"Wir werden Angela Merkel noch vermissen"

Typ: Interview , Datum: 12.12.2018

Bundesinnenminister Horst Seehofer im Interview zu Migrationsfragen, die CDU/CSU und zu seiner Zukunft als Innenminister

Passauer Neue Presse

Mehr Härte im Umgang mit kriminellen Flüchtlingen fordert Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer im Interview mit der Heimatzeitung. Der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer traut er zu, die Union bei Wahlen wieder an 40 Prozent heranzuführen. Aber auch deren Vorgängerin, Kanzlerin Angela Merkel, bekundet er große Wertschätzung - ungeachtet diverser Dispute.

Herr Seehofer, die Landesinnenminister fordern einen Punktekatalog, höhere Strafen, schnellere Abschiebungen von schwerkriminellen Asylbewerbern und Flüchtlingen. Brauchen wir hier mehr Härte und Konsequenz?

Die Innenminister der Länder haben meine volle Rückendeckung. Wir müssen Informationen über begangene Straftaten bei den Ausländer- und Sicherheitsbehörden zusammenführen, um frühzeitiger einen Einblick in kriminelle Karrieren zu erhalten und präventiv tätig werden zu können. Wir haben bei schwersten Kapitalverbrechen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es anschließend heißt: Der Täter war der Polizei bekannt. Viele dieser Täter sind an vielen Orten mehrfach auffällig geworden. Das müssen wir erkennen und zusammenführen.

Solche Fälle gab es etwa in Chemnitz und Freiburg. Untergräbt dies nicht das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat?

Das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat wird dann untergraben, wenn sie den Eindruck haben, dass der Staat nicht das Menschenmögliche für die Sicherheit imLand tut. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt. Aber man darf nie aufhören, das Gute auch noch ein Stück weiter zu verbessern, wenn man neue Erkenntnisse hat. Genau das tun wir.

"Wer asylberechtigt ist, bekommt bei uns Schutz"

Die von der Bundesregierung angekündigte "nationale Kraftanstrengung" bei Abschiebungen von Migranten ohne Schutzstatus und Bleiberecht lässt weiter auf sich warten. Was läuft da schief?

Bund und Länder haben bereits große Anstrengungen unternommen und auch Verbesserungen bei Abschiebungen und freiwilliger Rückkehr erreicht. Auch dient es der Begrenzung der Zuwanderung, wenn Menschen ohne Schutzbedürfnis erst gar nicht ins Land kommen. Wenn die Menschen erst einmal im Land sind und einen Asylantrag gestellt haben, muss man sehr darauf achten, dass die Asylverfahren so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Mit zunehmender Dauer verfestigt sich natürlich auch der Aufenthalt in Deutschland – über Bekanntschaften, Arbeitsaufnahmen. Wir liegen jetzt bei einer durchschnittlichen Asylverfahrensdauer von 2,9 Monaten. Das ist spitze. Wir müssen alle Möglichkeiten einsetzen, um abgelehnte Asylbewerber wieder in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, insbesondere wenn sie hier straffällig geworden sind. Dagegen wehren sich viele, auch mit Mitteln des Rechtsstaates, indem sie dagegen klagen. Manche tauchen auch einfach unter oder verhindern auf andere Weise ihre Abschiebung. Wir werden die rechtlichen Grundlagen für Abschiebungen noch verbessern.

Was planen Sie genau?

Wenn jemand abgeschoben werden soll, sollten wir ihn in Gewahrsam nehmen, damit er zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht verschwunden ist. Das ist nämlich häufig der Fall. Dafür müssen wir die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Wir müssen uns diesem Thema dringend zuwenden. Es geht auch darum, zu verhindern, dass sich Migranten etwa durch Identitätstäuschung und den Verlust der Papiere der Abschiebung entziehen. Wir planen ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört auch die Kürzung von sozialen Leistungen. Anfang des Jahres werde ich der Koalition den Vorschlag unterbreiten, die rechtlichen Grundlagen für Abschiebungen und Rückführungen nochmals zu verschärfen.

Es bleibt beim Grundsatz: Wer asylberechtigt ist, bekommt bei uns im Land Schutz. Menschen, die nicht asylberechtigt sind, müssen das Land jedoch wieder schnell verlassen. Der Rechtsstaat muss durchsetzungsfähig sein.

Beim CDU-Parteitag hat die neue Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer angekündigt, dass man über 2015, die Öffnung der Grenzen und die Flüchtlingspolitik von damals nochmals reden müsse und es Klärungsbedarf gebe. Sehen Sie das auch?

Da habe ich Ende 2018 keinen Klärungsbedarf mehr. Ich habe meine Positionen dazu drei Jahre lang klar vertreten. Die Entwicklung hat mir auch Recht gegeben. Wenn Sie immer nur in den Rückspiegel schauen, fahren Sie bekanntlich an die Wand. Jetzt müssen die richtigen Konsequenzen für die Zukunft gezogen werden. Wenn man die Zuwanderung nicht begrenzt, kann auch die Integration nicht gelingen. In diesem Jahr werden wir übrigens die von mir durchgesetzte Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen, die so lange umstritten war und mittlerweile als Maßstab gilt, bei weitem nicht erreichen.

In der Union gibt es Stimmen, die auch 200 000 Flüchtlinge und Asylbewerber pro Jahr noch für zu viel halten.

Aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte habe ich die Obergrenze bei 200 000 definiert. Die Vergangenheit zeigt, wenn diese Zahl nicht überschritten wird, ist das für unser Land zu verkraften. Immer dann, wenn diese Grenze überschritten wurde, hatten wir riesige Probleme – auch politisch. Wenn jemand die Zuwanderung noch stärker begrenzen will, helfen keine abstrakten Diskussionen, sondern nur konkrete Vorschläge. Ich bin froh, dass wir die 200 000 in diesem Jahr deutlich unterschreiten. Das ist ein großer Erfolg der Innenpolitik – ich habe meinen Beitrag dazu geleistet. Dazu hat auch eine richtige internationale Politik, wie die EU-Türkei-Erklärung, geführt.

Über den Streit um Zurückweisungen von bereits in der EU registrierten Flüchtlingen an der deutschen Grenze wäre fast die Große Koalition zerbrochen. Jetzt gibt es nur wenige Fälle. War es das wert?

Gegenfrage: Was spricht dagegen, an unserer Grenze Menschen zurückzuweisen, die schon bei uns waren und ein Einreiseverbot haben? Das sollte eigentlich unzweifelhaft sein. Ebenso unzweifelhaft sollte sein, dass niemand bei uns einreisen kann, der schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hat. Nur um diese beiden Personengruppen ging es. Wenn man ein Wiedereinreiseverbot dann auch durchsetzt, machen sich natürlich viele erst gar nicht auf den Weg, um wieder einzureisen. Dieser Punkt war einer von 63 Punkten meines Masterplans Migration. Es war die Behauptung einiger Medien,wir hätten die Koalitionsgemeinschaft aufs Spiel gesetzt. Wir haben als CSU vielmehr für eine Sache gekämpft, von der wir überzeugt waren, und haben zum Teil Recht bekommen. Alles andere, was uns vorgeworfen wurde, ist einfach nicht richtig.

Auch beim Streit um Ex-Verfassungsschutzpräsident Maaßen stand die Große Koalition am Abgrund ...

Im Fall Maaßen habe ich mich vor einen Mitarbeiter meines Geschäftsbereichs gestellt und würde das auch jederzeit wieder tun. Zu einem späteren Zeitpunkt hat Herr Maaßen dann einen schweren Fehler gemacht, der mir keine andere Möglichkeit ließ, als ihn in den Ruhestand zu versetzen. Das war aber eine Folgeangelegenheit und nicht die ursprüngliche.

"Kein neuer Karriereplan in meinem Alter"

Nach zehn Jahren geben Sie am 19. Januar den CSU-Vorsitz ab. Wie hat sich die Politik in dieser Zeit verändert?

Aus meiner Sicht sind die Herausforderungen ein ganzes Stück größer geworden. Die politischen Auffassungen in unserer Bevölkerung sind pluralistischer und heterogener, die Menschen sind aufgeklärt und informiert. Daraus erwächst eine Vielzahl von Ansichten, oft zum gleichen Thema. Das macht es entschieden schwieriger, für jedes Thema eine Lösung zu finden, die eine große Mehrheit der Menschen zufriedenstellt.

Sie sind damals angetreten als Retter der CSU, haben die Partei zur absoluten Mehrheit zurückgeführt. Zehn Jahre später steckt die CSU wieder in einer Krise und Sie gehen nicht ganz freiwillig. Was haben Sie falsch gemacht?

Ich bin tatsächlich der letzte Politiker in Deutschland, der bei einer Landtagswahl eine absolute Mehrheit geholt hat. Nach 2013 gab es niemanden mehr, der das geschafft hat. Die CSU ist auch heute eine bärenstarke Partei, keine andere Partei kommt auf ein solches Niveau. Sie ist nicht mehr ganz so stark wie früher, weil 2008 die Freien Wähler und jetzt auch noch die AfD in den bayerischen Landtag eingezogen sind. Aber wir sind weiter einzigartig. Ich mache jetzt den Weg frei für eine Erneuerung an der CSU-Spitze, weil ich das Amt mehr als zehn Jahre ausgeübt habe. Zudem habe ich ein Lebensalter erreicht, in dem ich keinen neuen Karriereplan habe.

Sie sind zum Rückzug gedrängt worden?

Wenn ich nicht aus innerer Überzeugung bereit wäre, mein Amt zur Verfügung zu stellen, würde mich auch niemand zwingen können. Meine Entscheidung entspricht demWunsch vieler in unserer Partei. Warum sollte ich wegen weniger Monate einen großen Streit entfachen?

Hat man Sie zum Sündenbock für das schlechte Wahlergebnis gemacht?

Die CSU regiert in Bayern seit 60 Jahren. In dieser Zeit haben wir bei Landtagswahlen immer die absolute Mehrheit erreicht – mit Ausnahme der Jahre 2008 und 2018 –, unabhängig davon, wie in der Bundeshauptstadt gerade die Stimmung war. Für ein schlechtes Wahlergebnis ist nie eine einzelne Person allein verantwortlich.

Sind Sie mit Ihrer Nachfolge zufrieden? Ist alles gut bestellt?

Mir ist es immer darum gegangen, dass die CSU in bestmöglicher Aufstellung in die Zukunft geht. So habe ich auch immer in die Partei hineingewirkt. Wir haben jetzt eine gute Entscheidung getroffen. Es ist richtig, dass Markus Söder nach dem Amt des Ministerpräsidenten auch den Parteivorsitz übernimmt.

"CSU muss Profil beim Umweltschutz schärfen"

Welche Lehren müssen CDU und CSU nach den schwachen Wahlergebnissen ziehen? Wie kommt man wieder aus dem Umfragetief heraus?

Wir leben in einer sehr aufgewühlten Welt mit vielen Brennpunkten, großen Herausforderungen und Verlustängsten bei den Menschen. Wir müssen mehr auf die Menschen hören und vor allem Politik für die kleinen Leute machen. Die CSU muss sich wieder mehr um ökologische Fragen kümmern, beim Thema Umwelt- und Naturschutz das Profil schärfen.

Sie trauen der neuen CDU-Vorsitzenden zu, die CDU wieder auf 40 Prozent zu bringen. Was hat Annegret Kramp-Karrenbauer, was Angela Merkel nicht hatte?

Bei der vorletzten Bundestagswahl lag die Union mit Angela Merkel deutlich über 40 Prozent. Annegret Kramp-Karrenbauer hat im Saarland unter schwierigsten Bedingungen eine Landtagswahl klar gewonnen. Sie verfügt über eine sehr breite inhaltliche Positionierung. Sie ist nah an den Menschen und kennt ihre Lebensrealitäten. Sie wird die Union wieder an die 40 Prozent heranführen.

Was tun gegen die AfD?

Die AfD hält man klein, indem man sich nicht täglich mit ihr beschäftigt. In Bayern lag die AfD mit zehn Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt. Auch in einigen Bundesländern verliert sie an Zustimmung. Das zeigt, dass unsere Sicherheits- und Migrationspolitik richtig ist. Wir gehören zu den sichersten Ländern der Welt und haben bei der Kriminalstatistik das beste Ergebnis seit 25 Jahren. Die Bedrohung durch Terrorismus betrifft uns weiterhin. Wir haben starke Sicherheitsbehörden, die sich diesen Bedrohungen tagtäglich entgegenstellen. Absolute Sicherheit kann allerdings niemand garantieren. In der Migrationspolitik haben wir die Begrenzung der Zuwanderung erreicht und große Erfolge bei der Integration von Schutzbedürftigen. Das kann man vorzeigen. CDU und CSU haben die Dinge Stück für Stück in den Griff bekommen.

Merkel hat den CDU-Vorsitz abgegeben. Bleibt Sie bis zum Ende der Wahlperiode Kanzlerin und Sie Bundesinnenminister?

Seien wir doch froh, dass wir die Kanzlerin stellen. Wir werden Angela Merkel noch vermissen. Es gibt nicht viele Menschen, die solche Fähigkeiten haben wie sie. Nur weil wir mal alle paar Jahre eine kontroverse Diskussion zu einem hochwichtigen Thema haben, heißt das nicht, dass man nicht gut zusammenarbeiten kann. Nehmen Sie nur den Kandidatenwettbewerb der CDU. Dass unsere Schwesterpartei drei Kandidaten für den Vorsitz hatte und intensiv über Inhalte diskutiert hat, hat ihr doch nicht geschadet. Alle drei hätten übrigens das Zeug zum Parteivorsitz gehabt. Und ihnen ist es gelungen, sich einen fairen Wahlkampf zu liefern.

"Friedrich Merz wäre eine wichtige Verstärkung"

Braucht die Union in Zukunft Friedrich Merz?

Einen wie Friedrich Merz können wir in der Union immer brauchen. Er wäre eine wichtige Verstärkung. Wie sich jemand für seine politische Familie engagiert, ist allerdings noch immer jedermanns freie Entscheidung. Aber man sollte nicht nur anlaufen, sondern auch springen. Merz hat seine Bereitschaft erklärt, weiter mitzuhelfen. Da sollten wir ihn beim Wort nehmen. Er war genauso ein fairer Verlierer wie Jens Spahn.

Hält die Koalition bis Ende der Legislaturperiode? Werden Sie alles dafür tun? Werden Sie gemeinsam mit Angela Merkel in den Ruhestand gehen?

Ich sehe überhaupt keine Anzeichen dafür, dass die Koalition gefährdet sein könnte. Das war sie auch nie. Auch als uns unterstellt wurde, die Regierung wackele, haben wir Woche für Woche gute Arbeit im Kabinett geliefert.

Aber Sie wollen auch nicht früher Ihren Ruhestand genießen und einem Jüngeren Platz machen?

Es kommt doch jetzt auf Stabilität an. Dafür haben wir im Wahlkampf in Bayern geworben, dafür haben uns die Wähler ihr Vertrauen geschenkt. Unser Versprechen müssen wir jetzt einlösen. Dazu gehört, dass die Bundesregierung in schwieriger Zeit geordnet und stabil ihre Arbeit erledigen kann. Ich leiste meinen Beitrag dazu. Was die CSU anbelangt, habe ich einen geordneten Übergang ermöglicht. Dass Wehmut aufkommt, wenn eine schöne Zeit zu Ende geht, ist normal. Aber das ist keine Trauer. Ich schaue mit großer Zufriedenheit und auch mit Dankbarkeit auf das Erreichte zurück.

Interview: Andreas Herholz