Aktuelle Stunde zur „Lage in der Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands und die Auswirkungen auf Deutschland und Europa“ im Deutschen Bundestag

Typ: Rede , Datum: 16.03.2022

Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Deutscher Bundestag

  • Rednerin oder Redner

    Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

der russische Überfall auf die Ukraine verursacht unfassbares Leid. Mitten in Europa. Frauen und Kinder flüchten vor Putins Bomben und Panzern. Jedem, der das sieht, zerreißt es das Herz.
Dieser Krieg ist eine furchtbare humanitäre Katastrophe. Putin lässt Krankenhäuser und Wohnblocks bombardieren. Fast drei Millionen Geflüchtete haben sich bisher in die Nachbarstaaten der Ukraine retten können. Allen voran Polen leistet Großartiges. Davon habe ich mir an der polnisch-ukrainischen Grenze selbst ein Bild gemacht.

Wir unterstützen die Ukraine und die Nachbarstaaten mit Hilfstransporten des THW: mit Medizin, Impfstoffen, Feldbetten, Winterschlafsäcken.

Wir arbeiten jetzt an der Verteilung Geflüchteter innerhalb der gesamten EU.

Innerhalb weniger Tage haben wir in der EU einen historischen Schulterschluss erreicht: Alle EU-Staaten nehmen gemeinsam, schnell und unbürokratisch Geflüchtete auf.

Wir retten Menschenleben. Unabhängig vom Pass. Für die allermeisten Geflüchteten gilt: Sie brauchen kein Asylverfahren. Sie erhalten unmittelbar einen Schutzstatus, der von Anfang an medizinische Versorgung, soziale Leistungen und Betreuung und Schulbildung für Kinder ermöglicht.

Wir beziehen die Verkehrsminister unmittelbar mit ein, um schnelle Weiterreisen zu ermöglichen für Menschen, die zum Beispiel in Spanien oder Italien Verwandte haben.

Der Schulterschluss aller EU-Staaten zur gemeinsamen Aufnahme Geflüchteter war bis vor kurzem undenkbar. All das zeigt, dass diese Fluchtbewegung mitten in Europa nicht vergleichbar ist mit vorherigen Fluchtbewegungen. Auch nicht vergleichbar mit 2015.

Dennoch werden wir das Leid der Menschen, die jetzt aus der Ukraine fliehen, nie mit dem Leid anderer Kriegsflüchtlinge aufwiegen!

Aber zugleich spüren wir doch alle: Dieser Krieg ist uns so nah. Es gibt enge familiäre Verbindungen. Viele Geflüchtete werden von Freunden und Verwandten versorgt.

175.000 Einreisen von geflüchteten Menschen aus der Ukraine hat die Bundespolizei bislang gezählt. Die Erstaufnahmen sind gerade stark belastet. Wir arbeiten hier engstens zusammen, um schnell für Entlastung und Verteilung zu sorgen. Es ist klar, dass dies nicht von Anfang an überall reibungslos funktioniert.

Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam in der Verantwortung. Es ist ein großer Kraftakt, den wir alle gemeinsam stemmen.

Der Bund unterstützt die Länder massiv mit dem THW und einem deutlich verstärkten Einsatz der Bundespolizei und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass wir seit Beginn dieser Woche nach dem Königsteiner Schlüssel Geflüchtete auf die Länder verteilen. Das betrifft diejenigen, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht werden.

Und klar ist, dass wir die Länder und Kommunen mit den finanziellen Lasten nicht allein lassen.

Der Bund stellt zehntausende Aufnahmeplätze zur Verfügung. Wir schaffen ganz schnell zusätzliche Unterkünfte in Bundesimmobilien. Wir sorgen dafür, dass die zu uns Geflüchteten medizinisch gut versorgt sind und Zugang zu unserem Arbeitsmarkt erhalten.

Indem wir so Geflüchteten einen sicheren Alltag ermöglichen, entlasten wir auch die vielen Familien, die nun mit großartiger Hilfsbereitschaft privat Menschen aufnehmen.

Meine Damen und Herren,

natürlich schauen wir jetzt genau hin, wer nach Deutschland kommt. Die Bundespolizei hat die Kontrollen an den Grenzen, in Zügen und an Bahnhöfen stark intensiviert.

Die Polizeien der Länder und die Bundespolizei – in Uniform ebenso wie in Zivil – haben das Geschehen genau im Blick. Sie arbeiten eng mit Hilfsorganisationen zusammen, um Frauen und Kinder zu schützen. Niemand darf diese Notsituation ausnutzen!

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich etwas zur Registrierung in Deutschland sagen. Mir ist es wichtig, dass wir bei den Fakten bleiben – anders als es von manchen zuletzt zu hören war.

Für Ukrainerinnen und Ukrainer mit biometrischem Pass gilt Visafreiheit für 90 Tage. Sie sind nicht Teil der EU, aber Europäer wie wir! Sie dürfen frei reisen. Das ist geltendes Recht. Und das ermöglicht auch, dass viele bereits in andere europäische Staaten weiterreisen können.

Trotzdem haben wir sehr schnell entschieden, auch diese Menschen bei der Erstaufnahme zu registrieren – und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt!

Registrierungsteams des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge unterstützen Berlin mit Stationen zur Erfassung der Daten der Geflüchteten. Das ist gut so.

Wir registrieren in Erstaufnahmen und bei den Ausländerbehörden. Das intensivieren wir weiter. Die Registrierung erfolgt spätestens, wenn Menschen Unterstützungsleistungen brauchen.

Damit können wir Steuerung, Koordination und schnelle Hilfe für Geflüchtete gewährleisten.

Meine Damen und Herren,

manche fordern jetzt stationäre Grenzkontrollen an unseren Binnengrenzen. Was würde das bedeuten?

Alte Menschen, Frauen und Kinder sind meist vier, fünf Tage auf der Flucht, wenn sie hier ankommen. Sie sind entkräftet und traumatisiert.

Wir wollen nicht, dass diese Frauen und Kinder weitere Stunden oder Tage in der Kälte hinter der deutsch-polnischen Grenze campieren müssen, bevor wir sie mit dem Allernötigsten versorgen können.

Wer jetzt Grenzen schließen will, riskiert auch eine gute Verteilung innerhalb der EU. Wir brauchen keinen Populismus, sondern pragmatische und menschenwürdige Lösungen.

Meine Damen und Herren,

ich möchte auch hier im Bundestag klar sagen: Dieser Krieg ist Putins Krieg – und nicht der Krieg der Menschen mit russischen Wurzeln, die in Deutschland leben. Wir wehren uns ganz entschieden dagegen, dass Menschen aufgrund ihrer russischen Herkunft angefeindet werden. Dieser Konflikt darf weder auf dem Rücken von Ukrainerinnen und Ukrainern, noch von Russinnen und Russen in Deutschland ausgetragen werden.

Unsere Sicherheitsbehörden und unsere Polizei sind mit starken Kräften im Einsatz und sehr wachsam. Sie schützen jeden Menschen in Deutschland und jede Einrichtung gleichermaßen.

Bei allen Einsatzkräften von Polizei und THW, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen, den Ländern und Bundesbehörden, bei allen Freiwilligen und Ehrenamtlichen möchte ich mich sehr herzlich bedanken! Sie alle wachsen über sich hinaus und zeigen eine großartige Menschlichkeit und Solidarität! Eine Menschlichkeit, auf die wir alle stolz sein können!

Vielen Dank!