe in Euskirchen

Typ: Rede , Datum: 14.07.2022

Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Rednerin oder Redner

    Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Innenminister Reul,
sehr geehrter Herr Landrat Ramers,
sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Bundeswehr, der Kreispolizei, des Polizeipräsidiums Köln, der Bundespolizei, der Feuerwehr, des THW, des Deutschen Roten Kreuzes, des Malteser Hilfsdienstes und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft,
sehr geehrte Frau von Laufenberg, 

heute vor einem Jahr erlebten tausende Menschen hier im Kreis Euskirchen die wohl schlimmsten Stunden ihres Lebens. 

Straßen wurden zu reißenden Flüssen. Die unglaubliche Kraft des Wassers riss alles mit sich: Häuser, Brücken, Schulen, Autos – und auch Menschen. 

Viele standen bis zum Hals im Wasser. Haben ihr Zuhause verloren. Mussten dabei zusehen, wie ihre wirtschaftliche Existenz überflutet wird. Viele wurden zum Teil schwer verletzt. 26 Menschen im Kreis Euskirchen haben in der Flutnacht ihr Leben verloren. An sie und ihre Hinterbliebenen, an ihre Freunde und Familien denken wir heute. 

[einige Sekunden Redepause] 

Meine Damen und Herren, 

alles, was wir heute über die entsetzliche Flutkatastrophe sagen können, ist nur ein kleiner Ausschnitt. Weil das Ausmaß dieser Katastrophe so unvorstellbar ist. Die Gedanken an die Toten, die Verletzten und die vielen betroffenen Menschen machen mich noch immer fassungslos und traurig. 

Es war mir deshalb ein großes Anliegen, heute hier mit Ihnen im Kreis Euskirchen gemeinsam der Ereignisse vom letzten Juli zu gedenken und den vielen Helferinnen und Helfern zu danken – stellvertretend für viele Orte in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. 
Mein großer, tiefempfundener Dank gilt dabei besonders all denen, die in dieser schrecklichen Notsituation geholfen und Menschenleben gerettet haben – oft bis zur vollkommenen Erschöpfung: 

Den Einsatzkräften von Feuerwehr und Polizei, der Bundeswehr, dem Technischen Hilfswerk und den vielen Hilfsorganisationen, die heute hier vertreten sind: DLRG, Malteser, ASB, DRK und viele, viele mehr. 

Sie haben Ihr eigenes Leben riskiert um andere Menschen zu retten. Einsatzkräfte sind in Schlauchboten durch die reißenden Fluten gefahren, weil sie mit ihren Fahrzeugen die Einsatzorte nicht mehr erreichen konnten. 

Viele Kameradinnen und Kameraden der Feuerwehr, die in der Flutnacht geholfen haben, waren selbst betroffen. Haben ihre Wohnungen und Häuser verloren und sind zeitgleich woanders den Einsatz mitgefahren. 

Dann die bedrohliche Situation an der Steinbach-Talsperre: Mit einer riesigen Gemeinschaftsleistung unterschiedlicher Einsatzkräfte haben Sie unter sehr gefährlichen Bedingungen dafür gesorgt, dass die Talsperre hält und damit tausende Orte vor der kompletten Überflutung bewahrt. Dafür gebührt Ihnen mein unschätzbarer Dank! 

Und ich möchte auch den vielen, vielen Freiwilligen danken, die kamen um zu helfen. Den Landwirten, die mit ihren Treckern kamen. Den Fahrern von Abschleppwagen und anderen schweren Fahrzeugen, die in dieser Notsituation gebraucht wurden. Denen, die Hilfsgüter gesammelt und verteilt haben. Denen, die die Fluthelfer mit warmem Essen versorgt haben. Und denen, die den Menschen durch Beratung und Seelsorge Trost und Hoffnung gespendet haben. 

Sie alle sind während der Flutkatastrophe über sich hinausgewachsen. Und das werden wir Ihnen nie vergessen!

 
Meine Damen und Herren,

das ganze Ausmaß der Zerstörung wurde erst sichtbar, als sich das Wasser zurückgezogen hatte. Und das war ein weiterer traumatischer Moment für alle Betroffenen. Umso beeindruckender ist es, mit welch großer Entschlossenheit Sie sich sofort an den Wiederaufbau gemacht haben.

Dabei wurden Sie unterstützt von einer unglaublichen Anzahl von Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet. Von Freunden, Verwandten und Bekannten, die ihren Urlaub abgebrochen haben, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Von Landwirten, die ihre Ernte auf den Feldern stehen ließen. Von deutschlandweiten Spenden- und Hilfsaktionen. 

Ich habe von Unternehmern gehört, die noch in der Flutnacht neue Fenster und Heizungsanlagen für ihre Geschäfte bestellt haben. Die nicht eine Sekunde gezögert haben. Für die sofort klar war: Wir machen weiter.

 
Meine Damen und Herren,

wer heute, ein Jahr später, durch die Städte im Kreis Euskirchen läuft, kann die unglaubliche Kraft sehen, die aus dieser schrecklichen Katastrophe erwachsen ist. 

Natürlich sind die Flutschäden immer noch deutlich zu erkennen. Denn insgesamt sind im Kreis Euskirchen Sachschäden in Höhe von weit mehr als 1 Milliarde Euro entstanden.

Aber ein Großteil der Häuser ist wieder bewohnbar. Viele Geschäfte haben wieder geöffnet. Und wichtige Infrastruktur-einrichtungen wie Straßen, Brücken oder die Hauptbahnlinie nach Köln sind wieder nutzbar.

Und was mich wirklich am meisten beeindruckt, ist Ihr unglaublicher Optimismus in dieser schwierigen Lage. Wie Sie es geschafft haben, diese schreckliche Situation als Chance zu begreifen. Da gibt es den Einzelhändler, der gesagt hat: „Wir haben jetzt die Chance, Euskirchen zur modernsten Stadt Deutschlands zu machen.“ Und auch, wenn der Wiederaufbau noch viel Zeit und Energie kosten wird, kann man schon jetzt sehen, dass Sie das ernst meinen!

 
Meine Damen und Herren,

wenn eine Katastrophe dieses Ausmaßes geschieht, dann wird zu Recht die Frage gestellt: Wie konnte es dazu kommen? Und was können wir tun, um uns künftig besser zu wappnen? Deshalb hat die Bundesregierung intensiv an der Aufarbeitung der Ursachen für die Hochwasserkatastrophe mitgewirkt.

Für die Sicherheit der Menschen in Deutschland ist es zentral, dass alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – aus dieser Analyse die richtigen Konsequenzen ziehen. Zwei Punkte will ich dabei besonders hervorheben:

(1)        Wir haben uns viel zu lang in Sicherheit gewiegt. In den vergangenen Jahrzehnten hat Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nur wenige Naturkatastrophen erlebt. Durch den Klimawandel werden wir in Zukunft aber immer häufiger von Stürmen, Waldbränden und eben auch Starkregen betroffen sein.

(2)        Wir müssen uns deshalb sehr viel besser gegen die Folgen des Klimawandels und auch gegen andere Krisen wappnen. Das haben wir während der Corona-Pandemie gesehen. Und wir sehen es jetzt in Putins menschenverachtendem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wir brauchen auf allen Ebenen mehr Bewusstsein für die Risiken und Gefahren. Nur, wenn dieses Bewusstsein vorhanden ist, kann der Staat die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger im Katastrophenfall gewährleisten.

Für mich ist klar: Wir brauchen einen Neustart im Bevölkerungsschutz – und zwar auf allen Ebenen! Denn ein gut ausgestatteter und leistungsfähiger Bevölkerungsschutz ist entscheidend für die Sicherheit von uns allen.

Bei diesem Neustart muss der effiziente Schutz der Menschen im Vordergrund stehen – und nicht Zuständigkeitsdebatten oder Verwaltungsverfahren. Deshalb haben wir gemeinsam mit den Ländern das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz gegründet. An dieser Stelle möchte ich auch Innenminister Reul danken für sein Engagement für dieses wichtige Projekt. In dem Kompetenzzentrum werden frühzeitig gemeinsame Lagebilder erstellt und alle krisenrelevanten Informationen zusammengetragen. So können wir schneller reagieren, die Hilfeleistungen besser koordinieren und auch schneller warnen.

Dafür schaffen wir eine verlässliche und flächendeckende Warn-Infrastruktur und unterstützen den Ausbau kommunaler Sirenennetze in Deutschland. Wir sorgen für moderne Warnsysteme, mit denen jeder präzise Warnungen direkt aufs Handy bekommt. Denn wir haben alle im letzten Jahr erlebt, dass es in Krisenlagen auf jede einzelne Minute ankommt.

Und: Wir statten die Zivilschutz-Reserve des Bundes mit weiteren modularen Unterkünften und Versorgungs-möglichkeiten aus, damit Evakuierte gut versorgt werden können. Hier möchte ich insbesondere das Pilotprojekt „Labor 5000“ nennen – eine mobile Zeltstadt, die während der Flutkatastrophe bereits zum Einsatz gekommen ist – und sie wurde dringend gebraucht.

 
Meine Damen und Herren,

wir haben aus der Flutkatastrophe im letzten Jahr gelernt. Der Schutz unserer Bevölkerung bekommt nun endlich die Priorität, die er schon längst hätte haben müssen. Gestern habe ich im Kabinett die neue Resilienzstrategie der Bundesregierung vorgestellt – gemeinsam mit vielen weiteren Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz, die wir nun zügig umsetzen.

Viele fragen sich jetzt zu diesem Jahrestag: Kann so etwas wie im Juli 2021 nochmal passieren? Und die ehrliche Antwort lautet leider: Ja, Extremwetterlagen werden wir auch in Zukunft erleben. Aber wir werden darauf besser vorbereitet sein, als noch vor einem Jahr.

Mit diesem Jahrestag ist die Katastrophe nicht abgehakt. Die Ereignisse und der Wiederaufbau werden uns alle noch lange beschäftigen und mit Trauer erfüllen. Aber am heutigen Tag blicken wir zurück auf ein Jahr mit beeindruckenden Aufbauleistungen. Ein Jahr voller Zusammenhalt, gegenseitiger Anteilnahme und Unterstützung. Ein Jahr, in dem die Menschen hier im Kreis Euskirchen und auch an vielen anderen Orten über sich hinausgewachsen sind.

Und dafür möchte ich Ihnen allen im Namen der gesamten Bundesregierung meinen großen Dank aussprechen.