Gesetzlicher Anspruch auf Einbürgerung für NS-Verfolgte und ihre Nachkommen von Bundestag und Bundesrat beschlossen
Pressemitteilung 25.06.2021
Bundesregierung bekennt sich zur historischen Verantwortung Deutschlands auch gegenüber denjenigen, die als Nachfahren deutscher NS-Verfolgter staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben
Bundestag und Bundesrat haben heute das Vierte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes beschlossen, mit dem vor allem gesetzliche Ansprüche zur staatsangehörigkeitsrechtlichen Wiedergutmachung geschaffen werden.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hatte am 30. August 2019 Erlassregelungen in Kraft gesetzt, durch die Nachfahren NSVerfolgter, die staatsangehörigkeitsrechtlich Nachteile erlitten haben, aber nicht unter den Anspruch aus Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes fallen, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können.
Berücksichtigt wurden auch Kinder deutscher und früherer deutscher Staatsangehöriger, die bei Geburt vor dem 1. Januar 1975 beziehungsweise vor dem 1. Juli 1993 in geschlechterdiskriminierender Weise vom Abstammungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, sowie deren Abkömmlinge. Die Erlassregelungen sind von den Betroffenen sehr positiv angenommen worden.
Diese Regelungen werden nun in einem zweiten Schritt in gesetzliche Anspruchsgrundlagen übergeleitet und es werden umfassende gesetzliche Regelungen geschaffen, die teilweise über die Erlasse hinausgehen. Dem Wiedergutmachungsrecht wird dadurch das erforderliche symbolische Gewicht eingeräumt.
Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zur historischen Verantwortung Deutschlands auch gegenüber denjenigen, die als Nachfahren deutscher NS-Verfolgter staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben. Sie erachtet es als großen Vertrauensbeweis, wenn die Nachkommen zwangsläufig emigrierter NS-Verfolgter heute wieder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen.
Das Gesetz regelt daher auch ausdrücklich, dass der sog. Generationenschnitt in den Fällen der staatsangehörigkeitsrechtlichen Wiedergutmachung von NS-Unrecht nicht zur Anwendung kommt, so dass Ansprüche auf Wiedergutmachungseinbürgerung auch künftig keiner Befristung unterliegen werden.
Für Abkömmlinge, deren maßgeblicher Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit in der Vergangenheit bereits erhalten hat und die von einem Vorfahren mit NS-Verfolgungshintergrund abstammen, findet der Generationenschnitt auch beim Geburtserwerb im Ausland keine Anwendung. Sie sind dadurch vom Erfordernis befreit, innerhalb eines Jahres nach Geburt einen Antrag auf Beurkundung der Geburt im Geburtenregister zu stellen, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten.
Für alle, die von den früheren geschlechterdiskriminierenden Abstammungsregelungen betroffen sind, weil sie als eheliches Kind von einer deutschen Mutter und einem ausländischen Vater oder als nichteheliches Kind von einem deutschen Vater und einer ausländischen Mutter abstammen und deshalb vom Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, wird ein zehnjähriges Erklärungsrecht geschaffen, mit dem die deutsche Staatsangehörigkeit durch einfache Erklärung in Anspruch genommen werden kann.
Anspruchsberechtigt sind alle ab Geltung des Grundgesetzes bis zur Änderung der nicht verfassungskonformen Regelungen über den Abstammungserwerb Geborenen und deren Abkömmlinge. Angesichts der antisemitischen Ausschreitungen in den letzten Wochen in Deutschland sieht das Gesetz zudem vor, dass eine Person, die wegen antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Taten verurteilt wurde, unabhängig vom Strafmaß nicht eingebürgert werden kann.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ergänzend hierzu seine Vorläufigen Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 1. Juni 2015 dahingehend ändern, dass Einbürgerungsbewerber ausdrücklich darüber belehrt werden, dass antisemitische, rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende Handlungen nicht mit der vom Grundgesetz garantierten Würde und Gleichheit aller Menschen zu vereinbaren sind und dem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegenstehen.
Der Bundestags-Innenausschuss hat außerdem mit großer Mehrheit beschlossen, künftig ein stärkeres Augenmerk darauf zu richten, Ausländerinnen und Ausländern, insbesondere, wenn sie deutsche Staatsangehörige werden wollen, die historische Verantwortung Deutschlands näher zu bringen, aus der folgt, dass Antisemitismus nicht geduldet wird, das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehört und religiöse Toleranz gegenüber der jüdischen Religion eingefordert wird.
Deshalb wurde die Bundesregierung aufgefordert, den Einbürgerungstest und das Curriculum der Orientierungskurse vor Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit anzupassen, um diese Punkte deutlicher hervorzuheben.
Daneben enthält das Gesetz fachtechnische Änderungen, die sich aus der Rechtsprechung und aus der Praxis der Einbürgerungsbehörden ergeben haben.
Anträge auf Wiedergutmachungseinbürgerung sowie Erklärungen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit können nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden. Das Gesetz wird am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Der Zeitpunkt der Verkündung steht noch nicht fest.