Aktuelle Stunde anlässlich des zweiten Jahrestags der Anschläge von Hanau im Deutschen Bundestag
Rede 16.02.2022
Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
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Ort
Deutscher Bundestag
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Rednerin oder Redner
Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
wir werden Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov nie vergessen.
Sie fehlen. Sie alle hatten viel vor in ihrem Leben. Für sie alle war Hanau ihr Zuhause. Sie wurden mit entsetzlicher Brutalität ermordet. Viele Familien haben das Schlimmste erlebt, was man erleben kann: Sie haben ihr Kind verloren. Der rassistische Terroranschlag in Hanau hat unser ganzes Land zutiefst erschüttert. Der 19. Februar 2020 bleibt ein tiefer Einschnitt für unser Land. In dieser Woche gedenken wir der Opfer.
Und heute haben wir im Kabinett beschlossen: Ab diesem Jahr ist der 11. März der Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt. Wir wollen, dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen uns allen in Staat und Gesellschaft bewusster ist. Wir wollen, dass die Stimmen der Opfer gehört werden und ihre Perspektive zählt. Wir wollen die Familien der Opfer mit mehr Empathie und mit mehr Sensibilität unterstützen – auf allen staatlichen Ebenen.
Meine Damen und Herren,
viele Menschen in Hanau kannten die Ermordeten. Der Täter kannte seine Opfer nicht. Und doch wollte er genau sie treffen. Er ermordete neun Menschen, weil sie eine Einwanderungsgeschichte haben. In seinem mörderischen Rassismus, seinem fanatischen Hass und Verschwörungsdenken erklärte er sie zu „Fremden“. Das waren sie nicht. Sie waren Teil unserer Gesellschaft. Daran dürfen wir als Staat nicht den geringsten Zweifel lassen.
Aufklärung und Aufarbeitung
das Schicksal der Angehörigen der Ermordeten treibt mich sehr um, viele habe ich kennengelernt. Deshalb sage ich auch hier ganz deutlich: Der Staat schuldet den Familien der Opfer eine transparente und lückenlose Aufarbeitung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags.
Wir – das Land Hessen und der Bund – haben die Pflicht aufzuklären. Nur so haben die Angehörigen die Möglichkeit, mit dem grauenvollen Geschehenen leben zu können.
Und nur so kann das tief verletzte Vertrauen in unseren Staat wieder wachsen. Bei den Angehörigen, aber auch bei anderen Menschen, die immer wieder rassistische Angriffe erleben. Dieser Anschlag hatte eine Wirkung weit über Hanau hinaus. Viele von uns können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn Rassismus zum Alltag gehört.
Zwei Jahre nach dem Anschlag sind noch viel zu viele Fragen offen. Der Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag ist nun endlich die Chance für eine umfassende Aufarbeitung. Als hessische Landespolitikerin habe ich mich sehr dafür eingesetzt.
Als Bundesinnenministerin werde ich alles dafür tun, dass auch von Seiten des Bundes Transparenz und umfassende Unterstützung erfolgt.
Das ist eine Frage der Empathie und der Verantwortung. Und das ist mein Verständnis von einem Staat, der aus Versäumnissen und Fehlern lernt – ein Staat, der handelt und Konsequenzen zieht!
Rechtsextreme Gewalt
Dieser Anschlag kam nicht aus dem Nichts. Und er geschah auch alles andere als zufällig.
Die Spur des rechten Terrors zieht sich auch durch unsere jüngere Geschichte: Solingen, Mölln, Hoyerswerda, der Terror des NSU, der Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der Terror von Halle und Hanau.
Wer es vorher noch nicht verstanden oder verharmlost hat, dem muss es nach Hanau endlich klar sein: Der Rechtsextremismus ist die schlimmste Bedrohung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Deshalb hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus unsere höchste Priorität. Wir werden alles tun, um die Menschen, die in unserem Land bedroht und angegriffen werden, besser zu schützen.
Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir bekämpfen die Feinde der offenen Gesellschaft. Wir bekämpfen jede Form von Extremismus mit aller Kraft.
Diese Gewalt hat einen Nährboden: ein menschenfeindliches Klima, das gewaltbereite Extremisten anstachelt und im schlimmsten Fall zur Tat schreiten lässt. Geistige Brandstifter schüren diesen Hass bewusst. Sie liefern die mentale Munition für solche Taten. Diese Hetzer wissen, was sie tun. Und sie haben Unterstützer, die Menschenhass und Rassismus auch aus unseren Parlamenten heraus verbreiten.
Ich kann Ihnen sagen: Wir stellen uns jeder Menschenverachtung ganz entschieden entgegen – hier und überall in unserem Land!
Und ich sage auch: Sie werden sich noch an eine Frau mit einer klaren Haltung an der Spitze des Bundesinnenministeriums gewöhnen müssen.
Vorgehen gegen Hass und Hetze
Wir setzen alles daran, den Nährboden für rechtsextreme Gewalt auszutrocknen. Vom ersten Tag im Amt an habe ich einen klaren Kurs eingeschlagen, um die Eskalation von Hass und Gewalt zu stoppen:
- Wir haben die Ermittlungen des Bundeskriminalamts deutlich intensiviert.
- Und wir haben deutlichen Druck auf Plattformen wie Telegram aufgebaut.
Und ich kann heute sagen, dass wir erste Erfolge haben. Ich bin stolz darauf, dass wir von 68 gemeldeten Seiten, 64 gelöscht wurden. Ich bin froh, dass wir das erreichen kannten und Hass und Hetze gegen Kommunalpolitiker und andere die Verantwortung tragen gelöscht wurden.
Das ist ein Anfang. Wir werden weiter darauf drängen, dass das Unternehmen den gesetzlichen Pflichten nachkommt. Morddrohungen und andere gefährliche Hassposts müssen gelöscht werden und deutliche strafrechtliche Konsequenzen haben. Wir müssen Hetzer schnell identifizieren und zur Verantwortung ziehen.
Aktionsplan gegen Rechtsextremismus
Ich habe es hier an dieser Stelle im Januar angekündigt. Als Bundesinnenministerin werde ich bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen.
Wir setzen alles daran, Radikalisierungen zu stoppen und rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen. Wir werden die Finanzströme der Extremisten verfolgen und ihnen ihre Einnahmequellen nehmen. Und wir werden ihnen sehr konsequent die Waffen entziehen.
Doch tief verwurzelter Menschenfeindlichkeit konsequent zu begegnen, ist nicht allein die Aufgabe einer starken Polizei und gut ausgestatteter Sicherheitsbehörden. Es ist auch die Aufgabe von uns allen als Gesellschaft. Deshalb werden wir gesellschaftliches Engagement, politische Bildung und Extremismusprävention massiv stärken.
Wir werden das demokratische Engagement unzähliger Initiativen in ganz Deutschland endlich verlässlich und umfassend fördern. Das ist die beste Antwort auf Menschenverachtung, Intoleranz und Gewalt. Deshalb werden Familienministerin Anne Spiegel und ich das Demokratiefördergesetz schnell voranbringen.
Wir werden uns immer an die Opfer des 19. Februar 2020 in Hanau erinnern. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov bleiben immer in unserer Erinnerung. Sie fehlen.
Vielen Dank!