"Entscheidend ist das Signal, dass sich weniger nach Deutschland aufmachen"
Interview 08.07.2018
Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zum Thema Asyl und Migration
BILD am Sonntag
Herr Seehofer, können Sie als Innenminister garantieren, dass künftig weniger Asylbewerber nach Deutschland kommen?
Ich setze alle meine Kraft als Innenminister dafür ein, dass dies gelingt. Wir haben jetzt mit der Koalition sehr gute Maßnahmen vereinbart. Wenn diese Maßnahmen und meine Vorschläge aus dem Masterplan umgesetzt werden, werden dauerhaft weniger Asylbewerber nach Deutschland kommen.
Kritiker sagen, dass die Unions-Vereinbarung mit der SPD nichts wirklich ändert. Haben sie recht?
Wer so etwas sagt, kann die Vereinbarung nicht gelesen haben. Was in dem Papier schriftlich festgehalten ist, dokumentiert die Asylwende in Deutschland. Wir senden damit das Signal in die Welt, dass sich illegale Migration nicht mehr lohnt.
Statt "Transitzentren" ist im Asylkompromiss nun von "Transitverfahren" die Rede. Die gibt es doch schon seit Jahren...
Entscheidend ist, dass wir endlich handeln und Personen, die schon in anderen EU-Mitgliedstaaten einen Asylantrag gestellt haben, dorthin zurückweisen. Das gab es in den vergangenen Jahren nicht.
Wie viele Menschen sollen diese Verfahren wirklich durchlaufen? Laut Vizekanzler Olaf Scholz geht es um vier bis sieben Asylbewerber pro Tag.
Entscheidend ist das Signal, dass sich weniger nach Deutschland aufmachen, weil sie wissen, dass sie zurückgewiesen werden.
Weil die CSU die Grenzkontrollen verschärfen wollte, drohte nach 100 Tagen das Ende der Großen Koalition, der Kanzlerschaft Angela Merkels und der Stabilität im Land. War es das wert?
Wir haben die Asylwende erreicht! Niemand von uns hat den Fortbestand der Regierung in Frage gestellt – zu keinem Zeitpunkt. Wir haben um die Lösung einer Sachfrage gerungen und wir haben am Ende eine gute Lösung gefunden. Die Menschen wollen doch, dass wir das Migrationsgeschehen im Griff haben und Ordnung im Lande herrscht. Deshalb war es zwingend, dass wir die Asylwende schaffen.
Kann und sollte man wirklich an allen deutschen Grenzübergängen kontrollieren?
Das neue Grenzregime gilt an der gesamten deutsch-österreichischen Grenze. Wir kontrollieren wie bisher an den bekannten Grenzübertrittstellen. Es kann aber auch an jeder anderen Stelle dieser Grenze kontrolliert werden – der Einsatz der Bundespolizei erfolgt dabei situativ und flexibel. Dabei möchte ich intelligente Grenzkontrollen: effektiv, lageangepasst und ohne Belastung für den Grenzverkehr!
Wie hoch stehen die Chancen, dass andere EU-Länder beim Asyl-Pakt mitmachen?
Der EU-Gipfel hat jedem Mitgliedsstaat ins Stammbuch geschrieben, die Migrationsfragen zu lösen. Daran muss sich jeder Regierungschef und jeder Innenminister messen lassen.
Sie wollen mit Österreich ein Abkommen schließen, damit Wien Flüchtlinge zurücknimmt, die bereits zum Beispiel in Italien einen Asylantrag gestellt haben, von Rom aber nicht zurückgenommen werden. Österreich lehnt das jedoch ab. Ihre Einigung mit Merkel ist in diesem Punkt gescheitert.
Wir sind mit den Österreichern einig, dass kein Land Migranten aufnimmt, für die es nicht zuständig ist. Genau das erreichen wir mit unserer Asylwende.
Wie wollen Sie dann Italien davon überzeugen, abgewiesene Flüchtlinge zurückzunehmen?
Niemand sollte darauf setzen, dass es nicht zu bilateralen Abkommen kommt. Darüber werde ich am Mittwochabend mit meinem italienischen Kollegen Matteo Salvini beim EU-Innenministertreffen in Innsbruck sprechen.
Sie haben vereinbart, die Mittelmeerroute für Flüchtlinge schließen zu wollen. Wie soll das in der Praxis funktionieren, ohne dass Hunderte im Meer ertrinken?
Indem wir den Schleppern das Handwerk legen und die Menschen sich nicht auf die gefährliche Reise durch das Mittelmeer machen.
Verstehen Sie, dass viele Menschen von dem wochenlangen und unerbittlichen Streit zwischen CDU und CSU angewidert sind?
Ich verstehe, dass gerade bürgerliche Wähler es nicht gerne sehen, wenn interne Konflikte öffentlich ausgetragen werden. Ich habe im Lauf der Debatte oft den Satz gehört: Setzt Euch in der Sache durch, aber führt bloß keinen Streit. Beide Wünsche zusammen sind aber nur schwer zu erfüllen.
Ist Politik ein schmutziges Geschäft?
In der Politik geht es nicht anders zu wie im realen Leben. Politiker sind ja keine Roboter, sondern auch nur Menschen. Manchmal läuft es in der Politik recht harmonisch, aber dann gibt es auch wieder Auseinandersetzungen. Da ist Politik ein Geschäft wie jedes andere.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Angela Merkel am Ende dieser Woche beschreiben?
Wir schauen nach vorne. Ich sage immer: Die Windschutzscheibe ist größer als der Rückspiegel. Daran haben wir uns beide immer gehalten.
Haben Sie die Kanzlerin um Entschuldigung gebeten?
Ich verstehe die Frage nicht. Wir hatten eine inhaltliche Auseinandersetzung. Aber es gab keinerlei persönliche Herabsetzung. Dann kann man sich auch nach einem Streit weiter in die Augen sehen.
Können Sie mit Angela Merkel überhaupt noch vertrauensvoll zusammenarbeiten - und umgekehrt?
Was mich anbelangt: Selbstverständlich. Das ist ja auch unsere Pflicht und Verantwortung gegenüber der Bevölkerung.
Wie war das mit Ihrem Rücktrittsangebot wirklich? Wen hätten Sie denn als Nachfolger vorgeschlagen? Und wie hat Sie Alexander Dobrindt vom Rücktritt abgehalten?
Was Sie da fragen, das ist doch schon Geschichte. Dafür werden sich vielleicht irgendwann Historiker interessieren. Ganz generell: In meinem politischen Leben war Geradlinigkeit immer wichtiger als ein Amt.
Der Fall Susanna hat ganz Deutschland erschüttert. Wie wollen Sie sicher stellen, dass sich das nicht wiederholt?
Niemand, auch ich nicht, kann absolute Sicherheit versprechen. Der Fall war tragisch. Die Justiz- und Sicherheitsbehörden tun alles, dass sich so etwas nicht wiederholt. Im Kern geht es darum, schneller und konsequenter abzuschieben. Die Ankerzentren sind hierfür ein sehr guter Ansatz.
Warum ist es so schwer, kriminelle und abgelehnte Asylbewerber abzuschieben?
Mein Masterplan gibt die richtige Antwort auf dieses Problem. Wer die Mitwirkung verweigert, wird identifiziert und zu sanktioniert. Wer ausreisepflichtig ist, wird notfalls in Abschiebehaft genommen, damit er nicht untertauchen kann. Dazu gehört auch meine Zusage, dass der Bund die Länder stärker als bisher bei der Abschiebung unterstützt.
Ist das Verhalten der CSU in der Flüchtlingspolitik und im Umgang mit der Schwesterpartei wirklich christlich und sozial?
Schauen Sie doch den Masterplan an. Als erstes und wichtigstes Handlungsfeld wird da beschrieben, wie in den Herkunftsländern der Migranten geholfen werden muss – zum Beispiel mit dem Marshallplan mit Afrika. Denn Hilfe vor Ort ist der humanste und wirksamste Weg, Fluchtursachen zu begegnen. Humanität und Ordnung sind aber kein Widerspruch, sondern gehören notwendig zusammen.
Laut Umfragen haben Sie durch den Asylstreit die AfD stärker gemacht. Haben Sie sich verrechnet?
Eine Protestpartei verschwindet, wenn das Problem gelöst ist. Die AfD wird wieder schwächer werden, wenn die Menschen erkennen, dass wir die für den Aufstieg der AfD ursächlichen Probleme anpacken und lösen. Und da sind wir jetzt auf einem sehr guten Weg.