"Auf diesem Weg ist der AfD-Spuk bald vorbei"

Typ: Interview , Datum: 27.07.2018

Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zur Integration und Asyl

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Interview führten: Helene Bubrowski, Timo Frasch und Eckart Lohse

Wie gut funktioniert die Integration in Deutschland, Herr Minister Seehofer?

Wir befinden uns auf einem ordentlichen Niveau, keineswegs auf einer Spitzenposition.

Im Vergleich zu andern Ländern?

Im Vergleich zu dem, was man sich vorstellt: Erlernen der Sprache, eines Berufs,  Eingliederung in die Gesellschaft. Da müssen wir schon noch zulegen. Wir sind dabei. 

Liegen die Defizite bei uns oder denjenigen, die zu uns kommen?

Es gibt auf beiden Seiten Verbesserungsbedarf.

Sie haben gesagt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Was machen Sie mit den Muslimen, die schon hier sind?

Das ist nur ein Teil meiner Aussage. Deutschland ist kulturell über die Jahrhunderte nicht durch den Islam geprägt, sondern durch das Christentum. Das kann niemand im Ernst bestreiten. Aber selbstverständlich gehören die bei uns lebenden Muslime zu Deutschland. Zur Staatsraison gehört die Toleranz gegenüber den verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Sie wollen die Islam-Konferenz wieder beleben. Was erhoffen Sie sich?

Wir werden die Islamkonferenz in der Tat im November wieder aufleben lassen. In der Zusammensetzung  werden wir  darauf achten, auch Menschen einzubeziehen, die nicht in den offiziellen Organisationen der Muslime engagiert sind. Wir werden versuchen, die Vielfältigkeit der deutschen Muslime und den einen oder anderen Bürger  hinzuzuholen. Mitten aus dem Leben, nicht nur Funktionäre. Da lernt man am meisten. Und wir werden uns mit den alltäglichen Lebensfragen der muslimischen Menschenhier in Deutschland beschäftigen. Wie sieht es aus in der Schule, im Kindergarten, im Beruf, im gesellschaftlichen Leben, im Verein? Ich glaube, das ist ein viel besserer Ansatz, als wenn wir uns theoretisch über wissenschaftlich-religiöse Fragen unterhalten - und dabei sehr an der Oberfläche bleiben.  Das wird gut. Nein, das wird sehr gut.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat zur Debatte über den Fußballspieler Mezut Özil gesagt, Sie hätten mit Ihrer Äußerung zu Muslimen dazu beigetragen, dass Integration nicht gelingt.

Der Herr Habeck ist eine Plaudertante. Er liefert beinahe jeden Tag oberflächliche Äußerungen. Özil gehört selbstverständlich zu Deutschland, er ist einer von uns. Das ist in meiner Definition enthalten. Ich bin übrigens ein großer Freund der türkischen Gemeinde in München und  werde dort freundlicher behandelt  als gelegentlich auf CSU-Parteitagen. In Russland ist eine deutsche Mannschaft gescheitert und kein einzelner Spieler.

Die Debatte über Özil scheint weiter zu gehen.

Freilich geht sie weiter. Zu dem Fall ist aber jetzt schon genug von fast jedem gesagt worden. Deswegen schweige ich. Nur eins, als Sport- und als Integrationsministerminister: Diskreditiert mir nicht den Sport in seiner wichtigen gesellschaftspolitischen Funktion, für die Integration! Der Fall Özil ist kein Beispiel dafür, dass Integration im Sport oder generell gescheitert sei.

Was geht durch Ihren Kopf, wenn Ihnen unterstellt wird, Hetze zu betreiben?

Ich bin immer sensibel gegenüber Argumenten und Kritik, schaue drauf, wo etwas schief läuft und man korrigieren muss. Wenn ich aber etwa für die Toten auf dem Mittelmeer persönlich verantwortlich gemacht werde, wenn mir ein Kulturschaffender  unterstellt, ich sei mit Frau Zschäpe zu vergleichen oder wenn eine Journalistin  schreibt, mein Heimatbegriff sei in die Nähe des Heimatbegriffs der Nazis zu rücken, denen es um Blut und Boden ging, dann ist das eine Kampagne gegen mich. Ein weiteres Beispiel ist die Demonstration  in München, die sich kürzlich gegen die Asylpolitik der CSU und gegen mich persönlich richtete. Gegen solche Kampagnen habe ich mir einen Schutzpanzer zugelegt.

Ist unsere Gesellschaft gespalten?

Ja, und  Union und SPD haben es sich zum Hauptziel ihrer Koalition gemacht,  diese Spaltung und Polarisierung zu überwinden. Es geht nicht nur unmittelbar um die Asylfrage. Viele   Menschen haben  einen Bezug von ihrer Lebenssituation zur Zuwanderungspolitik hergestellt. Ich höre oft den Satz: "Für alles habt ihr Geld, aber für die Aufstockung meiner 600-Euro-Rente habt ihr nichts übrig." Diese Polarisierung ist nicht auf die CSU zurückzuführen.

Mancher wirft Ihnen einen Mangel an Empathie vor und sagt, Sie schotteten sich ab, seien kalt.

Ja, ich habe das auch gelesen. Ich prüfe mich, frage aber auch: Was ist der Gegenstand des Vorwurfs? Wenn wir Straftäter abschieben oder Gefährder, also Personen, denen zugetraut wird, einen Anschlag zu begehen, dann kann ich beim besten Willen keine Empathie für die empfinden. Kürzlich wurde ein Vergewaltiger nach Afghanistan zurückgeführt. Empathie für einen Vergewaltiger würde doch nicht mal jemand, der die Richtlinienkompetenz hat, verlangen.

Aber das tut die Kanzlerin doch nicht.

Nein, das sage ich doch. Empathie heißt nicht Sympathie, sondern ist das Vermögen, mich in die Gefühlswelt von jemandem zu versetzen. Das kann ich im Falle eines Straftäters nun mal nicht.

Sie haben sich dem Vorschlag gegenüber offen gezeigt, dem Bund bei der Abschiebung von Gefährdern mehr Kompetenz zu geben. Was hieße das?

Ein wichtiger Punkt sind die Passersatzpapiere. Oft scheitern Abschiebungen, weil den betroffenen Personen die Pässe fehlen. Dem Bund fällt es leichter als einem Bundesland, diese Papiere von den Herkunftsländern zu bekommen, weil wir die außenpolitischen Kontakte haben. Zu klären wäre allerdings im Gespräch mit den Bundesländern, ob der Bund auch noch die ausländerrechtlichen Verfahren bei Gefährdern übernehmen sollte.

Sie haben sich sehr für die Abschiebung von Sami A. eingesetzt. Haben Sie Druck gemacht, um einen Erfolg vorweisen zu können?

Unsinn! Ich habe vor Monaten von dem Fall gehört und mich gefragt, wie das sein kann. Ich habe mich sehr genau informiert, aber zu keinem Zeitpunkt eingemischt. Das kann ich ja auch gar nicht, das ist Angelegenheit des Landes Nordrhein-Westfalen. 

Sie haben gesagt, das Ziel der Koalition sei, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Vor allem war aber über Wochen die Union gespalten.

Es ging um drei Punkte:

  1. Gefährder abschieben. Sogar die SPD in Nordrhein-Westfalen sagt, Sami A. solle in Tunesien bleiben. Na endlich!
  2. Menschen mit Einreisesperre soll die Wiedereinreise verwehrt werden. Da fragen sich viele in der Bevölkerung, warum das nicht schon immer so war.
  3. Asylsuchende, die in einem anderen EU-Staat bereits einen Antrag gestellt haben, dorthin zurück zu bringen. Also in einen sicheren Staat, nicht in den Herkunftsstaat, von dem sie behaupten, dass sie dort verfolgt würden. Ich dachte, diese drei Dinge könnten kein Problem sein. Wie Sie wissen, wurde der  dritte Punkt ein ziemlich großes Problem.

Der Streit zwischen CDU und CSU über diesen dritten Punkt drehte sich darum, ob die Zurückweisungen im nationalen Alleingang geschehen solle oder auf der Grundlage von Vereinbarungen mit anderen europäischen Ländern. Wie weit sind denn Ihre Bemühungen gediehen, solche Vereinbarungen zu treffen?

Wir sind genau im Fahrplan. Der Wille der Beteiligten ist überall vorhanden. Das gilt auch für das in dieser Hinsicht besonders wichtige Land  Italien. Die anderen Länder wollen natürlich im Gegenzug etwas von uns.

Ist es das Geld, das ja beim Abkommen mit der Türkei eine wichtige Rolle spielte?

Im Einzelnen möchte ich während der Verhandlungen nicht darüber reden. Aber es geht derzeit nicht um Geld. Die Erwartung ist vielmehr, dass wir Flüchtlinge aus den Ländern aufnehmen, die uns Asylsuchende abnehmen. Es besteht zudem der Wunsch, eine trilaterale Vereinbarung zwischen Deutschland, Italien und Österreich zu schließen. Wenn nichts Gravierendes passiert, können wir Ende Juli oder Anfang August sagen, ob es klappt.

Und wenn es keine Vereinbarungen gibt, weist Deutschland dann doch in eigener Regie zurück?

Sie halten mich offenbar für verrückt.

Wie bitte?

Wenn ich die Frage jetzt so beantworte, wie Sie sich das vermutlich wünschen, dann wäre das verrückt.

Also: national oder nicht?

Die Chancen stehen gut, dass wir eine Einigung hinbekommen. Ansonsten gilt immer, dass man in neuen Situationen neu denken muss. Im Übrigen sind wir ein weltoffenes, liberales Land und haben immer Menschen geholfen, die in Not sind. Das habe ich nie in Frage gestellt. Deswegen kann ich auch sagen, dass ich mit diesen ganzen rechten Dumpfbacken nichts zu tun habe. Aber diesen liberalen Kurs kann man nur durchhalten, wenn wir das Land nicht überfordern. Wer behauptet, wir seien unbegrenzt aufnahmefähig, lügt die Menschen an. Mich lenkt die  Verantwortung als Politiker, ich kann nicht verantworten nur einer  Gesinnung nachzugehen. Ich folge bei der Migrationspolitik Maß und Mitte. Ich will das Land nicht abschotten. Seit dem berühmten September 2015 haben sich Deutschland und Europa Schritt für Schritt in dieser von mir gewollten Richtung bewegt. Wir haben bloß zu viel Zeit dafür gebraucht. Manches hätte vermieden werden können.

Zum Beispiel?

Das Aufwachsen der AfD. Ich gehe jede Wette mit Ihnen ein: Wenn wir auf diesem von mir geschilderten Weg in der Migrationspolitik weitergehen - einschließlich einer Begrenzung der Zuwanderung -, dann ist der Spuk mit der AfD bald vorbei.

Bisher hat das trotz aller Verschärfung in der Asylpolitik seit 2015 überhaupt nicht funktioniert. Die CSU steht schwächer da denn je, die AfD sehr stabil.

Entscheidend ist, dass wir das, was wir im Bundestagswahlkampf und anschließend im Koalitionsvertrag mit der SPD versprochen haben, einhalten. Wenn nicht, wenn wir jetzt von  unseren  Versprechen abrücken, ist unsere Glaubwürdigkeit dahin. Wir müssen Kurs halten. Allerdings mit einer angemessenen Sprache. So ist es auch in der CSU mit allen Verantwortlichen besprochen.

Vor ein paar Tagen hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in einer dreiviertelstündigen Rede den von CSU und CDU ausgehandelten Kompromiss zum Umgang mit Asylsuchenden an der Grenze mit keinem Wort erwähnt. Ist das Kurs halten?

Wenn man jeden Abend in den Nachrichten hört, es gibt  wieder Streit, dann überlagert das, dass die Menschen unseren Kurs für richtig halten. Daher - das habe ich auch mit Markus Söder besprochen - wäre es das  Allerverkehrteste, jetzt, die Positionen aufzugeben. Man muss es aber  nicht mehr täglich erzählen.

Ihr Haus ist federführend bei der Erarbeitung eines Fachkräftezuwanderungsgesetzes. Wie weit sind Sie denn?

Wir arbeiten mit dem Wirtschafts- und dem Arbeitsministerium zusammen, und wenn  allen der  politische Mut erhalten bleibt, können wir bis zum Jahresende einen Gesetzentwurf im Kabinett beschließen. Das wäre eine Möglichkeit, legale Zuwanderung zu ermöglichen, die unsere Wirtschaft braucht. Wichtig wäre mir, dass es ein einfaches Verfahren ist, dass wir aber auch Pulleffekte vermeiden.  Nicht, dass jeder, der einen Asylantrag gestellt hat, dann zum Arbeitsnachfrager wird. Dann bekämen wir nämlich einen unendlichen Nachschub an Asylbewerbern. Außerdem soll es vor allem um die Fachkräfte gehen, die wir im dualen Ausbildungssystem brauchen, also Praktiker: Metzger, Bäcker, Handwerker. Die IT-Spezialisten sind gar nicht das Problem. 

Wäre es eine Überlegung, Asylsuchende, die hier sind und auf die Beantwortung ihres Antrags warten, sofort arbeiten zu lassen? Ihr Parteifreund Peter Gauweiler hat das gefordert. Markus Söder lehnt das ab, mit dem Hinweis, es wäre ein zu großer Pulleffekt.

Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Söder hat im Grunde recht.  Aber es gibt auch die Fälle, die abgelehnt sind, aber aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, dauerhaft nicht abgeschoben werden können. Da teile ich die Meinung, die es auch sehr stark in der Bevölkerung gibt. Hier werden wir christliche Verantwortungsethik benötigen, insbesondere wenn Menschen sich integriert haben und einen Arbeitsplatz haben und mitarbeiten.

Apropos arbeiten: Wie lange wollen Sie mit der Politik noch weitermachen? 

Wenn man noch etwas einbringen kann, dann spielt die Frage des Alters überhaupt keine Rolle. 

Wo es um die Asylpolitik etwas ruhiger wird: Haben Sie für den Wahlkampf noch ein zündendes Thema?

Ich lese gerade ein Buch, dessen These lautet, dass den Menschen die ganz großen Gedanken kommen, wenn sie in sich gehen. Jetzt kommt so eine Zeit im August, wenn alles ein bisschen ruhiger wird. Der Autor hat übrigens Beispiele genannt: Moses, Mohamed und Jesus. (lacht)