Jahresempfanges des Bundes der Vertriebenen
Rede 26.04.2022
Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Hotel Aquino Tagungszentrum Katholische Akademie - Hannoversche Str. 5b - 10115 Berlin-Mitte
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Rednerin oder Redner
Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Fabritius,
sehr geehrte Mitglieder der Landsmannschaften und Landesverbände, Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
meine Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Einladung! Es ist mir eine Ehre und Freude, auf dem Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich möchte zuerst die herzlichen Grüße und guten Wünsche der gesamten Bundesregierung, insbesondere aber von unserem Bundeskanzler Olaf Scholz, überbringen.
Ich freue mich, dass Sie die Tradition Ihres Jahresempfangs nach einer pandemiebedingten Pause nun fortsetzen können. Es ist die erste Gelegenheit für mich als Bundesinnenministerin - heute sage ich besser, Bundesheimatministerin - zu Ihnen zu sprechen. Und ich hoffe, dass sich in Zukunft noch viele weitere Gelegenheiten ergeben werden, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Besonders bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Dr. Fabritius. Auch wenn sich die Bundesregierung dazu entschieden hat, die Beauftragung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten neu zu vergeben, bleibt es doch dabei:
Mit Ihnen persönlich und dem Bund der Vertriebenen werde ich, wird mein Haus auch weiterhin eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ihr Engagement und ihr großer Einsatz werden uns für die weitere Arbeit ein Beispiel sein!
Besonders hervorheben möchte ich ihr unermüdliches Engagement für Geflüchtete aus der Ukraine. Gerade wegen des schrecklichen russischen Angriffskrieg und all dem Leid, das durch ihn verursacht wird, ist die stetige Arbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtiger denn je – und ich habe großes Vertrauen, dass Sie dazu auch weiterhin einen großen Beitrag leisten werden.
Meine Damen und Herren,
die Nachrichten, die uns täglich aus der Ukraine erreichen, machen fassungslos. Wichtig ist jetzt natürlich in erster Linie, dass wir den Menschen, die zum Teil schreckliches Leid erlebt haben, einen sicheren Zufluchtsort bieten. Allen, die vor Gewalt und Krieg in der Ukraine geflohen sind, sage ich ganz deutlich: Sie sind in Deutschland willkommen!
Auch auf das Leben der deutschen Minderheit in der Ukraine hat der Krieg dramatische Auswirkungen. Das gilt vor allem für die Situation in Mariupol. Denn die Hafenstadt gehört neben Odessa, Donezk und Luhanzk zu Siedlungsschwerpunkten der deutschen Minderheit in der Ukraine.
Die Herausforderungen, die vor der deutschen Minderheit in der Ukraine liegen, sind immens. Ich kann Ihnen versichern: Wir helfen, wo es möglich ist - vor allem finanziell. Und das werden wir auch in Zukunft tun.
Gerade in dieser schrecklichen Situation zeigt sich die besondere Bedeutung ihres heutigen Leitwortes vom Brückenbauen in Europa: Durch die geteilte Erfahrung von Flucht und das gemeinsame Wissen um den Schmerz derer, die ihre Heimat verlassen müssen und deren Familien auseinandergerissen werden, erwächst eben auch eine ganz besondere Empathie und Hilfsbereitschaft.
Deshalb bin ich Ihnen, Herr Dr. Fabritius, und dem BdV sehr dankbar für Ihr großes Engagement. Einen großen Beitrag leisten Sie zum Beispiel mit der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer - sowohl mit Beratungsstellen vor Ort, als auch in der Online-Beratung. Gerade jetzt ist diese Arbeit unglaublich hilfreich. Die Angebote werden gut angenommen und ich bedanke mich herzlich bei allen, die sie umsetzen.
Zusätzlich haben Sie eine große Spendenaktion zugunsten der deutschen Minderheit in der Ukraine initiiert. Ich habe mir sagen lassen, dass Ihre Hilfe sehr geschätzt wird – und auch ich weiß sie sehr zu schätzen.
Meine Damen und Herren,
wenn eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnimmt, wird in fast allen Politikbereichen ganz genau hingeschaut und die berechtigte Frage gestellt: Was ändert sich? Und was wird weitergeführt?
Für die Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik kann ich Ihnen versichern: Sie hat ihren festen und selbstverständlichen Platz in der Abteilung, „Heimat, Zusammenhalt und Demokratie“, also in der gesellschaftspolitischen Abteilung meines Hauses. Und sie bildet einen besonderen Schwerpunkt im Arbeitsbereich „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“.
Der Bund der Vertriebenen und seine Landsmannschaften sind ein wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft und damit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Denn Ihre Arbeit umfasst viel mehr als nur die klassische Interessenvertretung der deutschen Vertriebenen, der Aussiedler und Spätaussiedler. Sie wirkt über die Aktivitäten Ihrer Mitglieder in die Mitte unserer Gesellschaft hinein – und ist damit auch ein Stück gelebte Heimatpolitik.
Der Begriff „Heimat“ als Betätigungsfeld der Bundespolitik ist ja noch relativ neu. Seit 2018 ist das Bundesministerium des Innern auch Heimatministerium. Mir als Heimatministerin ist bei der Gestaltung dieses Politikfeldes Folgendes wichtig:
Viele Menschen denken bei den Begriffen Heimat und Zuhause erstmal an einen Ort, aus dem wir stammen. Heimat hat aber zwei Seiten – sie kann genauso ein Ort sein, zu dem wir hinwollen. Heimat und Zuhause sind eben auch etwas, das wir uns suchen, aufbauen und gestalten können.
Mir ist deshalb wichtig, Heimat nicht nur geographisch und strukturpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch zu behandeln. Sie ist dort, wo sich Menschen wohl, akzeptiert und geborgen fühlen. Und so ein Umfeld zu schaffen und aktiv zu gestalten, das ist Heimatpolitik. Sie ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen – und eben auch der engagierten Zivilgesellschaft wie dem Bund der Vertriebenen.
Meine Damen und Herren,
mit der Gründung des Bundes der Vertriebenen in den 1950er Jahren haben die Heimatvertriebenen ein Sprachrohr in die deutsche Politik geschaffen, das bis heute wirkt. Der Bund der Vertriebenen hat sich als selbstbewusste und beharrliche Interessenvertretung verdient gemacht um die Anliegen der Vertriebenen und Aussiedler.
Sie haben es mit Ihrem Leitwort treffend beschrieben: Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler sind nicht nur Träger der Erinnerung, sondern auch Brückenbauer in Europa. Ihre Aussöhnungsleistung und die kulturelle Spurensuche, die Sie betreiben, kommen der Gesellschaft als Ganzes zugute.
Die Bundesregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich zum kulturellen Erbe der Vertriebenen und Spätaussiedler. Wir unterstützen das Ziel, das deutsche Kulturerbe im östlichen Europa im Bewusstsein der Menschen zu halten. Beispiele dafür sind die von der Bundesregierung geförderten Archive, Museen und Bibliotheken. Die Kultureinrichtungen der Vertriebenen erhalten eine Förderung von inzwischen über 31 Millionen Euro jährlich.
Meine Damen und Herren,
zwischen 12 und 14 Mio. Deutsche waren nach dem Ende des zweiten Weltkriegs auf der Flucht - 1/5 der damaligen Gesamtbevölkerung Deutschlands. Hinzu kommen 4,5 Millionen Menschen, die seit den 1950er Jahren als Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland aufgenommen wurden.
Es freut mich sehr, dass im vergangenen Jahr trotz der schwierigen Pandemiebedingungen mehr als 7.000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Die Spätaussiedleraufnahme ist Ausdruck des Verantwortungsbewusstseins der Bundesregierung für diesen Personenkreis. Die Bundesregierung unterstützt also nicht nur die in den Aussiedlungsgebieten Verbliebenen, sondern hält für sie auch das Tor nach Deutschland offen.
Für die Aufnahme von Spätaussiedlern aus der Ukraine hat das Bundesinnenministerium schon vor dem furchtbaren russischen Angriffskrieg eine Verfahrenserleichterung, nämlich das Härtefallverfahren vorgesehen. Denn niemand kann diesen Menschen zumuten, das Aufnahmeverfahren in der Ukraine abzuwarten.
Der Zuzug von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern ist eine Bereicherung für unsere Gesellschaft! Und wir möchten die Menschen, die zu uns kommen, unbedingt zur politischen Teilhabe und Mitbestimmung motivieren – denn das ist ein entscheidender Faktor dafür, unsere Gesellschaft gemeinsam zu gestalten.
Ich freue mich deshalb sehr, dass wir mit Natalie Pawlik erstmals eine junge Politikerin für das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten gewonnen haben. Sie hat mit ihrer eigenen Biografie und Erfahrung eine besondere Glaubwürdigkeit.
Natalie Pawlik ist in einem Dorf in Sibirien aufgewachsen und kam mit 6 Jahren zusammen mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Bad Nauheim. Seit 2011 engagiert sie sich politisch und hat durch ihr Engagement schon viel erreicht.
Schön, dass Du heute hier bist, liebe Natalie!
Meine Damen und Herren,
die Bundesregierung hat sich für den Bereich der Aussiedlerpolitik in der 20. Legislaturperiode viel vorgenommen. Ich will einige Punkte herausgreifen:
Die Bundesregierung will dabei helfen, wahrgenommene Härten und enttäuschte Erwartungen in der Alterssicherung von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion anzuerkennen und abzumildern. Wir werden deshalb den geplanten Härtefallfonds, mit dem Härten aus der Ost-West-Rentenüberleitung abgemildert werden sollen, auch für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler umsetzen. Dafür stellen wir die nötigen Haushaltsmittel bereit.
Die deutschen Heimatvertriebenen werden wie bisher in das Werk der europäischen Aussöhnung und Verständigung aktiv einbezogen. Der Bund der Vertriebenen erhält deshalb als Unterstützung für seine Tätigkeit eine institutionelle Förderung. Die Bundesregierung fördert außerdem die verständigungspolitischen Maßnahmen und Wanderausstellungen des Bundes der Vertriebenen. Auch die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland erhält eine jährliche Strukturförderung.
Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler sollen beim Ankommen in der deutschen Gesellschaft bestmöglich unterstützt werden. Deshalb fördert die Bundesregierung die Integrationsmaßnahme „Gemeinsam unterwegs“. Sie ermöglicht den Austausch von Erfahrungen und zu Identitätsfragen und soll die Teilhabe der Teilnehmenden stärken.
Meine Damen und Herren,
die Bundesregierung unterstützt mit einer substanziellen Förderung rund eine Millionen Menschen deutscher Abstammung in mehr als 20 Ländern Europas und Zentralasiens. Es ist uns wichtig, die deutschen Gemeinschaften zu stärken, ihre Lebens- und Zukunftsperspektiven zu verbessern und ihre Identität durch Sprach- und Jugendförderung zu stärken.
Die geplante Kürzung des Deutschunterrichts als Minderheitensprache in polnischen Schulen ist deshalb sehr bedauerlich. Der Unterricht bedeutet viel für die Identität der deutschen Minderheit in Polen. Wir sind auf vielen Ebenen unterwegs, um die Kürzungen möglichst zu vermeiden.
Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Fabritius,
meine Damen und Herren,
liebe Gäste,
gerade in diesen aufgewühlten Zeiten ist die stetige Arbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtiger denn je. Dafür müssen wir uns gemeinsam engagieren - Staat und Zivilgesellschaft.
Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass der BdV ein starker Partner für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Deshalb freue ich mich sehr, heute hier bei Ihnen zu sein - und auf viele weitere Gelegenheiten zum Austausch.
Ich danke Ihnen!