"Wir müssen jetzt zügig vorankommen"
Interview 16.03.2023
Bundesinnenministerin Nancy Faeser über den Amoklauf, das Waffengesetz und Sportschützen.
Weser-Kurier Bremen
Frau Faeser, Sie waren am Tag nach dem Amoklauf in Hamburg vor Ort. Wie haben Sie die Tat wahrgenommen?
Ich habe selten so eine unfassbare Brutalität geschildert bekommen. Es war furchtbar zu hören, wie brutal dieser Amokläufer vorgegangen ist und Menschen getötet und andere furchtbar schwer verletzt hat. Manche ringen noch immer um ihr Leben. Gleichzeitig muss ich sagen: Die Hamburger Polizei hat hochprofessionell gehandelt. Die auf Amoklagen speziell trainierten Kräfte waren schnell am Tatort, haben sofort reagiert und so noch vielen Menschen das Leben gerettet.
Jetzt ist das Waffengesetz in der Vergangenheit auch als Reaktion auf frühere Amokläufe und Attentate immer wieder verschärft worden, zuletzt 2019. Warum braucht es jetzt die nächste Verschärfung?
Wir müssen sehr ernsthaft darüber sprechen, welche zusätzlichen Handlungsmöglichkeiten und Informationen die Waffenbehörden benötigen, um früher erkennen zu können, wenn von Waffenbesitzern erhebliche Gefahren für andere Menschen ausgehen. Wir wissen schon von früheren schweren Gewalttaten, dass wir striktere und regelmäßigere Überprüfungen brauchen. Ich habe meinen Entwurf zur Verschärfung des Waffengesetzes bereits im Januar vorgelegt. Jetzt müssen wir zügig vorankommen.
Es hatte zuvor unter anderem die Razzia gegen die Reichsbürger gegeben.
Ja, 25 Terrorverdächtige aus der Reichsbürger-Szene sind verhaftet worden. Und es sind viele Waffen sichergestellt worden. Darauf mussten wir reagieren. Wir haben außerdem beim rechtsterroristischen Anschlag in Hanau gesehen, dass wir strengere Regeln brauchen, um Menschen die Waffen zu entziehen, die sich im Internet radikalisieren und zu solch unfassbaren Taten bereit sind.
Was sind bei dem neuen Entwurf die zentralen Verbesserungen?
Wir wollen, dass künftig die Waffenbehörde nicht nur beim Verfassungsschutz und der örtlichen Polizei Erkenntnisse abfragt, sondern auch beim Gesundheitsamt – bevor eine Waffenerlaubnis erteilt wird. Wenn Gesundheitsämter Informationen dazu haben, dass von einem Menschen mit einer schweren psychischen Krankheit eine Gefahr für andere Menschen ausgeht, dann müssen sie diese Information künftig den Waffenbehörden übermitteln – zum Beispiel, wenn jemand schon einmal in eine Psychiatrie eingewiesen wurde, weil er andere bedroht hat. Außerdem wollen wir, dass künftig alle, die zum ersten Mal einen Antrag stellen, ein psychologisches Gutachten vorlegen müssen. Auch bei einem Umzug müssen wir sicherstellen, dass die Behörden am ehemaligen Wohnort beteiligt werden, damit keine Informationen verloren gehen.
Beim Stichwort Zusammenarbeit zwischen den Behörden fällt einem das Beispiel der Messerattacke im Zug zwischen Kiel und Hamburg im Januar ein. Dort gab es große Kommunikationsprobleme zwischen den zuständigen Behörden, auf E-Mails wurde nicht oder erst verspätet reagiert. Wie soll das besser werden?
Wir brauchen einen regelmäßigen, institutionalisierten Austausch zwischen den Behörden. Mein Kollege Marco Buschmann…
…der FDP-Justizminister…
…hat die Vorschriften für Strafverfahren verändert, so dass es jetzt stärkere Übermittlungspflichten gibt. Was ebenfalls sehr wichtig ist, und das scheint in Bremen gut zu funktionieren, ist der Austausch mit den Justizvollzugsanstalten: Man muss die Entlassung von entsprechenden Tätern sehr eng begleiten und sich länderübergreifend und zwischen den Kommunen austauschen, um alle Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren zu treffen.
Sie haben vom geplanten Verbot von kriegswaffenähnlichen Langwaffen gesprochen. Wie sieht es mit halbautomatischen Pistolen aus, wie sie der Täter in Hamburg verwendet hat?
Halbautomatische Sturmgewehre, mit denen in den USA furchtbare Amokläufe an Schulen begangen wurden, wollen wir vollständig verbieten. Niemand sollte privat solche Waffen besitzen. Wir müssen zugleich immer nach ausgewogenen Lösungen suchen. Wir werden nicht alles verbieten können. In diesem Fall geht es um Waffen, die von Sportschützen und Jägern genutzt werden.
Wolfgang Kubicki von der FDP, Ihrem Koalitionspartner in der Regierung, hat sich auch geäußert. Er hat gesagt: "Die natürliche Reaktion, zunächst alles verbieten zu wollen, verbietet sich." Was sagen Sie Herrn Kubicki?
Ich sage ihm, dass die Notwendigkeit für ein schärferes Waffengesetz nicht erst seit der furchtbaren Amoktat in Hamburg besteht, sondern dass wir diese Absicht auch schon im Koalitionsvertrag vereinbart haben – vor allem um Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen.
Die Grünen, Ihr zweiter Koalitionspartner, begrüßen, dass künftig bei einem Antrag ein psychologisches Gutachten für alle und nicht nur für Unter-25-Jährige verpflichtend wird. Wie ist dieser Aufwand zu bewältigen?
Ich glaube, dass es über die Amtsärzte zu regeln sein könnte. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass niedergelassene Fachärzte und Psychologen mit ins Boot geholt werden.
In Deutschland sind schon heute über fünf Millionen registrierte Schusswaffen in Umlauf – was kann man dafür tun, dass sie nicht missbraucht werden oder in die falschen Hände geraten?
Im Grunde das, was der Bremer Innensenator schon sehr vorbildlich macht: kontrollieren. Waffenbehörden dürfen Waffenbesitzer unangekündigt kontrollieren, und das braucht es auch. Da ist in den vergangenen Jahren leider in vielen Behörden, zum Teil notgedrungen, am falschen Ende gespart worden. Aber an der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger darf man nicht sparen.
Auf Ihren Vorstoß im Januar hat es postwendend Reaktionen gegeben. Der Präsident des Bundes Deutscher Sportschützen hat ihre Pläne "bürokratisch überzogen" genannt. Wie stark ist der Gegenwind, den Sie spüren?
Die Sportschützen und auch die Jäger, die privat Waffen besitzen, haben selbst ein großes Interesse daran, dass Straftäter, Extremisten oder Menschen, die aufgrund von psychischen Krankheiten eine Gefahr für andere sind, keine Waffen besitzen. Es ist auch für die Vereine eine Katastrophe, wenn es hinterher heißt: Der Täter war in einem Schießsportverein.
Trotzdem fällt auf, dass häufig Sportschützen die Täter sind, so war es in Hamburg, so war es in Hanau, so war es in Bramsche vor zwei Wochen und nur einen Tag vor Hamburg auch in Sachsen-Anhalt. Sind die Sportschützen ein Problem?
Das darf man nicht generalisieren. Ich bin überzeugt, dass es unser gemeinsames Anliegen ist, dafür zu sorgen, dass Waffen nicht in falsche Hände kommen.
Warum brauchen Sportschützen überhaupt eigene Waffen?
Weil zum Schießsport Waffen gehören.
Sie meinen, weil zum Beispiel die Waffen auf die individuellen Bedürfnisse jedes Schützen abgestimmt sind.
Ich weiß, dass immer wieder auch diskutiert wird, ob man die Waffen nicht besser an einem Ort zentral aufbewahrt. Aber bisher ist die Gefährdungseinschätzung so, dass es am sichersten ist, wenn die Besitzer ihre Waffe mit nach Hause nehmen und sie dort vorschriftsgemäß im Tresor wegschließen. Sehr viele Waffen an einem Ort zu lagern, stellt auch eine erhebliche Gefahr dar. Die Vereinsheime wären dafür derzeit auch nicht ausgerüstet und müssten zur Einbruchssicherheit massiv technisch und personell verstärkt werden.
Das Gespräch führte Marc Hagedorn.