"Ich habe gesagt, was Sache ist“

Typ: Interview , Datum: 22.01.2023

Nancy Faeser ist Innenministerin und gilt als Kandidatin für das Amt der hessischen Ministerpräsidentin. Seit sie im Amt ist, macht sie mit harten und schnellen Äußerungen auf sich aufmerksam. Ein Fehler? Ein Gespräch.

Frankfurter Allgemeine Zeitung am Sonntag

Frau Ministerin, als ich Ihre Wortmeldungen der vergangenen Monate las, dachte ich: Ganz schön hart für eine SPD-Politikerin.

Es ist mein Job als Bundesinnenministerin, auch dorthin zu gehen, wo es wehtut. Als Innenpolitikerin wird man schnell als härter wahrgenommen als andere. Das sind einfach härtere Themen. Ich habe eine klare Haltung und eine klare Sprache.

Hier einige Überschriften: Faeser will weniger ausländische Prediger. Faeser will irreguläre Migration auf der Balkan-Route eindämmen. Faeser will Frontex stärken. Faeser will Body-Cams für alle Polizisten. Faeser will Vorratsdatenspeicherung. Solche Innenminister kriegen oft den Spitznamen "Sheriff“.

Ich bin dafür da, für die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu sorgen. Das treibt mich Tag und Nacht um. Aber das kann ich nicht tun, indem ich nur über Prävention spreche, so wichtig sie mir ist. Es geht um ein konsequentes Handeln des Rechtsstaats. Ich habe nie ein Geheimnis darum gemacht, dass ich eine pragmatische Sozialdemokratin bin, für die Sicherheit ein sozialdemokratisches Kernthema ist. Es war in meiner politischen Karriere immer nachvollziehbar, wo ich stehe.

Vielleicht entsteht Verwunderung, weil es viele nicht mehr gewöhnt sind, dass die SPD das Innenministerium führt. Der letzte SPD-Minister hieß Otto Schily, im Volksmund der "rote Sheriff“. Fanden Sie den gut?

Dann werden sich viele daran gewöhnen. Ich fand Otto Schily deshalb gut, weil er als Innenminister in Zeiten schwerer Anschläge wie 9/11 entschieden gehandelt hat.

Geht es jenseits der Sachfragen auch um ein Gefühl von Sicherheit, geschaffen durch klare Sprache?

Es geht darum, das Richtige zu tun. Und ja, innere Sicherheit hat auch mit subjektivem Empfinden zu tun. Zum Beispiel gehört auch die Ausleuchtung von Wegen und Straßen dazu. Ich finde es ganz entsetzlich, dass sich das Sicherheitsempfinden von Frauen und Männern nach Einbruch der Dunkelheit so stark unterscheidet. Frauen meiden abends und nachts oft den öffentlichen Verkehr. Diese Tatsache habe ich bei der letzten Innenministerkonferenz deutlich thematisiert: Wir brauchen hier wieder mehr Sicherheitspersonal in Bussen und Bahnen, mehr Polizei an öffentlichen Plätzen und auch mehr Videoüberwachung.

Das muss doch bei Parteilinken schon die eine oder andere Irritation ausgelöst haben.

Es gibt manchmal Nachfragen: Warum hast du das jetzt so ausgedrückt? Manchmal geht es nur darum, ein bestimmtes Problem angesprochen zu haben, ein anderes aber nicht. Wenn ich im Terrorabwehrzentrum über die Bekämpfung von islamistischem Terrorismus spreche, dann spreche ich nicht im gleichen Atemzug über Rechtsextremismus, nur um zu zeigen, dass ich beides auf dem Schirm habe.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit hatte sich ein ganz gegenteiliger Eindruck ergeben. Sie hatten einen Gastbeitrag in einer Zeitschrift namens "Antifa“ veröffentlicht.

Das war vor meiner Zeit als Ministerin.

Aber es wurde bekannt, als Sie Ministerin wurden.

Ich habe in dem Gastbeitrag für eine Organisation von unter dem Nationalsozialismus verfolgten Menschen damals über die Drohungen geschrieben, die ich unter dem Kürzel "NSU 2.0" erhalten habe. Den Inhalt hat niemand kritisiert. Das Medium konnte ich als hessische Oppositionsführerin wählen, als Innenministerin nicht mehr.

Wie würden Sie Ihren Politikstil beschreiben? 

Ich will Politik aus dem Leben machen. Ich komme aus der Kommunalpolitik, war lange Stadtverordnete in Schwalbach am Taunus. Das hat mich geprägt, weil es so unmittelbar ist. Man entscheidet nicht anhand der Aktenlage, sondern geht raus zu den Menschen. Ich habe im Frankfurter Bahnhofsviertel bei der Polizei Nachtschichten mitgemacht, war bei einem Leichenfund dabei. Das ist hart. Oder ich habe je einen Tag in einer Kindertagesstätte, in einem Lebensmittelgeschäft, im Krankenhaus und im Hospiz mitgearbeitet. Mit diesen Erfahrungen treffe ich politische Entscheidungen auf einer anderen Grundlage. Dann kenne ich die Anliegen der Menschen, um die es geht. Deshalb treffe ich auch jetzt so oft Polizei- und Rettungskräfte, gehe in Ämter, in Flüchtlingsunterkünfte, an Grenzübergänge.

Geht es auch darum, sich nicht taktisch zu verhalten?

Ja, mir war immer wichtig, bei mir zu bleiben, mich durch politische Ämter nicht zu verändern. Ich sage meinen Freunden immer, sie sollen mir sofort sagen, wenn ich mich verändere.

Neulich waren Sie in Katar bei der Fußballweltmeisterschaft und trugen die One-Love-Armbinde gegen Diskriminierung. Was haben Sie sich davon versprochen?

Ich wollte ein Zeichen setzen für Vielfalt, für Frauenrechte, für Rechte von Homosexuellen. Und gegen die FIFA, die den Spielern Strafen angedroht hatte, wenn sie diese One-Love-Armbinde tragen. Das war nichts, das ich mir ewig lange überlegt hatte. Und mir ist sehr wichtig: Wenn es um Menschenrechte geht, schauen wir nicht nur auf andere. Auch wir haben Themen, die wir angehen müssen. Erschreckend viele erleben psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt im Sport. Wir gründen gerade ein Zentrum Safe Sport für die Betroffenen – und für einen in jeder Hinsicht gewaltfreien Sport in Deutschland.

Sie trugen die Armbinde für das heimische Publikum?

Für eine Haltung, die mir wichtig ist. Und weil für mich als Sportministerin entscheidend ist, dass wir große politische Fragen nicht auf dem Rücken der Spieler austragen.

In Katar kam das nicht gut an. Mancher spöttelte, man wolle mal sehen, ob die Deutschen noch so eine Binde tragen, wenn sie den nächsten Gasdeal unterzeichnen. War das also Show?

Diese ganze WM sollte eine glänzende Show von Katar und der FIFA sein. Das ist ihnen nicht gelungen, viele Fans haben sich abgewandt und die Menschenrechtslage im Land wurde zu einem großen Thema. Nach der Show sollten Sie deshalb wohl eher dort fragen.

Üblicherweise erreichen Politiker im Ausland mehr, wenn sie sich in der Öffentlichkeit differenziert äußern und dann hinter verschlossenen Türen hart in der Sache verhandeln. Sie haben das genaue Gegenteil gemacht.

Nein. Ich habe die Ausbeutung der Wanderarbeiter, die die Stadien gebaut haben und die Diskriminierung von Homosexuellen hinter verschlossenen Türen wesentlich deutlicher angesprochen, als ich es mit der One-Love-Binde zeigen konnte.

In der Sache wurde so nichts erreicht, Sie aber profitierten beim heimischen Publikum. In der Rangliste beliebter Politiker stiegen Sie danach auf.

Da widerspreche ich ganz stark. Ich handle nach meiner Überzeugung. Und natürlich verändert sich etwas: Künftig werden Menschenrechte schon bei der Vergabe solcher Sportevents entscheidendes Kriterium sein. Jahre später, wenn die Turniere stattfinden, ist es zu spät. Im Übrigen ist für mich entscheidend, Themen dort zu diskutieren, wo sie stattfinden. Das gilt auch, wenn ich nach der Silvesternacht eine Feuerwache in Neukölln besuche und daraus Konsequenzen ziehe für einen besseren Schutz der Einsatzkräfte. Hingehen, zuhören, handeln. So arbeite ich, ich entscheide nicht nur vom Schreibtisch aus.

Die Silvesternacht ist ein gutes Beispiel, weil Ihnen da vorgeworfen wurde, sich vorschnell geäußert zu haben. Sie sagten: "Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden.“  Zwei Drittel der Leute, die in Berlin Einsatzkräfte angriffen, waren aber Deutsche. Sitzen die Pressemitteilungen manchmal zu locker bei Ihnen?

Ich habe gesagt, was Sache ist und was notwendig war. Auch, dass viele derer, die am meisten unter dieser Gewalt gelitten haben, wie die Einsatzkräfte oder die Nachbarn, einen Migrationshintergrund haben. Ich halte nichts davon, hier herumzudrucksen.

Ihre Präsenz in den Medien hat schon zu Unmut in Ihrem Ministerium geführt. Mancher dort sagt zu Journalisten: Die Ministerin kommuniziert zu viel nach außen, zu wenig nach innen. Da fühlt sich offenbar jemand vernachlässigt.

Das erlebe ich ganz anders, und ich habe sehr viele Rücksprachen. Ich habe das Glück, ein sehr leistungsstarkes Ministerium zu führen. Die fachliche Arbeit im Ministerium, und der Blick nach draußen – beides ist essenziell für meine Arbeit. Wenn wir zum Beispiel eine App entwickeln, die ukrainischen Flüchtlingen hilft, dann ist für mich wichtig, auch selbst nachzufragen, welche Informationen sie brauchen. Aus dem gleichen Grund war ich zwei Mal im Ahrtal, um zu verstehen, wie die Menschen die Flutkatastrophe erlebt haben, um danach einen Neustart im Bevölkerungsschutz einzuleiten, mit dem wir uns künftig besser gegen Krisen und Katastrophen wappnen.

Was helfen diese Gespräche mit Betroffenen genau? Sie können doch nicht danach zu Ihrem Staatssekretär sagen: Wir müssen den Gesetzentwurf umschreiben, eine Pflegerin im Klinikum hat gesagt, so geht das nicht.

Ich komme nach solchen Gesprächen zurück und frage, ob es noch mehr Fakten gibt, ob hinter dem, was die Pflegerin sagt, ein Muster steht. Das löst Prozesse aus. 

Was bewirkt dabei der ständige Zeitdruck? Neulich kam in Berlin ein Rettungswagen wegen Klimaprotesten zu spät zu einer Unfallstelle, eine Frau starb. Sie sagten in diese Aufregung hinein, "die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden“.  Später ergab ein Vermerk der Notärztin: Das Bergungsfahrzeug, das im Stau stand, wurde gar nicht gebraucht. Können Sie immer warten, bis alle Fakten bekannt sind?

Die Menschen erwarten, dass man sich äußert. Das ist auch richtig so. In diesem Fall habe ich nicht auf den Todesfall reagiert, sondern auf die Tatsache, dass Menschen sich festkleben und andere daran hindern, zur Arbeit zu kommen. Wenn Rettungsgassen versperrt werden, besteht mindestens die Gefahr, dass Einsatzkräfte zu spät kommen.

Wenn Sie in Gewahrsam genommene Klimakleber als "Straftäter" bezeichnen, könnten Sie auch "Beschuldigte" sagen, aber dann wäre es nicht so knackig.

Der Eingriff in den Flugverkehr ist eine schwere Straftat. Deshalb ist es keine Lappalie, wenn jemand den Flugbetrieb am Berliner Flughafen für zwei Stunden lahmlegt. Um diesen Vorfall ging es. Ich war ja lange Anwältin in einer großen Anwaltskanzlei - auch da lernen Sie, sich so auszudrücken, dass es Dritte verstehen. Das ist mir sehr wichtig.

Heißt das: Wer in allem immer unendlich genau spricht, wirkt abgehoben?

Wahrscheinlich. Aus der Kommunalpolitik bin ich es gewohnt, den Leuten gegenüber zu treten und die müssen mich verstehen. Sie können Bürgern, die wissen wollen, wo das Feuerwehrgerätehaus hinkommt, nicht das komplexe Bauleitverfahren erklären. Sie müssen sagen, worum es geht: Dass die Feuerwehr innerhalb von zehn Minuten am Einsatzort sein muss und die Wache deshalb nicht am Stadtrand stehen sollte. Sie müssen komplexe Sachverhalte so rüberbringen, dass die Leute sie begreifen. So verstehe ich Politik.

Man kann auch zu stark vereinfachen. Im Bundestag haben Sie in einer Fragestunde mal von einer "Beweislastumkehr“ gesprochen beim Disziplinarrecht. Das klang, als wollten Sie einen wichtigen Pfeiler des Rechtsstaats abschaffen, die Polizeigewerkschaft witterte eine "Hexenjagd“. Sie sind Juristin. Wie kommt so eine Äußerung zustande?

Das war das falsche Wort dafür. Das stimmt, ist aber vielleicht auch menschlich. Wenn ich eine Stunde lang zu allen Themen der Bundesregierung befragt werde, dann kann es passieren, dass ich mal ein falsches Wort benutze. Damals hat das überhaupt nichts ausgelöst. Ein Dreivierteljahr später wurde es ausgepackt. Geschenkt. Worum es geht, kann ich schnell erklären: Nach meinem Gesetzentwurf können künftig Behörden selbst handeln und Extremisten entlassen. Bisher müssen sie Disziplinarklage beim Verwaltungsgericht erheben, das dauert oft Jahre.

In Krisen sagen Politiker manchmal Dinge, die gut klingen, dann folgt nichts daraus. Sie haben einen Monat nach der bundesweiten Razzia bei "Reichsbürgern“ eine Verschärfung des Waffenrechts in Aussicht gestellt. Ihr Koalitionspartner FDP will davon nichts wissen und schiebt es auf die lange Bank. War das ein leeres Versprechen?

Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir Extremisten konsequent entwaffnen müssen. Dafür ist die von mir vorgeschlagene Verschärfung des Waffenrechts wichtig. Für die FDP scheint der Weg hier weit zu sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir das Waffenrecht gemeinsam ändern werden.

Sie sind SPD-Landesvorsitzende in Hessen, wo im Herbst eine Wahl stattfindet. Können Sie sich noch an das Jahr 2012 erinnern? Damals war ein Bundesumweltminister namens Norbert Röttgen in Nordrhein-Westfalen als Spitzenkandidat angetreten und hegte die Hoffnung, im Falle einer Wahlniederlage das Ministeramt einfach zu behalten, statt Fraktionsvorsitzender in Düsseldorf zu werden. Er verlor am Ende beides: die Wahl und das Ministeramt. Hat Herr Röttgen damals alles richtig gemacht?

Er hat damals gegen eine starke SPD-Kandidatin verloren. Das kann schon mal vorkommen.

Das war eine abstrakte Frage, sie betrifft Herrn Röttgen.

Über die Spitzenkandidatur in Hessen entscheiden wir erst in zwei Wochen. Ich bin mit großer Kraft und Leidenschaft Bundesinnenministerin – und daran wird sich so schnell nichts ändern.

Viel Zeit bleibt der SPD nicht mehr, eine Kandidatin zu finden. Haben Sie schon mal überlegt, anzutreten?

(lacht) Wir sprechen uns bald wieder, okay?