4. Gedenktag der Bundesregierung für die Opfer von Flucht und Vertreibung

Typ: Rede , Datum: 20.06.2018

Begrüßung von Bundesminister Horst Seehofer zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni 2018 in Berlin

  • Ort

    Schlüterhof

  • Rednerin oder Redner

    Horst Seehofer, Bundesinnenminister

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
sehr geehrter Herr Weihbischof,
sehr geehrter Herr Präsident des Bundes der Vertriebenen,
sehr geehrter Herr Arunagirinathan,
Exzellenzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und den Landtagen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

"Gedenktage sind Denkmäler in der Zeit."

So sagt es die Kulturwissenschaftlerin Alida Assmann, die in diesem Jahr [zusammen mit ihrem Ehemann] den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird.

Die Bedeutung eines Gedenktages zeigt sich deswegen in der Zeit und mit der Zeit - an den Tagen selbst. Gedenktage brauchen Pflege durch Menschen - und das jedes Jahr von neuem:

Heute und hier haben viele Menschen diesen Gedenktag vorbereitet und geplant. Es wurden Musik und Blumen ausgewählt. Viele von Ihnen haben eine Reise auf sich genommen, um heute hier zu sein. Die Redner haben über ihre Rede nachgedacht - die Musiker haben die Lieder geprobt, die wir heute hören.

Das mögen für sich genommen Kleinigkeiten sein. Im Großen sind aber all diese Vorbereitungen bereits ein erster Teil des Gedenkens selbst - ein Teil von dem, was dem Gedenktag seine Bedeutung verleiht.

Beginnen möchte ich deswegen mit einem Dank an alle, die heute an dieser Gedenkstunde beteiligt sind - von den Helferinnen und Helfern bis hin zu Ihnen, den Gästen - vorneweg natürlich der verehrten Frau Bundeskanzlerin. Sie alle machen diesen Gedenktag zu dem, was er ist.

Sie machen diesen Gedenktag besonders - ich danke Ihnen ganz herzlich dafür!

Meine Damen und Herren,
heute genau vor 70 Jahren war der Stichtag der Währungsreform, der 20. Juni 1948. Es war der Tag, der für die Menschen in einer jungen Bundesrepublik die wirtschaftliche Wende der Nachkriegszeit symbolisierte.

Christian Krockow schrieb dazu: "Die eigentlichen Verlierer an diesem Tag waren die Vertriebenen: Sie verfügten über keinerlei Sachwerte. Sie waren keine Gutsbesitzer oder Fabrikanten - keine Großbauern oder Handwerksmeister. Sie stammten meist aus wenig aussichtsreichen Verhältnissen."

Verletzt, vom Hunger gezeichnet und traumatisiert gelangten sie in ein zerstörtes Land. Dort wurden sie häufig als Fremde und Konkurrenten um Obdach und die knappen Lebensmittel empfunden.

Und so sehr der 20. Juni 1948 kein Tag der Besserung, sondern eher ein Tag der Verschlechterung für die Vertriebenen war, so markiert er dennoch auch den Anfang ihres Aufstiegs.

Krockow weiter: "Die Vertriebenen erwiesen sich in der Folge wie kaum eine andere Gruppe als leistungsbereit und leistungsstark. Sie suchten ihre Chancen dort, wo sie sich boten - waren bereit, mit harter Arbeit ihrem vermeintlich vorbestimmten Leben in Armut entkommen.

Es schien, als habe der Schock der Vertreibung ungeahnte Kräfte freigesetzt, die - zumindest in der Generationenfolge - den sozialen und gesellschaftlichen Aufstieg bewirkten."

Das westdeutsche Wirtschaftswunder, das für unser Selbstverständnis und den Lauf der Geschichte unseres Landes eine so wichtige Rolle spielt - es wäre ohne den Einsatz der Vertriebenen nicht möglich gewesen.

Ihr Fleiß und ihre Arbeit war ein wichtiger Bestandteil der Erfolgsgeschichte des „Made in Germany“.

Ohne die Leistungen der Vertriebenen wären wir nicht das starke und selbstbewusste Land, das wir heute sind.

Wer das Schicksal der Vertriebenen kennt, der kann auch nachempfinden, was viele Flüchtlinge unserer Tage erlebt haben und leidvoll erfahren.

Beide Gruppen sind nur schwer miteinander zu vergleichen. Aber die Lehren daraus sind ähnlich - nämlich dass Frieden kostbar ist. Dass Humanität am Anfang unseres Denkens stehen muss. Und dass wir unsere Orte der Vertrautheit nicht erst als Heimat erkennen und bewahren sollten, wenn sie verloren sind.

Meine Damen und Herren,
jeder fünfte Deutsche hat Vorfahren aus Pommern, Schlesien, Ostpreußen oder der Bukowina.

Das Schicksal der Vertriebenen, an die der heutige Gedenktag vor allem erinnert, gehört damit zur Geschichte vieler Familien in unserem Land.

Beim Erinnern an sie und ihre Geschichte erkennen wir,

  • was uns wichtig war,
  • was uns wichtig ist
  • und was es heute wert ist, bewahrt und beschützt zu werden.

In diesem Erinnern erkennen wir unser Land. Das ist für mich der tiefere Sinn des heutigen Gedenktages.

Gut, dass wir ihn haben.

Ich heiße Sie herzlich willkommen!