Abschlussveranstaltung des Projekts "Modellkommune Deradikalisierung"
Rede 05.05.2022
Grußwort der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Umweltforum Berlin
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Rednerin oder Redner
Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Augsburg, Bamberg, Berlin, Essen, Heidelberg und Wolfsburg.
Diese 6 Kommunen sind im letzten Jahr neue Wege gegangen, um Menschen für die Demokratie zurückzugewinnen.
Um diese Arbeit zu ermöglichen, hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat ein Jahr lang das Projekt „Modellkommune Deradikalisierung“ – kurz „MoDeRad“ gefördert.
Ich freue mich sehr, dass wir heute hier zusammenkommen können, um diese wichtige Arbeit zu würdigen. Toll, dass aus allen geförderten Kommunen heute Mitarbeitende hier sind. Und ein herzliches Willkommen auch allen anderen Gästen!
Meine Damen und Herren,
Menschen für unsere Demokratie durch Deradikalisierung zurückzugewinnen – diese Arbeit ist heute wichtiger als je zuvor. Denn Extremismus bedroht unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Rechtsextremismus, islamistischer Extremismus und andere demokratiefeindliche und menschenverachtende Einstellungen haben immer noch viel zu großen Zulauf.
Die derzeit größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus. Das sage ganz deutlich – es geht hier um Menschenleben: Die Morde des NSU, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, und die Anschläge von Halle und Hanau zeigen das sehr deutlich.
Die Anzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten ist weiter auf hohem Niveau. Seit vielen Jahren wächst die rechtsextreme Szene. Lange lag darauf zu wenig Fokus, deshalb gehen wir das nun hart und entschlossen an.
Aber auch der islamistische Extremismus ist noch immer eine große Gefahr für unsere Sicherheit und unsere offene Gesellschaft. Das haben wir in den letzten Jahren auf schreckliche Art und Weise erfahren: Zuletzt etwa durch den islamistisch motivierten Messerangriff am 4. Oktober 2020 in Dresden. Unvergessen bleibt der schreckliche Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz 2016.
Wir stehen außerdem vor der besonderen Situation, dass noch viele Deutsche im Ausland sind, die beim sogenannten IS waren. Diese Personen kommen nun (nach und nach) zu uns nach Deutschland zurück – und darauf müssen wir sehr wachsam reagieren.
Meine Damen und Herren,
die letzten zwei Jahre waren für uns alle von der Corona-Pandemie geprägt. Es gab hitzige Debatten über die Schutzmaßnahmen. Viele Menschen sind politisch aktiv geworden. Die meisten auf demokratische und legitime Art und Weise.
Das ist mir ganz wichtig zu betonen: Politisches Engagement von Bürgerinnen und Bürgern ist essentiell für unsere Demokratie – und dabei müssen wir auch sehr unterschiedliche Positionen aushalten können!
Aber was wir in den letzten zwei Jahren auch sehen konnten: Im Zuge der Proteste haben sich Menschen radikalisiert und sind bereit, Gewalt anzuwenden. Hass und Verschwörungstheorien haben sich immer weiterverbreitet. Das sehen wir im Netz, aber auch auf der Straße. Das wohl furchtbarste Beispiel dafür war die Tötung des jungen Tankwarts in Idar-Oberstein im vergangenen Jahr. Er hatte einen Kunden darauf hingewiesen, dass er seine Maske tragen soll.
Meine Damen und Herren,
diese Entwicklung können wir als Gesellschaft nicht hinnehmen! Es ist unerträglich, dass Menschen in Deutschland aus extremistischen Motiven angegriffen, verletzt und ermordet werden.
Jeder dieser Angriffe ist ein Schicksalsschlag, er macht einen Menschen und seine Angehörigen zu Opfern. Und diesen Opfern müssen wir uns als Gesellschaft noch viel stärker zuwenden.
Und genauso müssen wir uns fragen lassen: Wie konnte es dazu kommen? Was wurde getan, um diese Gewalt zu verhindern?
Diese Frage wird natürlich immer erstmal an die Sicherheitsbehörden gestellt. Und natürlich liegt hier auch ein zentrales Handlungsfeld im Kampf gegen Extremismus: Wir bekämpfen Finanzierungsmöglichkeiten, wir verfolgen strafrechtlich wo immer wir können, wir entwaffnen Extremisten konsequent.
Zu einem ganzheitlichen Ansatz der Extremismusbekämpfung gehört aber auch die Prävention, meine Damen und Herren. Sie ist ein zentraler Schlüssel, um zu verhindern, dass es gar nicht erst zu extremistischer Gewalt kommt. Das macht Ihre Arbeit so wichtig! Prävention bedeutet zum einen, dass wir bereits die Entstehung von extremistischen Einstellungen bekämpfen.
Aber Prävention bedeutet auch, dass wir Menschen dabei unterstützen, sich von extremistischen Einstellungen und aus extremistischen Milieus zu lösen. Dass wir sie für die Demokratie zurückgewinnen - mit gezielter Deradikalisierungsarbeit!
Denn bevor ein Mensch zum extremistischen Gewalttäter wird, hat er meist einen langen Weg hinter sich. Einen Weg mit vielen Kreuzungen, an denen er auch anders abbiegen könnte. Und es ist die Aufgabe der Deradikalisierungsarbeit, ihm zu zeigen: Hier musst du abbiegen! Du kannst einen anderen Weg wählen. Wir als Gesellschaft unterstützen dich dabei!
Meine Damen und Herren,
diese Deradikalisierungsarbeit findet ganz konkret zwischen Menschen statt. Sie ist dann erfolgreich, wenn sie vor Ort stattfindet, wo die Menschen leben: In den Städten und Landkreisen, in den Gemeinden und Stadtteilen (hier in Berlin sagt man im Kiez).
Es gibt nicht die eine Patentlösung - jede Kommune steht vor ihren eigenen Herausforderungen, die sie mit ihren eigenen Mitteln und Wegen lösen muss. Je nachdem wie die Situation vor Ort ist, kann und muss Deradikalisierungsarbeit ganz verschieden aussehen.
Die Lösungsansätze der Modellkommunen unseres Projektes sind dafür wunderbare Beispiele:
Wolfsburg hat Jugendhilfemaßnahmen für Familien konzipiert, die aus den jihadistischen Kampfgebieten zurückkehren. Sie bieten diesen Familien passgenaue Unterstützung an.
In Essen wurden Angebote für Mitläufer der rechtsextremen und gewaltbereiten Gruppe „Steeler Jungs“ entwickelt. Das Projekt hat eine gute Grundlage dafür geschaffen, lokalpolitisch besser auf die Gruppe reagieren zu können.
In Bamberg wurde eine Anlaufstelle eingerichtet für Menschen, die erkennen, dass sich in ihrem Umfeld jemand radikalisiert. Sie werden dort beraten und begleitet.
Augsburg hat eine kostenlose und anonyme Beratungshotline eingerichtet, die zum Thema Verschwörungsideologien berät.
In Berlin wurde ein Modell erarbeitet, wie Ärztinnen, Ärzte und andere Fachkräfte im Gesundheitsbereich in die Deradikalisierungsarbeit bei islamistischem Extremismus einbezogen werden können.
In Heidelberg wurde eine Onlineplattform entwickelt, die alle Beratungsangebote bündelt. Außerdem hat dort ein intensiver Austausch aller Akteure in der Stadt begonnen, die im Bereich der De-radikalisierung arbeiten.
Liebe Mitarbeitende der Modellkommunen,
Ihre Projekte haben Sie mir vorhin hier oben in der Galerie vorgestellt. Ich möchte Ihnen ganz herzlich Danke sagen: Sie haben die Herausforderung vor Ort erkannt, Sie haben Lösungen entwickelt und diese umgesetzt. Sie haben sich untereinander ausgetauscht und Ihre Erfahrungen geteilt. Und: Sie haben sich dabei nicht von den Einschränkungen und Schwierigkeiten durch die Corona-Pandemie unterkriegen lassen.
Ihre Erfolge sind das Kernstück von „MoDeRad“. Danke, dass Sie sich engagieren und danke, dass Sie Ihre Erfahrungen mit uns teilen. Damit helfen Sie anderen Kommunen bei der erfolgreichen Deradikalisierungsarbeit!
Ich möchte mich auch bei den Mitgliedern des Fachbeirats herzlich bedanken! Sie standen sowohl den Modellkommunen als auch dem BMI mit Rat und Tat zur Seite und haben mit Ihrem großen Expertenwissen viel zum Gelingen der Projekte in den Modellkommunen und dem gesamten Projekt beigetragen.
Meine Damen und Herren,
Maßnahmen zur Deradikalisierung sind dann erfolgreich, wenn sie passgenau sind. Es gibt, wie gesagt, keine Patentlösung, die für jede Stadt und jede Gemeinde passt. Oder für jede extremistische Einstellung gleichermaßen.
Darum ist es wichtig, dass der Bund und die Länder – neben all der wichtigen Beratungsarbeit, die schon stattfindet – die Kommunen bei der Arbeit vor Ort unterstützen. Wenn sich alle Ebenen gut abstimmen, kann auf der kommunalen Ebene die Arbeit der anderen Ebenen ergänzt werden.
Mit der Projektförderung über „Modellkommune Deradikalisierung“ ging es darum, herauszufinden: Wie ist das Interesse bei den Kommunen? Wo kann das BMI im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten unterstützen? Die Vielzahl der Bewerbungen hat gezeigt: Es gibt großes Interesse daran, sich auszutauschen und aktiv zu werden. Und es gibt viele gute Ideen!
Wir wollen an Ihre gute Arbeit anknüpfen und den Austausch fortsetzen. So können wir zukünftig Extremismus noch besser bekämpfen und Gewalt vorbeugen. Und Ihr Abschlussbericht soll noch mehr Kommunen befähigen, vor Ort Deradikalisierungsarbeit anzustoßen.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie uns gemeinsam deutlich machen: Wir als Gesellschaft akzeptieren weder Extremismus, noch Gewalt. Wir bekämpfen demokratiefeindliche und menschenfeindliche Einstellungen hart und entschlossen.
Gleichzeitig bleibt es möglich, einen anderen Weg zu wählen als Extremismus und Gewalt. Es gibt immer Auswege und wir als demokratische Gesellschaft unterstützen dabei, diesen Exit zu finden.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute eine interessante, spannende Veranstaltung.
Vielen Dank!