"Jeder Einzelfall wird konsequent aufgeklärt und rigoros verfolgt!"
Pressemitteilung 06.10.2020
Bundesinnenminister Seehofer stellt Lagebericht "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" vor – "Kein strukturelles Problem"
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat heute den Lagebericht "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" vorgestellt. Dieser gibt erstmalig einen bundesweiten Überblick über Verdachtsfälle und bestätigte Fälle. Mitgewirkt haben alle Sicherheitsbehörden des Bundes, alle Landesämter für Verfassungsschutz und über diese auch die Landeskriminalämter und Landespolizeibehörden.
Die Sicherheitsbehörden der Länder mit insgesamt rd. 276.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leiteten im Erhebungszeitraum (1. Januar 2017 bis 31. März 2020) Ermittlungen in insgesamt 319 Verdachtsfällen ein. Die Bundessicherheitsbehörden mit insgesamt rd. 109.000 Mitarbeitern meldeten für den gleichen Zeitraum 58 Verdachtsfälle. Der Militärische Abschirmdienst meldet für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung mit rund 260.000 militärischen und zivilen Angehörigen 1.064 Verdachtsfälle. Die Verdachtsfallzahlen für den Geschäftsbereich des BMVg sind allerdings aufgrund abweichender Definition eines Verdachtsfalls nicht direkt vergleichbar.
Auf Grundlage der den Verfassungsschutzbehörden vorliegenden Erkenntnisse wurden 34 Fälle von Angehörigen einer Sicherheitsbehörde weiterführend untersucht, bei denen verdichtete Anhaltspunkte für Rechtsextremismus vorliegen. 22 der 34 erkannten Rechtsextremisten sind in Polizeibehörden tätig, elf weitere in der Bundeswehr. Ein Rechtsextremist ist im Bereich der Zollbehörden zu verorten.
Bundesinnenminister Horst Seehofer: "Die geringe Zahl von nur 34 erwiesen rechtextremistischen Fällen zeigt deutlich: Die ganz überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Es gibt kein strukturelles Problem. Aufgrund der Vorbildfunkton des Öffentlichen Dienstes sage ich aber sehr deutlich: Jeder bewiesene Fall ist eine Schande. Jeder bewiesene Fall ist ein Fall zu viel, der alle Beschäftigten der Sicherheitsbehörden in Mitleidenschaft zieht. Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass wir jeden Einzelfall konsequent aufklären, und rigoros verfolgen. Es gilt der Grundsatz: Null Toleranz bei extremistischen Aktivitäten."
Der Bundesinnenminister zieht aus dem Bericht folgende Schlussfolgerungen:
- Er hat das Bundesamt für Verfassungsschutz beauftragt, die nun vorliegenden Fakten breit zu analysieren, Hintergründe und Motivlagen zu erhellen, die Meldewege zu untersuchen und erforderliche Rechtsänderungen aufzuzeigen. Diese Analyse wird in einer fortgeschriebenen Fassung des Berichts enthalten sein. Der Lagebericht soll zudem in einem nächsten Schritt auf den gesamten öffentlichen Dienst ausgeweitet werden.
- Der Bundesinnenminister wird dem Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus vorschlagen, eine umfassende Untersuchung zu Erscheinungsformen von Rassismus in allen Bereichen der Gesellschaft in Auftrag zu geben, ohne dies auf eine Berufsgruppe zu beschränken.
- Außerdem wird das Bundesinnenministerium eine Studie beauftragen zu Motivationslagen von Polizeianwärtern, sich für den Polizeiberuf zu bewerben, sowie zum Polizeialltag und der zunehmenden Gewalt gegen Polizeibeamte.
Nach dem Lagebericht sind von 365 eingeleiteten Verfahren (Länder: 303, Bund: 62) 275 disziplinarrechtliche Verfahren (Länder: 237, Bund: 38) und 71 Verfahren mit dem Ziel der Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe (Länder: 48; Bund: 23); parallel wurden 292 strafrechtliche Verfahren (Länder: 261, Bund: 31) eingeleitet.
Bei den Sicherheitsbehörden der Länder wurden 52 disziplinarische oder arbeitsrechtliche Maßnahmen verhängt und 48 Entlassungen aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf bzw. die Nichternennung in das Beamtenverhältnis auf Probe durchgesetzt. 67 Verfahren wurden eingestellt (21%).
Die Sicherheitsbehörden des Bundes verhängten elf Maßnahmen und entließen 13 Beamte aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf bzw. ernannten sie nicht zu Beamten. Sieben Verfahren wurden eingestellt, 31 Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Im Bereich des BAMAD wurden im Zeitraum 1. Januar 2017 bis Januar 2020 46 einfache Disziplinarmaßnahmen, zehn gerichtliche Disziplinarmaßnahmen sowie 40 Strafverfahren eingeleitet. Von den Strafverfahren wurden 24 Verfahren eingestellt. In den Jahren 2018 und 2019 wurden insgesamt 70 Soldaten wegen rechtsextremistischer Verfehlungen entlassen. Mit Stand 9. April 2020 liefen noch 42 Entlassungsverfahren gegen Soldaten mit Bezug zum Rechtsextremismus.
In den vergangenen Jahren wurden durch die Sicherheitsbehörden verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um rechtsextremistische Positionen und Handlungen in den Behörden frühzeitig zu erkennen bzw. solchen Entwicklungen entgegenzuwirken. Die Maßnahmen basieren auf drei zentralen Säulen: Prävention, Detektion und Reaktion. Wichtiges Koordinierungsinstrument ist die beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingerichtete und zuletzt gestärkte Koordinierungsstelle zur Aufklärung von Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst.