"Sicherheit nur bei Kontrolle über Zuwanderung"

Typ: Interview , Datum: 03.05.2018

Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer über den Masterplan für Rückführungen, notwendige weitere Grenzkontrollen und die Hart-IV-Debatte

Passauer Neue Presse

Herr Seehofer, das Thema Sicherheit dominiert die deutsche Politik – und Sie stehen im Zentrum. Haben Sie eine Art Prioritätenliste, die Sie abarbeiten wollen?

Sicherheit ist aus der Sicht der Bevölkerung – gemeinsam mit der Zuwanderung – das alles überragende Thema. Da ist vor allem  die richtige Haltung wichtig: Null Toleranz gegenüber Straftätern, volle Unterstützung und die beste personelle und sachliche Ausstattung für unsere Polizei und Sicherheitskräfte.  Und zu einer ehrlichen Debatte gehört, dass man die Sicherheit hier im Lande nur gewährleisten kann, wenn wir die Kontrolle über die Zuwanderung behalten und die Zuwanderung begrenzen.

Wie zufrieden sind Sie mit ihren Bemühen um eine Zuwanderungsbegrenzung?

Ich bin im Moment zufrieden. Ich kann mich gerade über die Unterstützung des Kanzleramtes und der Unionsfraktion nicht beschweren. Mit der SPD ist es manchmal mühsam. Und obwohl ich im Moment zufrieden bin, muss ich darauf hinweisen, dass wir im Bereich Türkei und Griechenland wieder eine Zunahme der Flüchtlinge registrieren. Das heißt, wir müssen hier hellwach sein und insbesondere durch die Zusammenarbeit mit der Türkei und Griechenland dafür sorgen, dass es nicht zu einer großen Flüchtlingsbewegung kommt.  Zu einer Alarmstimmung ist im Moment noch kein Anlass, aber wir werden das aufmerksam verfolgen.

Hält sich Erdogan an das, was vereinbart ist?

Ich habe die EU-Türkei-Vereinbarung  immer begrüßt. Es leben über dreieinhalb Millionen Flüchtlinge in der Türkei und nur mit der Türkei ist das Problem beherrschbar. In dem Punkt der EU-Türkei-Vereinbarung gibt es meinerseits keine Kritik an der türkischen Führung.

Die Bearbeitung der Asylanträge in Deutschland läuft recht zäh. Was kann man da tun?

Die Dauer der Asylverfahren ist mittlerweile beim BAMF schon vernünftig. Große Rückstände wurden abgearbeitet. Leider gab es in der Vergangenheit auch immer wieder Fälle, in denen eine positive Asylentscheidung zu Unrecht getroffen wurde. Aber im Moment arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gut. Unser größeres Problem ist jetzt, dass wir für alle, die schutzberechtigt sind, die Integration organisieren, damit es nicht zu Parallelgesellschaften kommt, sondern dass die Zuwanderer mit uns leben auf Grundlage unserer Werteordnung. Das ist jetzt die größte Aufgabe.

Muss man befürchten, dass der Bremer BAMF-Skandal nur die Spitze des Eisbergs ist?

Um genau dieser Frage nachzugehen, habe ich den Rechnungshof als unabhängige Institution beauftragt, die Sache für uns zu untersuchen. Ich möchte wissen, wo systemische oder organisatorische Mängel im BAMF vorliegen um dann wo erforderlich Konsequenzen zu ziehen.

Sie haben die Bedeutung der Integration angesprochen: Wo setzen Sie da Impulse? Man hört immer, dass es schon an zu wenigen Deutschlehrern scheitert.

Bei der Masse der Zuwanderung ist es ja nicht verwunderlich, dass es Probleme gibt. Darauf haben wir immer hingewiesen und sind  dafür aus Berlin viel gescholten worden. Und jetzt haben wir diese praktischen Probleme. Ich darf hinweisen, dass der Chef von Daimler  und andere damals, im Jahr 2015, der Meinung waren, es kommen jetzt genau die Flüchtlinge, die wir für die deutsche Wirtschaft brauchen. Das war ein grandioser Fehlschluss. Deshalb dränge ich so darauf, dass wir die Integration mit aller Kraft vorantreiben. Ohne Integration kommt es zu Ghetto-Bildungen, zu gegeneinander und nicht zu miteinander. Und wir müssen die Zahl der Zuwanderer begrenzen, nur dann gelingt Integration. Das wird oft übersehen: Gelingende Integration setzt Begrenzung der Zuwanderung voraus. Denken Sie nur an die Wohnungen, die man zur Verfügung stellen muss, an die Kitas, an die Schulen, an die Lehrer, an die Sozialarbeiter. Und wir müssen vor allem vermeiden, dass es jemals wieder zu einer Situation wie im Herbst 2015 kommt.

Sie haben mehr Härte bei Abschiebungen angekündigt. Ist davon in der Praxis schon etwas spürbar?

Dazu werden wir Ende Mai, Anfang Juni einen Masterplan vorlegen. Wir müssen für die Menschen, die kein Bleiberecht haben, die Regeln verschärfen, damit sie in ihre Heimatländer zurückkehren. Mir ist wichtig, dass Personen, die ausreisepflichtig sind, keine Geldleistungen mehr erhalten, sondern nur noch Sachleistungen. Darüber hinaus werde ich mit Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller ein Programm auflegen mit Hilfen für Flüchtlinge, die wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Wenn Menschen mal einige Jahre hier sind, ist die Rückführung äußerst schwierig, oft aus ganz persönlichen Gründen. Wenn jemand zu uns kommt, muss man durch ein sauberes, rechtsstaatliches Verfahren klären: wer hat Schutzbedarf und wer nicht? Und wer keinen Schutzbedarf hat, muss umgehend wieder zurück.

Aber es gibt noch Luft nach oben?

Ja, da sind wir wirklich noch nicht gut, und zwar ausnahmslos überall in Deutschland.  Da muss übrigens auch die Bevölkerung mithelfen. Wenn Rückführungen bevorstehen und dann kommt der Widerstand aus der einheimischen Bevölkerung, weil man einen Flüchtling persönlich kennt oder im Betrieb beschäftigt hat, dann ist es schwierig. Besonders grotesk ist das bei den Abschiebungen nach Afghanistan, die ja ohne öffentliche Proteste gar nicht mehr möglich sind.  Dabei schieben wir im Moment nur Straftäter, Gefährder und Mitwirkungsverweigerer nach Afghanistan ab. Wenn ich mir die Listen anschaue, um welche Straftäter es sich da handelt – Vergewaltigung, schwere Körperverletzung – fehlt mir jedes Verständnis für diese Proteste.

Wie lange wird Ihnen die EU-Kommission noch gestatten, die Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich fortzusetzen?

Derzeit sind sie – ich sage in Klammern: leider – noch notwendig, weil der Schutz der Außengrenzen in der EU nicht wirksam gewährleistet ist. Deshalb habe ich die Durchführung  der Grenzkontrollen über den Mai hinaus für ein weiteres halbes Jahr bei der EU notifiziert. Und ich habe mit der EU-Kommission besprochen, dass wir die Zeit nutzen zu überlegen, wie es danach weitergeht. Erstens mit der Verbesserung des Außengrenzschutzes in der EU, zweitens mit intelligenten Maßnahmen bei uns im Lande. Zu meiner Vorstellung gehört nicht, dass wir dauerhaft Binnengrenzkontrollen haben, denn die Freizügigkeit  ist die wichtigste Errungenschaft der EU. Und die Kontrollen sind ja  nicht ohne Probleme für die Menschen im grenznahen Raum. Jetzt sind sie notwendig, wir müssen aber alle miteinander überlegen, wie wir sie in überschaubarer Zeit entbehrlich machen – ohne die Sicherheit der Menschen zu gefährden.

Stichwort Familiennachzug: Der CSU wird vorgeworfen, sie handle unchristlich. Trifft Sie das?

Der Vorwurf trifft nicht zu. Es geht hier um  Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus. Das heißt, dass die wieder in ihre Heimatländer zurückkehren sollen,  sobald es die Verhältnisse erlauben.   Da macht es wenig Sinn, die Familien nachzuholen, weil dann eine Rückkehr ins Heimatland nicht mehr realistisch ist. Deshalb haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, dass wir für besondere  Fälle ein Kontingent von 1000 Personen im Monat zur Verfügung  stellen, um das zu bewältigen, was unter menschlichen Gesichtspunkten erforderlich ist, zum Beispiel bei einer ernsthaften Erkrankung innerhalb einer Familie. Das ist übrigens einvernehmlich Lösung innerhalb der gesamten Koalition – also CDU, CSU, SPD.

Von der Frage christlich oder unchristlich zum Kreuz. Bleiben Sie dabei, dass Sie sich zu der Debatte in Bayern nicht äußern?

Es gehört zum guten Ton, dass ein ehemaliger Ministerpräsident die Arbeit seines Nachfolgers nicht kommentiert. Meine Vorgänger Günther Beckstein und Edmund Stoiber haben sich übrigens auch sehr daran gehalten. Dafür bin ich heute noch dankbar. Dass die CSU nach ihrem Programm ihre Politik am christlichen Welt- und Menschenbild ausrichtet, möchte ich aber noch einmal bekräftigen.

Sie sind der erste Heimatminister in einer Bundesregierung. Haben Sie bereits konkrete Pläne?

Zunächst können wir uns an dem orientieren, was wir in Bayern seit Gründung eines Heimatministeriums erreicht haben. Das war eine Erfolgsgeschichte ohne gleichen. Der Weg zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Regionen Bayerns ist sehr erfolgreich gegangen geworden. Und auch der gesellschaftliche Zusammenhalt hat sich fortentwickelt durch das Wertebündnis, das ich gegründet habe. Da wirken alle gesellschaftlichen Gruppen zusammen, um unsere Werteordnung ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Die gleichen Gedanken waren für mich Anlass, beim Bundesinnenministerium eine Heimatabteilung zu gründen. Die hat vor allem die Aufgabe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands Stück für Stück zu erreichen.

Kritiker haben über ein Ministerium für Dirndl und Lederhosen gespottet...

Die Idee des Heimatministeriums ist am Anfang auch in Bayern bespöttelt worden. Aber es begreifen immer  mehr, dass Heimat ein ganz wichtiges Gut für die Menschen ist. Die  Pflege von Trachten  gehört auch zu unserer Kultur, aber es wäre viel zu kurz gesprungen, Heimat darauf zu verengen.  Heimat ist der Raum, wo man Halt und Geborgenheit findet. Und genau das wollen wir in Deutschland Stück für Stück realisieren in allen Bereichen von der Bildung bis zur Infrastruktur. Das ist kein Prozess von heute auf morgen, sondern da muss man beharrlich dranbleiben.

Sie haben die Globalisierung als einen Grund für die Verunsicherung vieler Menschen ausgemacht. Wie kann die Politik da gegensteuern?

Zu meinen Grundüberzeugungen gehört: Im Rahmen unserer Rechts- und Werteordnung gilt der Grundsatz „leben und leben lassen“. In der Freiheit entfalten die Menschen am meisten Initiative,  Innovation und ehrenamtliches Engagement.  Aber Freiheit braucht auch Ordnung, die gleichzeitig die Schranke der Freiheit ist. Wir haben über den Bereich Sicherheit gesprochen. Schutz vor Rechtsbrechern ist eine Aufgabe, die der Staat erfüllen muss. Dazu gehört aber auch soziale Sicherheit, die die  Politik organisieren muss. Soziale Sicherheit im Falle der Krankheit und der Pflege, Sicherheit bei den Renten und Pension,  Sicherheit beim Schutz vor überzogenen Mieten. Das ist notwendig, um den Menschen Halt zu geben im Zeitalter der Globalisierung. Die Welt ist offener geworden, die Welt ist enger zusammengerückt. In einer solchen Welt, die dynamisch ist, die sich rasant verändert auch im Hinblick auf die Digitalisierung, müssen wir den Menschen Halt bieten. Das ist eine Aufgabe, die wir in Deutschland stärker erfüllen müssen als in der Vergangenheit, das hat das Ergebnis der Bundestagswahl gezeigt – das Wahlergebnis für die CDU, für die SPD und auch für die CSU. Es war nicht nur die Zuwanderungsfrage, sondern es war auch ein großes Potenzial an Sorgen im Hinblick auf die Veränderung in unserer Gesellschaft.

Zu ihrem Aufgabenbereich gehört auch der Wohnungsbau. Mehr bezahlbare Wohnungen, wie macht man das?

Ich treffe morgen alle Verantwortlichen der Wohnungswirtschaft.  Da gibt es kein Patentrezept, das schaut in Ballungsräumen anders aus als im ländlichen Raum,  und deshalb gibt es hier einen breiten Strauß an Instrumenten, die  realisiert werden müssen. Wir geben Milliarden für den sozialen Wohnungsbau aus; wir schaffen ein Baukindergeld, damit Familien  Wohneigentum ermöglicht wird; wir wollen eine Abschreibung im Steuerrecht für den Mietwohnungsbau; wir wollen den Landwirten ermöglichen, wenn sie Grundstücke veräußern, dass sie in den Wohnungsbau reinvestieren; wir überlegen, was kann man noch im Bauplanungs- und Bauordnungsrecht entbürokratisieren. Und man muss auch darüber diskutieren, im Hinblick auf Flächenverbrauch, ob man verstärkt in die Höhe baut, und ob man die Anstrengungen, die in Bayern schon eingeleitet worden sind, ausweitet, mehr für die  Revitalisierung der Ortskerne zu tun.  Das ist ein Mega-Thema, aber es ist die soziale Frage unserer Zeit.

Hartz IV ist massiv in der Diskussion. Sehen Sie einen Änderungsbedarf?

Nein. Ich kann die SPD nur davor warnen, an die Systematik von Hartz IV heranzugehen. Das kann nur in der Katastrophe enden. Die Hauptaufgabe  ist, Menschen, die in der Arbeitslosigkeit sind und Hartz-IV-Leistungen beziehen, nach dem Prinzip des Förderns und Forderns wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen.  Stellen Sie sich einmal vor, was  für eine Anziehungskraft ein leistungsloses Grundeinkommen  für die Zuwanderung nach Deutschland auslösen würde. Alleine das wäre gar nicht mehr zu bewältigen.

Sie sagen also: Ein bedingungsloses Grundeinkommen endet in der Katastrophe?

Ja, in der gesellschaftspolitischen Katastrophe. Das ganze Sozialleistungsniveau, der Lebensstandard in Deutschland hängt von dem Fleiß und dem Können der Bevölkerung ab. Wenn wir Fleiß und Können nicht mehr abrufen, dann ist das gefährdet, was sich die Deutschen in der Nachkriegsgeschichte erarbeitet haben. Das hat noch nie in der Menschheitsgeschichte und nirgendwo auf der Welt funktioniert. Die Organisation des Schlaraffenlandes hat noch niemand geschafft.

Hält die Große Koalition die vollen vier Jahre?

Ja. Ich glaube, bei der schwierigen weltpolitischen Lage wäre es ein schwerer Fehler, wenn Deutschland keine regierungsfähige Mehrheit hätte, sondern die Politik sich mit sich selbst beschäftigen würde.

Welche Bilanz möchten Sie nach den vier Jahren ziehen können? Was will der Bundesinnenminister Seehofer am Ende der Amtszeit erreicht haben?

Ich bin immer dann glücklich, wenn unsere Politik dazu führt, dass die Menschen zufrieden sind. Das war immer mein Maßstab. Und wenn ich so auf mein politisches Leben blicke, ob es die Regierungsjahre in Bonn und Berlin waren oder als Bayerischer Ministerpräsident: Es waren immer Jahre, die insgesamt gut fürs Land und für die Menschen waren. Das ist das Schönste, was man als Rechenschaft ablegen kann. Und das bleibt auch für die Zukunft mein Maßstab. Das besondere an meiner Lage ist: Ich kann etwas machen, muss es aber nicht mehr. Ich stehe jetzt nach fast zehn Jahren als Ministerpräsident zum vierten Mal an der Spitze eines Bundesministeriums. Und jetzt schauen  wir mal, wie es mir bei meinem neuen Amt, das mir viel Freude macht, gelingen wird.