Rede des Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer zum Auftakt der BKA Herbsttagung 2021
Rede 17.11.2021
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Ort
BKA-Herbsttagung (Hybrid-Veranstaltung)
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Rednerin oder Redner
Bundesinnenminister Horst Seehofer
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Deutschland ist und bleibt eines der sichersten Länder der Welt. Und das, meine Damen und Herren, ist vor allem Ihr Verdienst, das Verdienst unserer Sicherheitsbehörden!
Ihre Arbeit ist hart, Ihre Ausbildung anspruchsvoll. Ihre Arbeitsbedingungen sind aufreibend und die Rahmenbedingungen anstrengend. Dank erhalten Sie kaum. Im Gegenteil: Anfeindungen gehören zu Ihrem Alltag.
Dennoch sind Sie mit großem Arbeitseifer und bewundernswertem Arbeitsethos unermüdlich im Einsatz. Für uns. Für unsere Sicherheit. Für die Stabilität unserer Gesellschaft. Garant der Demokratie und des Rechtsstaats. Damit sind Sie mit das Beste, was Deutschland in den vergangenen 75 Jahren hervorgebracht hat.
Für Ihren Einsatz danke ich Ihnen herzlich!
Sie müssen sich ständig neuen Herausforderungen stellen. Der technische Wandel, aber auch das gesellschaftliche Klima verlangen Ihnen alles ab. Das Vertrauen der Menschen müssen Sie sich jeden Tag neu erarbeiten. Aber das erforderliche Grundvertrauen in unsere Polizei – in Jahrzehnten gewachsen – ist nach wie vor da und spürbar. Das Ansehen der Polizei ist bei der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor sehr hoch.
Meine Damen und Herren,
in der Krise zeigt sich, ob ein Staat funktioniert. Die öffentliche Sicherheit wird dann zum Lackmustest für die Widerstandsfähigkeit eines Gemeinwesens. Nur kann man "Krise" nicht üben, denn jede Krise sieht anders aus. In der einen Krise müssen Sie nach RAF-Terroristen fahnden, in der anderen Abstandsregelungen kontrollieren. Den Lackmustest hat die Polizei in Deutschland aber noch in jeder Krise mit Bravour bestanden. Sie hat sich als krisenfest erwiesen.
Das stellt aktuell auch wieder die Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze unter Beweis. Beeindruckend war auch der Einsatz bei der Evakuierung aus Kabul, wo Bundespolizei und Bundeswehr Schutzberechtigten Zugang zum Flughafen verschafft haben.
Für die Leistungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden haben wir in den letzten Jahren wirklich viel getan. Wir haben große Reformprojekte vorangetrieben, zahlreiche Gesetzgebungsvorhaben abgeschlossen und viel in die öffentliche Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland investiert. Unsere Bilanz kann sich sehen lassen.
Die Kriminalitätszahlen sinken seit Jahren. Sie lagen 2020 auf dem niedrigsten Niveau seit 1993, also seit fast 30 Jahren. Die Bundesregierung hat in der zurückliegenden Legislaturperiode so viel in die Sicherheit der Menschen in Deutschland investiert wie seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht mehr. Dies zahlt sich aus.
Damit dies so bleibt, brauchen wir auch in Zukunft starke Sicherheitsbehörden. Drei Voraussetzungen müssen hierfür erfüllt sein:
- Wir brauchen erstens genügend und gut qualifiziertes Personal, zumal in den nächsten zehn Jahren viele Pensionierungen anstehen.
- Wir brauchen zweitens eine moderne Ausstattung und zukunftsfähige IT-Systeme.
- Und wir benötigen drittens angemessene Befugnisse sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt.
Unsere Sicherheitsbehörden haben wir in der vergangenen Legislaturperiode personell erheblich verstärkt:
- Das Bundeskriminalamt hat allein in den drei Jahren 2018 bis 2020 rund 1.500 zusätzliche Stellen erhalten.
- Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde personell verstärkt.
- Die Bundespolizei hat in der zurückliegenden Legislaturperiode insgesamt über 8.300 neue Stellen hinzubekommen.
Das sind zusammen über 10.000 Stellen mehr für die Sicherheitsbehörden des Bundes.
Zusätzlich haben wir die Bundespolizei durch neue Aufstiegsmöglichkeiten attraktiver gemacht. Das war mir ein persönliches Anliegen. Mit dem sogenannten "Seehofer-Verfahren" steigen schon dieses Jahr über 1.000 besonders leistungsstarke Bundespolizisten des mittleren Dienstes in den gehobenen Dienst auf. 2.000 werden es insgesamt.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder
Auch wenn sinkende Kriminalitätszahlen eine erfreuliche Entwicklung sind, gibt es doch Bereiche, die mir zunehmend Sorge bereiten. Zwei davon möchte ich näher betrachten:
Das ist zum einen die Verbreitung von "Kinderpornografie". Dieser Begriff hat sich leider eingebürgert. Viel präziser ist es, von Darstellungen sexuellen Missbrauchs zu sprechen. Deren Zahl hat sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Allein in der ersten Jahreshälfte 2021 wurden beim BKA so viele Fälle erfasst wie im gesamten Jahr 2020. Dies deutet also auf eine erneute Verdoppelung hin.
Dieser Trend muss mit allen uns möglichen Mitteln gestoppt werden. Kinder sind die Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft. Der Schutz von Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir schon in den letzten Jahren höchste Priorität gegeben haben. Wir dürfen aber nicht nachlassen, sondern müssen unsere Anstrengungen noch weiter ausbauen.
Hinter den Missbrauchsdarstellungen, die meist im Internet zu finden sind, steht fast immer ein realer Missbrauch. Dieser fügt den betroffenen Kindern größtes Leid zu und traumatisiert sie ein Leben lang.
Neben den unmittelbaren Missbrauch tritt die Speicherung der Bilder und Videos im Netz. Was für ein unermessliches Leid, das die Täter den Kindern zufügen! Und was für eine ungeheure kriminelle Energie dahintersteckt. Das Bild- oder Videomaterial darf auf keinen Fall dauerhaft online abrufbar sein. Die Betroffenen werden sonst immer wieder zum Opfer, ihr Leben lang.
Die Löschung dieser Bilder und Videos ist daher unverzichtbar. Wir sehen, dass das Konzept "Löschen statt Sperren" gut funktioniert: Die durchschnittliche Bearbeitungszeit vom Eingang eines Hinweises beim BKA bis zur Löschung durch den Provider lag im vergangenen Jahr bei 1,66 Tagen. Das ist beachtlich, vor allem, wenn man die Datenmenge sieht, die in diesem Bereich zu bearbeiten ist. Von den im Inland gehosteten Inhalten konnten nahezu alle innerhalb einer Woche gelöscht werden. Drei Viertel der Inhalte wurden binnen zwei Tagen nach Eingang des Hinweises beim BKA gelöscht. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass die Fallzahlen weiter ansteigen. Mit Löschen allein bekommen wir das Thema daher nicht in den Griff.
Um diese entsetzlichen Straftaten noch wirksamer zu bekämpfen, haben wir im Frühjahr ein umfassendes Gesetzespaket beschlossen. Das Strafmaß des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes entsprechenden Materials wurde auf eine Mindeststrafe von einem Jahr erhöht und damit zu einem Verbrechen hochgestuft.
Aber die besten Strafgesetze nützen nichts, wenn die Polizei keine ausreichenden Ermittlungsinstrumente hat und sie deshalb mit den Ermittlungen nicht hinterherkommt. Ich denke hier selbstverständlich auch an die Vorratsdatenspeicherung. Hier sehe ich eine große Aufgabe für die nächste Zeit.
Die Polizei muss unglaubliche Datenmengen treffsicher auswerten und zügig zur Anklage bringen. Dies ist nicht nur durch mehr Personal zu lösen, sondern es braucht gute technische Hilfsmittel. Dazu gehört auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Bilderkennung im Bereich der sexuellen Missbrauchsdarstellungen von Kindern.
Dies darf jetzt nicht durch eine überschießende EU-Gesetzgebung erschwert werden.
Und meines Erachtens braucht es auch eine starke Unterstützung der Landespolizei durch das BKA.
Besser als Strafverfolgung ist es aber doch, diese Taten von vornherein zu verhindern. Polizeibekannte Täter dürfen nicht weiterhin mit Kindern im Kindergarten, im Jugendzentrum oder im Sportverein zusammenarbeiten dürfen. Zum Schutz der Kinder bleiben kinder- und jugendschutzrelevante Verurteilungen daher jetzt erheblich länger im erweiterten Führungszeugnis und im Bundeszentralregister gespeichert.
Außerdem habe ich mich für bessere Aufklärung eingesetzt. Das BMI fördert seit dem vergangenen Jahr Maßnahmen der polizeilichen Kriminalprävention gegen die Verbreitung von sexuellen Missbrauchsdarstellungen. Wir wollen Kinder und Jugendliche besser über mögliche Gefahren aufklären. Wir wollen auch darüber informieren, was ein jeder bei einem Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch tun kann.
Politische motivierte Kriminalität
Ich sprach von zwei großen Problembereichen. Der zweite Bereich ist die politisch motivierte Kriminalität. Diese hat nicht zuletzt durch die Pandemie Auftrieb bekommen, die die gesellschaftliche Spaltung verstärkt. Rechtsextremisten nutzen Querdenkeraktionen, um ihr Weltbild zu verbreiten. Verschwörungsideologien bekommen Konjunktur. Misstrauen gegen den Staat wird geschürt.
Wir verzeichnen insgesamt mehr gewaltbereite Personen und mehr politisch motivierte Straftaten. Das gilt für den Islamismus, den Rechtsextremismus, die Reichsbürger und alle Menschen, die diesen Staat als solchen ablehnen. Das gilt genauso für den Linksextremismus. Hier gibt es einen massiven Anstieg der Gewalttaten, gezielten Körperverletzungen bis hin zu versuchten Tötungen und öffentlichen Morddrohungen – wie diejenige gegen den Leiter des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums bei einer Demonstration in Leipzig im September. So etwas ist keine legitime politische Meinungsäußerung mehr. Diese Straftäter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Neben der konsequenten Strafverfolgung ist es für mich immer auch das Ziel, extremistische Strukturen aufzubrechen. So habe ich als Bundesinnenminister zahlreiche Vereine und Gruppen verboten:
- "Combat 18", "Sturmbrigade 44" und "Nordadler" im Bereich des Rechtsextremismus.
- Die der Reichsbürgerszene zuzurechnende Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme".
- Im Bereich Islamismus das Verbot der schiitischen Hizb Allah.
- Im Bereich Ausländerextremismus das Verbot der zur PKK gehörenden Vereinigungen.
Diese Verbote konnten nur aufgrund der hervorragenden Vorarbeit des Verfassungsschutzes gelingen – und vor allem auch vor Gericht standhalten.
Darüber hinaus konnten mehrere bereits konkret geplante Anschläge verhindert werden, wie zum Beispiel der Rizin-Fall in Köln im Jahr 2018 oder die von einer tadschikischen Zelle im April 2020 geplanten Anschläge.
Die Arbeit der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes wird weitestgehend im Stillen erledigt. Das liegt in der Natur der Sache. Für unseren Staat und unsere Sicherheit leisten auch sie einen überaus wichtigen Beitrag. Und deswegen richte ich heute auch einen Dank an das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Einzeltäterphänomen
Immer häufiger beobachten wir – insbesondere bei den Messerattacken der vergangenen Jahre –, dass es sich um Einzeltäter handelt und dass es sich um Personen handelt, die psychisch erkrankt sind und für schuldunfähig erklärt werden. Dem Phänomen der Einzeltäterradikalisierung und der psychischen Erkrankungsmomente müssen wir uns intensiver widmen – auch in Hinblick auf einen besseren Austausch von Sicherheits- und Gesundheitsbehörden.
Rechtsextremismus
Anfang dieses Monats wurde in den Medien viel über die unsäglichen Taten des NSU berichtet. Zu Recht, denn die größte Blutspur in den letzten zehn Jahren haben Rechtsextremismus und -terrorismus hinterlassen. Sie ist derzeit die größte Bedrohung unserer Gesellschaft.
Mich trifft es sehr,
- wenn ich nach dem Anschlag in Halle bei einem Besuch in der Synagoge die Verunsicherung der Menschen spüre,
- wenn mir dort auf der Kreuzung vor dem Imbiss ein junger Mensch "Ihr könnt uns nicht schützen!" zuruft oder
- wenn ich in Hanau die Verzweiflung der Menschen sehe, die die Welt nicht mehr verstehen, weil sie ihre Kinder verloren haben, nur, weil diese abends in einer Bar saßen.
Deswegen hat die Bundesregierung im Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus 89 Maßnahmen beschlossen. Dazu gehören
- eine verbesserte Radikalisierungsprävention,
- Demokratieförderung durch Stärkung der politischen Bildung,
- eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Behörden und Zivilgesellschaft,
- die Erhöhung des Schutzes für potentielle Anschlagsziele und
- eine effizientere Strafverfolgung.
Zur Umsetzung des Maßnahmenkatalogs stellt die Bundesregierung bis 2024 Investitionen von mehr als einer Milliarde Euro zur Verfügung. Das ist mehr, als jemals zuvor zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in die Hand genommen wurde.
Ich kann auch heute niemandem versprechen, dass es keine terroristischen Anschläge mehr geben wird. Aber: Wir werden alles Menschenmögliche tun, um die Menschen in unserem Land zu schützen. Wir sind auf keinem Auge blind! Unser Blick geht mit der gleichen Intensität in alle Richtungen. Unsere Sicherheitsbehörden sind gut aufgestellt, international ausgezeichnet vernetzt und sie arbeiten effektiv zusammen. Ich kann aus voller Überzeugung sagen:
Diese Bundesregierung hat alles in ihrer Macht Stehende getan, damit sich Fehler, wie sie teilweise bei der Aufklärung der NSU-Morde zutage getreten sind, nicht wiederholen.
Die NSU-Morde, der Angriff auf die Synagoge in Halle, der Anschlag in Hanau und der Mord an Dr. Walter Lübcke gehen in ihrer Bedeutung über die Tatsache, dass es sich um Kapitalverbrechen handelt, hinaus. Es sind Angriffe auf unser Gemeinwesen, auf unser Miteinander, auf unsere Demokratie. Ich bin stolz darauf, in einem Land zu leben, in dem sich so viele Menschen gegen diese Angriffe stellen und daran mitarbeiten, dass die stabilste Demokratie und der beste Rechtsstaat der deutschen Geschichte erhalten bleiben. Ich und alle, die hier sitzen, haben den Auftrag, dies zu sichern und nicht durch politisch motivierte Kriminalität – egal welcher Couleur – zerstören zu lassen.
Cybergefahren
Meine Damen und Herren,
wir werden nie dahin kommen, dass wir sagen können: "Jetzt ist alles getan, jetzt ist alles in bester Ordnung." Sicherheit ist kein Projekt, sondern eine Daueraufgabe. Wir haben es immer wieder mit neuen Entwicklungen, neuen Ideen, neuen Gefahren und neuen Herausforderungen zu tun. Und natürlich machen sich die Kriminellen den technischen Fortschritt als Erste zunutze. Da sind sie äußerst findig.
Die Sicherheitsbehörden müssen mithalten können. Dazu gehört, dass wir unsere Sicherheitsbehörden technisch gut ausstatten und ihnen die erforderlichen rechtlichen Befugnisse geben. Sie müssen Computerbetrug genauso effektiv aufklären können wie Einbruchsdiebstahl.
Die Gefahren im Cyberraum sind groß. Wir müssen davon ausgehen, dass sie sogar noch größer werden. Erst in der vergangenen Woche war eine große Elektrofachmarktkette Opfer einer Erpressung mit Ransomware. Die Cybergefahr wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. Daher müssen wir diejenigen stärken, die dagegen ankämpfen.
Das BKA hat eine Abteilung zur Bekämpfung von Cyberkriminalität aufgebaut und bildet gezielt Cyberkriminalisten aus. Und auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das BSI, wächst. Wir haben die Stellen im BSI in der zurückliegenden Legislaturperiode fast verdoppelt. Und dieser Prozess wird und muss in den kommenden Jahren weitergehen.
Ermittlungsbefugnisse
Die besten Prognosen und der größte Mitarbeitereinsatz helfen allerdings nichts, wenn die notwendigen Befugnisse für eine effektive Gefahrenabwehr und -aufklärung fehlen. Diese Befugnisse haben wir in der vergangenen Legislaturperiode fortentwickelt:
Es war höchste Zeit, dass der Deutsche Bundestag es in diesem Sommer dem Verfassungsschutz ermöglicht hat, bei der Überwachung der Täterkommunikation auch Messengernachrichten in den Blick zu nehmen. Doch das reicht nicht. Zur Gefahrenabwehr muss auch die Polizei diese Möglichkeit erhalten. Und natürlich benötigt gerade unser Nachrichtendienst zur Früherkennung von Anschlagsvorbereitungen die Befugnis zur Online-Durchsuchung.
Kriminelle aus der organisierten Kriminalität kommunizieren ebenso wie islamistische oder rechtsextreme Terroristen über Messengerdienste. Die neue Befugnis ist ein ganz zentraler Punkt, um Vernetzung, Rekrutierung und Anschlagsvorbereitung, die über solche Messengerdienste erfolgt, rechtzeitig zu erkennen. Die Sicherheitsbehörden dürfen nicht blind und taub werden – oder man muss wohl schon sagen: nicht blind und taub bleiben.
Die Bedeutung technischer Möglichkeiten und Fähigkeiten sehen Sie auch am Beispiel "Encrochat". Es ist eine Weichenstellung in der Kriminalgeschichte, dass es in Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern gelungen ist, in die Internetkommunikation der international agierenden organisierten Kriminalität einzudringen. Diese Firma bot Lösungen für Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation und Kryptohandys an, genutzt vor allem von Kriminellen. Die Ausbeute: Millionen von Datensätzen, 2.700 Ermitllungsverfahren, 900 vollstreckte Haftbefehle, drei Tonnen Cannabis, 125.000 Ecstasy-Tabletten, 400 Kilo Kokain, mehr als 300 Schusswaffen, 12.000 Schuss Munition, knapp 230 Millionen Euro an gesichertem Vermögen.
Aber der Schatz muss auch gehoben werden. Die Polizei wird Jahre brauchen, um diese Datensätze auszuwerten. Die Berliner Justiz hat eine eigene Abteilung aufgebaut, um die landeseigenen Ermittlungsverfahren bearbeiten zu können. Auch andere Länder haben zusätzliches Personal eingestellt. Die ungeheure Datenflut bringt tiefe Einblicke in die Welt der organisierten Kriminalität. Die vorliegenden Ermittlungsergebnisse zeigen, dass wir größeres Augenmerk auf die organisierte Kriminalität legen müssen, gerade auch auf die Rauschgiftkriminalität.
Wenn man bedenkt, dass der Mord an Walter Lübcke nur aufgeklärt werden konnte, weil Daten, die eigentlich schon hätten gelöscht sein sollen, noch nicht gelöscht waren, dann komme ich zu der Frage: Was ist notwendig für die Gewährleistung von Sicherheit auch für die Zukunft?
Terroristen sammeln Fotos von Anschlagszielen oder Anleitungen zur Sprengstoffherstellung. Sie bereiten ihre Anschläge mit Bekennerschreiben und -videos vor. Ein massives Alarmsignal, wenn man es denn erkennt, rechtzeitig erkennt. Dafür ist die Einführung auch der Onlinedurchsuchung für die Nachrichtendienste und die Bundespolizei zwingend erforderlich. Dies war leider auch in der zurückliegenden Legislaturperiode noch nicht politisch machbar.
Wir brauchen auch die Vorratsdatenspeicherung. Wenn der Europäische Gerichtshof hoffentlich bald die rechtlichen Möglichkeiten für das Instrument der Vorratsdatenspeicherung endgültig klarstellt, müssen wir sie auch endlich nutzen.
Ich habe nie verstanden, welch‘ geradezu hysterische Abwehrreaktionen der Begriff "Vorratsdatenspeicherung" hervorruft. Dabei steht hier realen Aufklärungsmöglichkeiten, deren Nutzen sich unmittelbar erschließt, nur die diffuse Angst vor einem vermeintlichen "Überwachungsstaat" gegenüber.
Meine Damen und Herren,
auf dem Boden des Grundgesetzes gibt es in Deutschland keinen Überwachungsstaat mehr. Sämtliche Staatsgewalt unterliegt der rechtsstaatlichen Kontrolle. Die Exekutive wird zudem vom Parlament kontrolliert. Und über allem schwebt die 4. Gewalt, die uns auch keine Fehler durchgehen lässt. Es ist daher eine Verdrehung der Verhältnisse, eine schräge Bewertung, Polizei- und Sicherheitsbehörden als Gefahr wahrnehmen zu wollen. 75 Jahre stabile Demokratie! Die haben wir nicht etwa "trotz" der Sicherheitsbehörden, sondern "wegen" unserer Sicherheitsbehörden erleben dürfen.
Ich plädiere für politische Vernunft, die sachlich abwägt und nicht absonderlichen Verschwörungserzählungen vom Überwachungsstaat folgt. Angemessene Aufklärungsbefugnisse für die digitale Welt bleiben auf der innenpolitischen Agenda. Wer die Menschen in Deutschland vor schweren Bedrohungen wirksam schützen will, darf sich dem nicht verweigern.
Digitale Souveränität
Doch auch Ermittlungsbefugnisse allein genügen nicht. Unsere Sicherheitsbehörden benötigen geeignete Produkte und Methoden, am besten Eigenentwicklungen, um souverän im Cyberbereich agieren zu können. Das ist und bleibt eine Herausforderung:
Hierzu haben wir die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, kurz ZITiS, weiter finanziell und personell auf- und ausgebaut. ZITiS leistet effektive Unterstützung für die IT-Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden des Bundes.
Darüber hinaus konnten wir mit der 2020 gegründeten Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH (Cyberagentur) einen ersten Akzent für die digitale Souveränität im Cyberbereich setzen. Hier werden ressortübergreifend ambitionierte Forschungsvorhaben und Schlüsseltechnologien, die hohes Innovationspotenzial auf dem Gebiet der Cybersicherheit und im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands haben, entwickelt. Ich empfehle der neuen Bundesregierung, mit dem konsequenten Ausbau von ZITiS und Cyberagentur die digitale Souveränität der Sicherheitsbehörden weiter zu stärken und zu sichern.
Polizei 2020
Sicherheitsbehörden können nur erfolgreich sein, wenn sie tagtäglich zusammenarbeiten. Das hat Encrochat im internationalen Rahmen gezeigt. Und das gilt noch mehr in unserer föderalen deutschen Sicherheitsarchitektur. Um auch hier die Möglichkeiten der Technik bestmöglich nutzen zu können, treiben wir das Programm „Polizei 2020“ voran – hin zu einer gemeinsamen, digitalen und vernetzten Polizei. Das ist ein langer Weg. Doch zwanzig Polizeien von Bund und Ländern gehen ihn Schritt für Schritt gemeinsam. Erste Verfahren stehen zur Verfügung, viele weitere werden in den kommenden Monaten und Jahren folgen.
Meinungsäußerungsdelikte im Internet
Lassen Sie mich auf das gesellschaftliche Klima zu sprechen kommen, das für Ihre Arbeit nicht ohne Belang ist und das – man kann es nicht leugnen – durch eine Verrohung der politischen Kultur und Sprache gekennzeichnet ist. Das Eskalationspotenzial der sozialen Medien spielt hier eine Rolle ebenso wie die vermeintliche Anonymität im Internet. Die Kommunikationsbedingungen des Internet können Treiber dynamischer Radikalisierungen sein und die Sprache ist das Medium, über das solche Prozesse ablaufen können.
Wir müssen hier aber unbedingt differenzieren. Offene Diskurse und pluralistischer Meinungsstreit sind für die demokratische Gesellschaft existenznotwendig. Die Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Sie schützt auch und gerade pointierte, polemische und überspitzte Kritik. Die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Störrische und Unbequeme muss es geben. Unbelehrbare hat es immer gegeben. Eine stabile Demokratie muss das aushalten.
Die Grenze ist erreicht, wo die Strafbarkeit beginnt: bei Formalbeleidigung und Schmähkritik, bei Verleumdung und Bedrohung, bei Volksverhetzung, bei Aufruf zu Straftaten. Die Grenze ist erreicht, wo der demokratische Rechtsstaat gefährdet wird. Die Grenze ist erreicht, wo das Persönlichkeitsrecht oder die Menschenwürde verletzt wird.
Natürlich gehört zur ganzen Wahrheit, dass es eine beachtliche Grauzone zwischen gerade so noch nicht strafrechtlich relevanten und strafbaren Inhalten gib. Und der Kampf der Meinungen tobt vor allem in dieser Grauzone. Während die einen meinen, die Grenzen des Sagbaren würden immer enger gezogen, wollen die anderen immer mehr Sprach- und Sprechverbote aussprechen. Deshalb muss klar sein: Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind dafür da, die Grenzen des rechtlich Zulässigen zu wahren – und dies auch konsequent. Aber sie sind keine Gesinnungspolizei.
Ich spreche hier von den klaren, eindeutigen Fällen: von den hetzenden Trollen im Internet, von der diffamierenden Stimmungsmache gegen Einzelne, von der Verächtlichmachung von Personen des öffentlichen Lebens und von einfachen Privatpersonen. Es muss deutlich werden, dass unsere Strafverfolgungsbehörden jede solcher Straftaten verfolgen, egal wo sie geschieht.
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz haben wir eine richtige Antwort auf Straftaten im Netz gegeben: Effektivere Selbstkontrolle von sozialen Netzwerken.
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität haben wir die Verfolgungsmöglichkeiten verbessert. Strafbare Inhalte wie Morddrohungen und Volksverhetzung müssen von den Anbietern nach einer Meldung nicht mehr nur gelöscht werden. Sie müssen auch an das BKA weitergeleitet werden. Von dort gehen sie dann an die zuständige Strafverfolgungsbehörde. Das gilt ab Februar 2022. Ich erwarte, dass sich die Strafverfolgungsbehörden organisatorisch darauf gut vorbereiten.
Auch die in diesem Gesetz erfolgte Klarstellung, dass antisemitische Motive immer strafverschärfend zu werten sind, war absolut notwendig.
Meine Damen und Herren,
Extremismus findet seine Nahrung häufig in Sorgen, Ängsten und Nöten der Menschen. Wenn vermeintliche Gewissheiten ins Schwanken geraten, fallen Verschwörungstheorien auf fruchtbaren Boden. Wir haben es in der Frage der Migration erlebt. Hier kann ich meinem Nachfolger nur empfehlen, am Prinzip von Humanität und Ordnung, an der gesteuerten Migration festzuhalten, sonst kommen wir zwangsläufig in gesellschaftliche Probleme, die dann auch wieder die Sicherheitsbehörden beschäftigten. Auch die Corona-Pandemie stellt vieles in Frage, was uns lieb und teuer ist. Daher sind Zeiten wie diese Hoch-Zeiten für Ideologen aller Art. Da müssen wir standhalten, die Meinungsfreiheit verteidigen, aber auch dann, wenn es strafbar wird, mit aller Konsequenz verfolgen und bekämpfen.
Gewalt gegen die Polizei
Diejenigen, die das ganz direkt zu spüren bekommen, sind die Polizisten. Sie schützen auch die Meinungsfreiheit der Regierungskritiker, sie schützen auch die, die sie ablehnen und sogar angreifen. Sie halten es aus beschimpft, beleidigt, bespuckt, angegriffen zu werden. Und das jeden Tag. Im Dienst für uns alle. Aber sie brauchen den klaren Rückhalt der politischen Entscheidungsträger.
Wir alle erinnern uns an die Gewaltausbrüche im Sommer 2020 in Frankfurt, in Stuttgart, in Berlin und in anderen Städten. Fast wie aus dem Nichts heraus gingen junge Menschen auf Polizisten los. Es wirkte wie ein öffentlicher Gewaltrausch: Polizeibeamte anzugreifen und dafür von Umstehenden auch noch angefeuert zu werden!
Der Respekt vor dem staatlichen Gewaltmonopol schwindet. Und das ist besorgniserregend. Schon seit Jahren nimmt die Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte zu. Aktuell kommt es auch zu Morddrohungen gegen Ärzte, die gegen Corona impfen. Das ist unerträglich.
Sowohl die Zahl der Fälle als auch die Zahl der Opfer steigt. Allein im Jahr 2020 sind rund 39.000 Gewaltdelikte gegen Polizeivollzugsbeamte registriert worden. Hinter dieser Zahl stehen 85.000 Menschen, die in Ausübung ihres Dienstes für uns zum Opfer von Gewalt geworden sind. Das ist inakzeptabel. Schlagen, Spucken, Beleidigen von Polizisten – das ist keine Widerstandsfolklore, das sind Angriffe auf den Rechtsstaat. Früher war ein Mindestmaß an Anstand Grundkonsens. Wir sind hier auf einem abschüssigen Weg.
Kein Generalverdacht gegen die Polizei
Auch das gehört an dieser Stelle dazu. Natürlich gibt es Fehlverhalten Einzelner – auch in den Sicherheitsbehörden. Dieses wird konsequent geahndet. Für diejenigen, die nicht verstanden haben, welche Verantwortung sie tragen, ist kein Platz in der Polizei, beim Verfassungsschutz oder einer anderen Sicherheitsbehörde. Wir dulden keine schwarzen Schafe, wir kehren nichts unter den Teppich.
Auch deshalb gibt es keinen Anlass für ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber unseren Sicherheitsbehörden. Es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, von einem strukturellen Problem zu sprechen. Ein Generalverdacht verbietet sich. Wer diesen gebetsmühlenartig formuliert, dem muss man leider den Vorwurf machen, die Autorität staatlichen Handelns untergraben zu wollen.
Unsere Polizeibeamten haben eine gute Ausbildung. Schauen Sie in andere Staaten, in denen Polizisten im Schnellverfahren innerhalb weniger Wochen ausgebildet werden. Schon seit Jahrzehnten genießt die Polizei hohes Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürger, immer wieder belegt durch Umfragen. Und deswegen betone ich es heute nochmal: Die deutsche Polizei gehört zum Besten, was unsere Gesellschaft zu bieten hat.
Angriffe auf Politiker und Amtsträger
Zur Verrohung der politischen Kultur gehören leider auch die zunehmenden und zunehmend massiven Angriffe auf Politiker. Vor allem Kommunalpolitiker sind hier betroffen. Das sind Leute, die sich oft in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl einsetzen. Sie haben keinen Personenschutz. Sie wohnen mit ihren Familien im Ort. Angriffe treffen solche Menschen an einem besonders empfindlichen Punkt: in ihrer Privat- und Sozialsphäre.
Allein im Jahr 2020 haben wir 85 Prozent mehr Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger gehabt. Die Zunahme gab es vor allem durch einen deutlichen Anstieg bei Beleidigung, Nötigung und Volksverhetzungen, vor allem im Internet. Wer jetzt denkt, das sind doch gar nicht so schlimme Vorfälle, keine schweren Straftaten, der irrt.
Manch einer unter Ihnen erinnert sich sicherlich noch an den eindrucksvollen Bericht von Markus Nierth, den ehemaligen Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, auf der letzten Herbsttagung 2019. Wenn Menschen wegziehen müssen aus ihrem Ort, ihrer Heimat, weil sie von Rechtsextremen vertrieben, regelrecht gejagt werden, dann müssen wir alles tun, um diese Menschen zu schützen und gegen die Täter vorzugehen. Das ist eine der ganz großen Herausforderungen. Das muss uns gelingen! Wer hat sonst noch den Mut sich zu engagieren, wenn deshalb seine Familie, seine Kinder, seine ganze Existenz in Gefahr ist.
Polizist zu sein, ist einer der schönsten Berufe. Das sage nicht ich Ihnen, sondern dass sagen mir die Polizistinnen und Polizisten, mit denen ich spreche.
Die Polizei trägt maßgeblich zur Gewährleistung der inneren Sicherheit unseres Landes bei. Sie leistet auch unter schwersten Bedingungen hervorragende Arbeit. Polizisten sind da, wenn es schwierig wird. Sie ducken sich nicht weg, wenn es gefährlich und ungemütlich wird. Sie haben eine gute Menschenkenntnis. Sie sind immer ansprechbar. Sie reagieren besonnen und treffen den richtigen Ton. Auch wenn sie angegriffen und attackiert werden, wenn Hass und Häme auf sie einprasseln. Dafür gebührt Ihnen allen größter Dank und Respekt.
Für eine funktionierende Gesellschaft braucht es aber auch einen guten Zusammenhalt, Mut und Zivilcourage aller. Sie als Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden zeigen jeden Tag Haltung, Mut und unermüdlichen Einsatz für unsere Sicherheit und für ein Deutschland, in dem wir gerne leben. Sie sind damit auch Vorbild! Ich danke Ihnen.