Festrede des Bundesministers Horst Seehofer anlässlich des Festaktes zum Tag der Heimat am 25. August 2018 in Berlin

Typ: Rede , Datum: 25.08.2018

Wer das Erinnern verkümmern lässt, der nimmt die Wiederholung der Geschichte in Kauf!

  • Rednerin oder Redner

    Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Herr Präsident Fabritius, lieber Bernd,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

nicht alles, was wir Politiker tun, hat eine bleibende Bedeutung. Die Erinnerungskultur hat allerdings eine bleibende Bedeutung über Generationen hinweg. Und deshalb bin ich besonders stolz, dass zu meinen Höhepunkten als Bayerischer Ministerpräsident über zehn Jahre hinweg die Begegnung mit den Heimatvertriebenen zählte, insbesondere mit den Sudetendeutschen an Pfingsten, aber auch am Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, denals erstes Bundesland übrigens Bayern ins Leben gerufen hat. Darauf bin ich stolz. Und das ist von bleibender Bedeutung. Ich bin dankbar, dass dies mittlerweile in ganz Deutschland beinahe in allen Bundesländern – Hessen gute Tradition ist.

"Heimat zur Chefsache machen" - als ich mit diesem Anspruch im März dieses Jahres mein Amt als Bundesminister angetreten habe, sind mir nicht wenige Widerstände begegnet. Ich dachte nicht, dass es so schwer ist, in Deutschland auch die Zuständigkeit für Heimat an das Bundesinnenministerium anzugliedern. Nun bin ich in meinem ganzen politischen Leben nicht wenige Widerstände gewohnt, aber das, was ich da erlebt habe, war dann doch etwas Besonderes. Manche äußerten sich spöttisch, andere fremdelnd, zuweilen ängstlich ob dessen, was vom Heimatminister künftig zu erwarten ist. Wieder andere sprachen von Volkstümelei. Wieder andere sagten, Heimat können nicht ministeriell verordnet werden. Und schließlich: "Wofür braucht man heutzutage die Besinnung auf Heimat?" Besonders bizarr war ein Zeitungskommentar, der den Heimatbegriff von heute in Beziehung zur Nazizeit gerückt hat und die Meinung vertreten hat, es sei doch aus der Nazizeit, dass man für Heimat eintritt, und den Nazis ginge es im Grunde nur – so wörtlich – "um Blut und Boden". So begann die Diskussion über die Erweiterung des Bundesinnenministeriums umden Komplex Heimat.

Sie, liebe Gäste, wissen aus eigenem Erleben, was Heimat ist und was sie für die Menschen bedeutet – und vor allem, welchen Wert sie besitzt. Nicht zuletzt für diejenigen, die noch Zeitzeugen von Flucht und Vertreibung sind, hat der heutige Tag der Heimat deshalb eine ganz besondere Bedeutung. Und ich trete entschieden als Bundesinnenminister dafür ein, dass dieser Tag der Heimat für immer seine Bedeutung behalten wird.

Sie, meine Damen und Herren, haben ihre ganz eigene persönliche Erinnerung an verlorene Heimat. Es ist für sie ein konkreter Ort der Erinnerung. Vielleicht bedeutet er die Erinnerung an ihr Elternhaus, an ihre Schule, an ihre Freunde oder an die Landschaft in ihrer Heimat. Es sind – da bin ich mir sicher – auch Momente schöner Erinnerung, die Sie mit ihrer angestammten Heimat verbinden. Für die Erlebnisgeneration ist es aber auch eine Erinnerung an all das unsagbare spätere Leid, das folgte. Kriegs- und kriegsfolgenbedingt aus ihren angestammten Lebensbezügen gewaltsam herausgerissen, geflohen, deportiert oder vertrieben, gehungert, gefroren, gequält und mit ansehen müssen, wie Menschen – auch ihre Nächsten – starben.

Fast 14 Millionen Menschen sind im Zuge des Zweiten Weltkrieges aus den ehemals deutschen Gebieten geflohen oder wurden vertrieben. Sie flohen aus der zerstörten Heimat in ein ebenfalls verwüstetes Land, das auch ihr eigenes war. Und doch war es nicht so, dass sie als Neuankommende von den Alteingesessenen immer mit offenen Armen empfangen wurden.

Ich habe das in meiner eigenen Heimatstadt erlebt. Statt "Willkommenskultur" wurde vielen von ihnen der Neuanfang nicht leicht gemacht. Oft erfuhren Geflohene und Vertriebene Ablehnung und Beschimpfung. Die Unterschiede der Lebensweise und der landsmannschaftlichen Verwurzelung waren groß. Ebenso groß war die Sorge vor noch weiterem wirtschaftlichem Abstieg der hier Ortsansässigen.

Ein gesellschaftlicher Konflikt schien damals vorprogrammiert. Gott sei Dank ist es nicht so weit gekommen. Die Politik für die Vertriebenen war gut, und sie hat gegriffen. Dies half dabei, dass sich eine neue Gesellschaft zusammenfinden konnte. Vielleicht auch deshalb, weil es der Wiederaufbau Deutschlands erforderlich machte, gemeinsam anzupacken. Ohne die Unterstützung der Vertriebenen wäre der Wiederaufbau so nicht denkbar gewesen, und dafür kann man Ihnen, meine Damen und Herren, nicht genug danken.

Ich sage auch sehr deutlich, was ich seit vielen Jahren aus tiefer Überzeugung immer wieder zum Ausdruck bringe: "Wir leben in der stabilsten Demokratie und dem besten Rechtsstaat, den es auf deutschem Boden jemals gab, und das verdanken wir auch Ihnen meine Damen und Herren. Sie haben da ganz entscheidend beigetragen." Und ich füge mit großem Respekt hinzu, aus der Erfahrung in den letzten Jahren mit den Heimatvertriebenen: Die Heimatvertriebenen gehörten zu den ersten in der deutschen Geschichte, die die Hand zur Versöhnung gereicht haben. Auch dafür herzlichen Dank.

Meine Damen und Herren,
Sie alle tragen diese persönlichen Erinnerungen in ihrem Herzen. Momente des Schönen, wie eine unbeschwerte Kindheit in der Heimat, aber ebenso Momente des leiderfüllten Heimatverlustes, und diese Vergangenheit hat Sie ohne Zweifel geprägt und zu dem gemacht was, Sie heute sind. Doch jenseits Ihrer persönlichen Erinnerungen gibt es auch das, was wir ein kollektives Gedächtnis, das Gedächtnis unseres Volkes nennen. Festtage, wie der heutige Tag der Heimat sind es, auf denen kollektives Erinnern gelebt wird.

Vor allem dem Bund der Vertriebenen möchte ich an dieser Stelle danken. Den Gründungsvätern und -müttern – alle selbst leiderfahrene, von Flucht, Deportation und Vertreibung – ist es zu verdanken, dass der Begriff Heimat nicht mehr nur ein individueller, von persönlicher Erfahrung geprägter Begriff ist, der die eigene Bindung an den persönlichen Ort des Aufwachsens und seine Kultur beschreibt. Einzelerfahrungen werden so zu einer großen Erinnerungs- und Erfahrungsgemeinschaft. Durch die Arbeit des Bundes der Vertriebenen wurde Heimat in unserem Lande zu einer gelebten Erinnerung.

Für das Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik wurde die gemeinsame Erinnerung an die verlorene Heimat im Osten, aber auch an Flucht, Vertreibung und Deportation ganz maßgeblich. Wenn wir heute den Tag der Heimat begehen, dann knüpfen wir ganz bewusst an dieses Selbstverständnis an.

Und nun, meine Damen und Herren, gehört es leider zum natürlichen Zeitzyklus, dass sich die Reihen derer, die Flucht und Vertreibung noch selbst erlebt haben, leeren. Wenn wir also wollen, dass Festtage wie der Tag der Heimat oder der Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung wirklich im Gedächtnis der jungen und zukünftigen Generation verwurzelt werden, dann müssen wir uns dauerhaft um den Erhalt dieser Erinnerung kümmern. Denn, meine Damen und Herren, wer das Erinnern verkümmern lässt, der nimmt die Wiederholung der Geschichte in Kauf.

Und da nur Erlebtes sich erzählen lässt, Fakten allein aber stumm bleiben, möchte ich ganz besonders Sie, die Zeitzeugen, weiter ermutigen: Sprechen Sie vor allem mit der jungen Generation, sprechen Sie mit ihren Enkelkindern und deren Freunden, besuchen Sie, wo immer dies möglich ist, Schulklassen, und diskutieren und informieren Sie die jungen Leute. Schreiben sie Erinnerungen auf, erzählen sie von ihrer Heimat und den unverwechselbaren Landschaften. Organisieren Sie Besuche der Heimat, berichten Sie von der kulturellen Vielfalt ihrer Heimat. Wenn auch diese Heimat geografisch verloren ist, so sind doch jene unverwechselbaren Kulturräume auch heute für uns insgesamt in Deutschland noch prägend, und sie müssen prägend bleiben.

Es geht darum, meine Damen und Herren, persönliche Erinnerungen und Erfahrungen der Heimat im kollektiven Gedächtnis so zu verankern, dass die nächste Generation die Erinnerung mit einer eigenen Sinngebung fortführen kann. Bleibendes schaffen – das halte ich in der Gesellschaftspolitik für das Entscheidende – nicht nur für den Tag, für die Gegenwart, sondern Bleibendes zu schaffen, auch im Bewusstsein eines Volkes: Dafür haben sich die Vertriebenenverbände in den vergangenen Jahrzehnten unermüdlich eingesetzt. Vertriebenenpolitik ist heute nicht nur, aber vor allem auch – wir haben es gehört – Kulturpolitik. Und an dieser Stelle geht mein Dank auch an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien: auf dem Gebiet der Kulturpolitik der Vertriebenen, die in der Vergangenheit, Monika Grütters, viel bewirkt hat – für Sie und für unser Land.

Meine Damen und Herren,
in diesem Jahr steht der Tag der Heimat unter dem Leitmotto "Unrechtsdekrete beseitigen – Europa zusammenführen". Ich möchte nicht verschweigen, dass dies
ein bedeutungsschweres, ein anspruchsvolles, ein forderndes Motto ist. Heute wie damals steht Europa vor gewaltigen Herausforderungen. Und erneut haben wir auch heute mit Flüchtenden zu tun. Klar ist aber auch, Dimensionen und kulturelle Herkunft der nun nach Europa Kommenden unterscheiden das Gestern von heute. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit, wenn man in das Thema tiefer eintaucht: Europa war – die europäische Integration – seinerzeit die richtige Antwort damals auf Unrechtsregime, und Europa ist auch heute wieder die richtige Antwort, wenn es um anders gelagerte Probleme geht.

Ich stehe ja manchmal im Verdacht – offensichtlich ist das so, wenn man aus dem Süden der Republik kommt –, dass man kein Freund der europäischen Integration sei. Das ist in vollem Umfange falsch. Diejenigen, die mich intensiver und länger kennen, wissen, ich habe immer die Auffassung vertreten: Die europäische Integration – Europa – ist die genialste und die beste Antwort auf das größte Trümmerfeld aller Zeiten. Und deshalb ist Europa auch heute der Schlüssel für die Herausforderungen unserer Zeit.

Es muss also neu gedacht und neu gelebt werden. Und da kommt es mir sehr darauf an, auch hier das Bleibende zu betonen – nicht nur immer Wirtschaftsbeziehungen und ähnliche Dinge. Europa ist und bleibt zuallererst eine Wertegemeinschaft. Recht und Freiheit, Dekrete des Unrechts, die verschwinden müssen – und ich stimme Dir voll zu, insbesondere die Beneš-Dekrete –, kein Raum für Hass und Hetzparolen und – das gehört auch zur europäischen Räson – dass es null Toleranz gegenüber Antisemitismus gibt.

Und ich möchte, ohne in die Migrationspolitik tiefer einzusteigen, nur als Beispiel die Migration nennen, warum Europa der Schlüssel für die Herausforderungen auch unserer Zeit ist. Es geht nämlich um eine grenzüberschreitende Lösung eines Themas, dass uns noch viele, viele, viele Jahre beschäftigen wird. In Millionengrößenordnung – 60/70 Millionen – sind derzeit weltweit auf der Flucht, und niemand sollte sich einbilden, dass man national im Alleingang die Dinge lösen kann. Allerdings ist auch der Umkehrschluss richtig, dass trotz allem Bemühen um europäische Lösungen nationale Interessen nicht unter den Tisch fallen dürfen. Auch das ist meine tiefe Überzeugung.

Und deshalb werde ich immer als Bundesinnenminister dafür eintreten – das ist auch die Linie der ganzen Regierung –, europäische Lösungen anzustreben. Aber wir haben in den letzten Tagen wieder erlebt, wie schwer es ist. Es waren in Europa, in Brüssel, die willigen Staaten versammelt – also diejenigen, die sich an gemeinsamen Lösungen in Europa beteiligen wollen. Das sind 14 an der Zahl, also derzeit noch die Hälfte der europäischen Mitgliedsländer. Aber, meine Damen und Herren, es ging nur um die Frage, wie wir mit der Seenotrettung und der Verteilung der Flüchtlinge in Europa umgehen, denn es kann ja nicht so weiter gehen, dass ich jede Woche gefragt werde: Da gibt es wieder ein Schiff, wie viel könnt ihr aus Deutschland von diesem Schiff übernehmen?

Unsere Politik ist immer geprägt von der Humanität und Ordnung, aber es gibt auf Dauer keine Humanität, wenn ein Land nicht Ordnung hält. Und deshalb brauchen wir für diese Problematik eine europäische Lösung, damit wir eine Ordnung, eine Regel haben. Und wir verweigern uns hier nicht der humanitären Hilfe. Ich möchte das noch mal ausdrücklich sagen. Eine meiner ersten Amtshandlungen war ein Resettlement-Programm für 10.000 Menschen, die in besonderer Weise geschunden sind – also Kinder, vergewaltigte Frauen, die wir selbstverständlich mit unseren Anteilen in Deutschland aufnehmen. Da war für mich nie ein Zweifel. Und trotzdem weise ich immer darauf hin: Wenn europäische Lösungen noch nicht da sind oder nicht funktioniere,
muss man auch die Kraft haben, einer Entwicklung national entgegenzutreten.

Und da bitte ich sie einfach um Verständnis, aber es ist meine tiefe, tiefe Überzeugung, nämlich, wenn ein Staat ein Rechtsstaat, hier die Bundesrepublik Deutschland, gegenüber, Menschen, die nicht schutzbedürftig sind, ein Einreiseverbot ausspricht, dann kann es nicht sein, dass die gleichen Leute am nächsten Tag an einer anderen Stelle der Grenze erscheinen und wieder einreisen dürfen. Das haben wir seit einigen Wochen abgestellt.

Und der zweite Fall dachte ich, sei eigentlich auch selbstverständlich: Wenn jemand in der Europäischen Union, also in einer Zone von Freiheit und Recht, schon einen Asylantrag gestellt hat, aber dann an unserer deutsch-österreichischen Grenze erscheint, dachte ich immer, es müsste eigentlich selbstverständlich sein, dass man auch an der Grenze zurückgewiesen werden kann, wenn man schon unter Schutz in Europa ist. Manchmal braucht dann die Politik einige Schleifen, um zu einer Lösung zu kommen. Die Schleife hat vielleicht nicht allen gefallen, aber manches muss auch diskutiert und entschieden werden. Man kann nicht immer nach dem österreichischen Prinzip verfahren, dass mir die Menschen sagen: "Das müssen Sie lösen!", aber passieren darf nichts. In der Politik bemüht man sich immer zuerst im Gespräch hinter verschlossenen Türen um eine Lösung, aber wenn es denn nicht trotz mehrfacher Versuche gelingt, muss man auch bereit sein, in der Öffentlichkeit eine Debatte zu führen.

Jetzt sind wir hier ein ganzes Stück weiter: Wer einen Asylantrag in einem europäischen Staat stellt und damit schon unter Schutz in Europa steht und wer dennoch an unserer Grenze erscheint – das betrifft insbesondere Flüchtlinge aus Griechenland und Italien –, der muss wieder zurück in dieses sichere europäische Land. Wir schließen deshalb Vereinbarungen mit den entsprechenden Staaten ab, damit sie bereit sind, diese Personen wieder zurückzunehmen. Mit Griechenland haben wir die Vereinbarung bereits unterzeichnet, und ich bin sehr, sehr – ich sage dreimal sehr – zuversichtlich, dass wir auch eine Vereinbarung mit Italien zustande bringen. Dann ist etwas erfüllt, das die Bevölkerung erwartet von uns.

Und da habe ich jetzt auch wieder gemerkt, wie sehr es auf den Dialog ankommt mit anderen Ländern. Und da möchte ich noch einmal auf die Vertriebenenverbände, also auf Sie, zukommen. Sie, glaube ich, können hier eine tragende Rolle spielen – als Brückenbauer nämlich. Bernd Fabritius hat es genannt: als Brückenbauer, insbesondere zu Tschechien, der Slowakei, zu Ungarn, zu Polen, vielleicht auch zu Rumänien. Ich bitte daher, helfen Sie mit, hier in den europäischen Dialog zu treten und dort, wo Sie im Dialog sind, ihn noch zu vertiefen. Werben Sie dafür, Europa nicht in Migrationsfragen auseinanderdriften zu lassen, und seien Sie starke Partner an unserer Seite. Wir brauchen Sie dazu. Sie haben historisch beste Netzwerke und Verbindungen, und wir brauchen Sie, diese Bereitschaft im Laufe der Zeit zu entwickeln. Das ist mir sehr, sehr wichtig, denn von Ihren Erfahrungen aus – von Flucht, Vertreibung, dem Ankommen, dem Integrieren, dem Verlust, aber auch dem Gewinn einer Heimat – aus all dem können wir heute lernen.

Heimat, das haben Sie erlebt, ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine Voraussetzung für ein stabiles Lebensfundament. Das gilt nicht nur für Opfer von Flucht und Vertreibung, sondern für alle, die in Deutschland leben. Wer ohne Heimat aufwächst, meine Damen und Herren, wird immer eine Sehnsucht nach Heimat spüren. Nur, wenn wir wissen, wo wir herkommen, haben wir die nötige Stärke herauszufinden, wer wir sind und wo wir hingehen wollen. Heimat ist daher auch eine soziale Einheit. Eine Einheit, in der Werte und Traditionen geteilt werden, in der Menschen Sicherheit und Verlässlichkeit erfahren – schlicht Geborgenheit. Und, meine Damen und Herren, auch wenn es Menschen gibt, die von Heimat nichts halten: Alle brauchen Geborgenheit – auch diese Menschen, die zu Heimat kritisch stehen. Alle brauchen Geborgenheit.

Und deshalb sind Fragen der Identität und der Identifikation mit unserem Lande heute wichtiger denn je. In einer zunehmend heterogenen Gesellschaft – und wir Politiker erleben das jeden Tag: Die eine, einzige Wahrheit in der Diskussion mit unserer Bevölkerung, die tritt immer stärker in den Hintergrund. Ich werde es gleich wieder erleben vor der Bundespressekonferenz mit der Bürgerschaft. Wir haben heute Tag der offenen Tür. Welche Vielfalt da auf einen Politiker einströmt, und wie schwierig es ist, auf die Vielfalt der Probleme, Sorgen, Ängste, eine für alle verbindliche Antwort zu geben, die auch alle akzeptieren. Und deshalb ist es so wichtig zu klären, was macht unsere Identität aus und was gilt im Zusammenleben unserer Bevölkerung trotz aller ielfalt als verbindlich.

Und ich möchte nicht Einfalt anstelle von Vielfalt – die Vielfalt, die Kulturen der Kulturen. Und als Bayer sage ich das besonders aus Überzeugung, dort konnte ich keine 50 Kilometer fahren, ohne nicht in einem neuen Kulturbereich zu sein – nämlich von den Altbayern zu den Schwaben, von den Schwaben zu den Franken und wer dann noch nicht zufrieden war, musste noch unterscheiden zwischen Oberfranken, Unterfranken und Mittelfranken. Und wenn man über die Altbayern und zu den Altbayern gesprochen hatte, musste man aber genau sprechen über die Oberbayern, die Niederbayern und die Oberpfälzer. Und deshalb bin ich ein glühender Verfechter der Vielfalt, weil ich von meinem Heimatland weiß, welche Kraft für ein Volk aus der kulturellen Vielfalt entsteht.

Ich habe jetzt also die Grundlage in meinem Haus gelegt, dass das Bundesinnenministerium künftig auch Heimatministerium ist. Meine neue Heimatabteilung wird sich zum einen mit der Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts befassen. Wir haben eine gespaltene Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist das gemeinsame Ziel der großen Koalition, diese Polarisierung und Spaltung zu überwinden und deshalb muss man immer wieder danach suchen, welche Dinge verbinden uns, und welche Dinge sind geeignet, um diese Polarisierung und Spaltung in unserem Lande zu überwinden. Ich glaube, die Politik tut sich keinen Gefallen, wenn sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen will, dass es diese Spaltung gibt – dass es auch ein Stück Polarisierung gibt. Und es ist unser Auftrag – nicht so sehr der Auftrag jetzt der Bevölkerung – sondern wir müssen durch die entsprechenden Rahmenbedingungen alles dazu beitragen, diese Spaltung zu überwinden. Sie hat historisch für die Deutschen nie Segensreiches bedeutet.

Wir werden also zuallererst in dieser Heimatabteilung das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Sicherheit im Alltag thematisieren. Mich freut es schon, manche glauben es nicht, dass die Sicherheitssituation in der allgemeinen Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland so gut ist wie noch nie in den letzten 30 Jahren,. Ein echtes Problem ist nach wie vor die Gefahr des Terrorismus, und das ist deshalb ein echtes Problem, weil hier die Sicherheitslage so beschrieben werden muss, dass höchste Sicherheitsproblematik besteht. Das heißt, es muss jederzeit mit einem Anschlag gerechnet werden. Das betrifft den Terrorismus, aber meine Damen und Herren, in der allgemeinen Kriminalität haben wir jetzt die beste Situation seit 30 Jahren. Und trotzdem darf man sich nicht zurücklehnen. Man muss das, was gut ist, immer noch weiter verbessern. Denn Menschen, die aufhören besser werden zu wollen, hören bald auf, gut zu sein. Und wir werden bei dieser Gemeinschaft dafür werben, bei aller Vielfalt, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Integration bedeutet – das haben sie ja vorgelebt – dass man nicht nebeneinander oder gar gegeneinander leben will, sondern miteinander. Gemeinschaft entsteht nur im Miteinander, nicht im Nebeneinander und Gegeneinander. Und das gilt auch für unsere Gegenwart.

Wir werden uns auch um die Menschen kümmern, die sich füreinander einsetzen. Deutschland ist ein Ehrenamtsland. Sie tragen ja selbst sehr viel dazu bei. Deshalb brauchen wir bei den Millionen von Menschen, die sich in Deutschland engagieren, auch mehr Unterstützung durch die Politik. Das haben wir auch vor. Schauen sie sich nur in den Vereinen um: in der freiwilligen Feuerwehr, beim Technischen Hilfswerk, in kirchlichen Einrichtungen, in Migrantenorganisationen, an vielen anderen Stellen, auch bei den Heimatvertriebenen. Es ist etwas Wunderschönes, wenn sich in einem Lande Millionen von Menschen bereiterklären, mehr zu tun als ihre Pflicht. Und nur deshalb, meine Damen und Herren, haben wir auch ein soziales Gesicht in der Bundesrepublik Deutschland, weil sich die Menschen für dieses Land engagieren. Aber ich rede jetzt, Herr Bischof, wie Sie zu den Gläubigen, die das ohnehin alle praktizieren.

Und schließlich geht es in der Heimatpolitik auch darum, die Heimat, in der die jungen Menschen geboren und aufgewachsen sind, in der sie zur Schule gingen, für diese jungen Menschen auch als Heimat zu erhalten, hier in der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt den alten Grundsatz, wenn die Schule oder die Arztpraxis, das Krankenhaus oder ein Arbeitsplatz in einer Region verloren gehen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch die Menschen verschwinden, indem sie sich eine neue Region suchen.

Wer also wirklich Heimat bewahren will bei aller Globalisierung und Flexibilität, die wir in unserer Gesellschaft auch haben, der muss dafür sorgen in den Städten und ländlichen Räumen Bedingungen zu schaffen in der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung, dass die Menschen – vor allem die jungen Menschen – für ihre Zukunft dort eine Perspektive sehen. Ich habe zum Beispiel als Ministerpräsident Bayerns entschieden, dass wir im ländlichen Raum, angedockt an bestehende Hochschulen und Universitäten, Zweigstellen einrichten. Und Sie glauben gar nicht, wie die jungen Menschen darauf reagieren, aber auch die Wirtschaft, wenn sie sehen, die lassen uns nicht alleine, die hängen uns nicht ab, sondern sie tun für unsere Region etwas und zwar nicht nur in schönen Reden, wenn gerade wieder ein Wahlkampf vor der Tür steht, sondern ganz kontrolliert kontinuierlich über lange, lange Jahre.

Und dann, meine Damen und Herren, bekommen Sie auch gleichwertige Lebensverhältnisse – und hier steht auch die deutsche Wirtschaft in der Pflicht. Es reicht nicht nur, wenn wir Behörden dort ansiedeln, wissenschaftliche Einrichtungen, Arztpraxen, Schulen, sondern wir müssen die deutsche Wirtschaft überzeugen, dass es auch ein Leben außerhalb von Metropolregionen gibt und dass es auf Dauer nicht sinnvoll ist, die Menschen zu den Arbeitsplätzen zu bringen, sondern die Arbeitsplätze zu den Menschen, dort wo sie leben.

Wir haben jetzt als Bundesregierung eine Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse gebildet.. Es geht nämlich nicht an, dass der Raum München überhitzt ist, dass man dort überhaupt keinen Polizeibeamten mehr hin versetzen kann, weil er die Miete nicht bezahlen kann, und andernorts, meine Damen und Herren, veröden dann ländliche Räume oder kleinere Städte. Und deshalb haben wir jetzt eine "Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse". Mit meinen Ressortkolleginnen Julia Klöckner und Franziska Giffey werden wir Lösungen erarbeiten für gerechtere Lebensbedingungen in Deutschland, auch geografisch.

Man kann nicht in Sachsen oder Brandenburg oder in Nordrhein-Westfalen sagen, dass aus klimapolitischen Gründen eine traditionsreiche Industrie wie der Kohleabbau beendet werden soll, aber der Bevölkerung nicht gleichzeitig oder bestenfalls schon vorher mitteilen, welche Strukturmaßnahmen man für neue Arbeitsplätze trifft, damit die Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Das sind wir auch schuldig.

Ja, meine Damen und Herren, weil der Präsident so Wert darauf gelegt hat, dass man auch den Blick etwas nach vorne richtet und den Heimatbegriff auch für die Zukunft modern und lebendig gestaltet, wollte ich Ihnen auch diesen Auftrag des Heimatministeriums vermitteln: nämlich einerseits dafür zu sorgen, dass wir die Spaltung im Land überwinden, aber andererseits auch dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihrer angestammten Heimat eine gesunde, tragfähige, zukunftsfähige Lebensperspektive finden.

Wir wollen also mit Ihnen das, was Sie schon seit Jahrzehnten vorgelebt haben, jetzt für die Zukunft gestalten, auch für die Menschen hier, auch für Teile von ihnen. Und ich hoffe, dass wir da gemeinsam Erfolg haben. Man muss die Bayern nicht mögen, aber ich bin schon ein bisschen stolz darauf – das ist ja das Werk der Bevölkerung, das Werk von vielen Ministerpräsidenten über viele Jahre –, dass man dieses Ziel ausgegeben hat: Wir wollen in Oberfranken die gleichen Lebensbedingungenwie in Unterfranken, in München oder in Nürnberg ebenso wie in strukturschwächeren Regionen.

Wir reden also nicht über eine Theorie, sondern wir reden darüber, wie man diesem Ziel von gleichwertigen Lebensverhältnissen durch eine kontinuierliche Politik über lange Zeit. näher kommen kann In der Partnerschaft zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Bevölkerung und Politik. Das ist unser Ziel, und ich glaube an Sie als Partner.

Herr Weihbischof, ich bitte um Nachsicht. Ich sagte, wir haben heute Tag der offenen Tür. Ich bin da bei der Bevölkerung angekündigt. Und wie immer: Unsere Büros planen gnadenlos. Ich würde mich jetzt viel lieber noch bei Ihnen aufhalten. Ich muss aber jetzt zur Bundespressekonferenz, in dem die Bvölkerung den Bundesinnenminister eine Stunde befragen kann. Ich sage nochmal: Ich würde jetzt lieber bei Ihnen bleiben, aber ich hoffe, Sie haben Verständnis. Das erlaube ich mir jetzt, Herr Weihbischof, auch als Politiker: Für Sie alles Gute, persönliches Wohlergehen und Gottes Segen.