"Libero" Seehofer unter doppeltem Druck

Typ: Interview , Datum: 22.05.2018

Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zum BAMF-Skandal

Mittelbayerische

Im Skandal um die BAMF-Außenstelle in Bremen überschlagen sich die Nachrichten. Identitäten von Asylbewerbern wurden seit mindestens 2016 vielfach nicht geprüft, Bescheide freigiebig verteilt, Kontrollmechanismen haben versagt. Können Sie ausschließen, dass es bundesweit in BAMF-Außenstellen zu groben Fehlern gekommen ist?

Horst Seehofer: Der Bericht der Innenrevision des BAMF zur Überprüfung von 4500 Fällen in der Außenstelle ist letzte Woche im Bundesinnenministerium eingegangen und ich habe ihn mir angeschaut. Er fokussiert sich auf die BAMF-Außenstelle Bremen, wo es zu groben vorsätzlichen Rechtsverstößen gekommen ist. Es stimmt, dass die ersten Hinweise darauf schon Anfang 2016 vorlagen. Deshalb ist es richtig, dass das BAMF jetzt alle Bescheide prüft, die dort seit 2000 ergangen sind. Das werden sie sehr kompakt machen, in drei Monaten mit 70 Mitarbeitern. Der Bericht zeigt aber auch, dass in anderen Außenstellen Fehler bei der Bearbeitung der Anträge gemacht wurden. Aber bisher haben wir keine Hinweise, dass sie dort vorsätzlich erfolgt sind.

Was sind die Konsequenzen?

Ich würde einen Untersuchungsausschuss im Bundestag begrüßen. Unabhängig davon werde ich alles tun, damit die Dinge ohne Ansehen von Personen oder Institutionen aufgeklärt werden, denn sie haben das Vertrauen in das BAMF beschädigt.

Wird es auch personelle Konsequenzen geben?

Ich werde in der nächsten Woche Entscheidungen über organisatorische und gegebenenfalls auch personelle Konsequenzen treffen. Ich muss jetzt entscheiden, was wir an Vorkehrungen treffen müssen, damit rechts- und regelwidrige Asylverfahren verhindert werden können und ob die im letzten Jahr eingeführten Maßnahmen zur Qualitätssicherung wie das Vier-Augen-Prinzip ausreichend sind. Das hat etwas mit Aufsicht zu tun. Es muss eine Menge geschehen, nicht nur in Bremen.

Die Vorfälle datieren aus der Zeit vor ihrem Amtsantritt am 14. März. Ihr Verantwortung liegt in der Aufklärung. Die kommissarische Bremer BAMF-Leiterin Josefa Schmid hat Hinweise gesammelt, früh versucht, sie zu informieren, ist aber nicht durchgedrungen. Was ist da schiefgelaufen?

Ich hatte mit Frau Schmid nie Kontakt. Sie hat am 4. April mit meinem Parlamentarischen Staatssekretär, Stephan Mayer, gesprochen. Ich selbst habe am 19. April das erste Mal von den Vorgängen in Bremen erfahren. Frau Schmid sagt, sie hätte mir am 30. März eine SMS geschrieben. Ich kenne diese Nachricht nicht. Meine Handys sind mit dem Wechsel von der Staatskanzlei ins Bundesinnenministerium ausgewechselt worden.

Josefa Schmid ist inzwischen "zu ihrem eigenen Schutz" vom BAMF nach Bayern versetzt worden. Sie fühlt sie sich kaltgestellt und drängt auf ein Gespräch mit Ihnen. Werden Sie sich mit Ihr treffen?

Nein, aber Vertreter des Innenministeriums werden mit ihr sprechen. Der wichtigste Ansprechpartner von Frau Schmid ist in diesem Fall im übrigen die Staatsanwaltschaft. Sie soll alles, was sie weiß, offenbaren. Sie werden da von mir auch keine Kritik an Frau Schmid hören. Die Untersuchungen im BAMF und die Prüfung der Innenrevision wurden aber schon vorher, im Herbst 2017, eingeleitet.

Am Wochenende wurden die Überprüfungen auf zehn weitere BAMF-Außenstellen ausgeweitet. Geht es dort anders als in Bremen "nur" um Schlamperei, Unvermögen oder schlichte Überlastung?

Letzteres scheint der Fall zu sein. Aber ich sage immer: „scheint“ der Fall zu sein. Wir sind ja mit Hochdruck dabei, die ganzen Dinge aufzuklären.

Fällt Ihnen jetzt vor die Füße, wovor sie seit Herbst 2015 die Kanzlerin immer eindringlicher gewarnt haben: Eine große Zahl von Flüchtlingen überfordert die Behörden auf allen Ebenen?

Ja, so ist es manchmal im Leben. Ich habe im September 2015 nach der Grenzöffnung gesagt, dass uns dies noch jahrelang beschäftigen wird. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht – zum Beispiel die Vereinbarung mit der Türkei, wo sich drei Millionen Flüchtlinge aufhalten. Aber wir sind noch längst nicht über den Berg. Wir haben erhebliche Probleme bei der Abschiebung von Nichtschutzbedürftigen, wir haben Probleme bei den Integrationskursen, die nicht überragend gut laufen, und wir haben Probleme bei der Durchführung der Asylverfahren. Deshalb haben sich meine Worte leider bestätigt. Das sage ich nicht mit Freude, sondern mit einem Stück Betrübnis, aber mit ungebrochenem Tatendrang, die Probleme zu lösen.

Als Innenminister sind sie angetreten, die Flüchtlingspolitik zu korrigieren. Ende Mai, Anfang Juni wollen Sie ihren Masterplan für Asyl vorlegen: Was wird die wichtigste Maßnahme sein?

Das Wichtigste ist die Grundhaltung: Es geht um Begrenzung, damit Integration gelingt. Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen. Wir haben im Moment wieder ansteigende Flüchtlingszahlen, ganz stark in der Türkei und Griechenland. Wir müssen gegenüber der Bevölkerung Wort halten. Der Masterplan wird mehrere Dutzend Maßnahmen enthalten: Wer zum Beispiel ausreisepflichtig ist, soll keine Geldleistung mehr erhalten.

Ein Punkt im „Masterplan“ sind Ankerzentren, in denen BAMF, Justiz und Jugendämter schon vor Ort sind. Scheitert das Projekt, wenn Länder wie Berlin, Hessen und Thüringen – wie angekündigt – in der Pilotphase nicht mitspielen?

Das Hauptziel der Ankerzentren ist, Verfahren schneller und sicherer zu machen. Wir sehen gerade, wie notwendig das ist. Wir starten mit einer Pilotphase, in der nicht alle Länder mitmachen müssen. Das ist ein Angebot an die Länder. Wer nicht mitmacht, hat aber auch die Verantwortung zu tragen für sein Bundesland.

In Bayern gibt es mit den Transitzentren Vorläufer der Ankerzentren – unter anderem in Regensburg. Lässt sich damit Abschiebung wirklich beschleunigen? Wo lässt sich aus ihrer Sicht noch etwas straffen?

Mit Angela Merkel und Sigmar Gabriel für die SPD wurde 2015 schriftlich fixiert, dass es bei Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten – damals war das der Balkan, künftig wären es auch die Maghreb-Staaten und Georgien – Schnellverfahren gibt, mit Verwaltungsverfahren in einer Woche und Gerichtsverfahren in zwei Wochen. Denkbar ist auch eine Beschleunigung, indem man bestimmte Gruppen in einem Ankerzentren zusammenführt. Man kann so länderspezifische Erfahrungen bündeln – das gilt auch für die zuständigen Richter, die sich nicht immer wieder mit neuen Ländern beschäftigen müssen. Das wird funktionieren. Vor einiger Zeit ist ja auch behauptet worden, neun bis zwölf Monate braucht man für ein Asylverfahren unbedingt. Jetzt sind wir im Durchschnitt bei drei Monaten.

Könnte Deutschland das Grundrecht auf Asyl überfordern, wenn dauerhaft viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen?

Zum Antasten des Asylrechts besteht im Moment kein Anlass. Sie können aber nach außen nur human sein in der Welt, wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt nach innen funktioniert. Auf Dauer lässt sich ohne Akzeptanz der Mehrheit der Bevölkerung nicht Politik machen. Es sei denn, sie wollen, dass die AfD eines Tages bei 30 Prozent landet. Ich verweise auf ähnliche Entwicklungen in anderen europäischen Staaten.

Sie erleben die AfD im Bundestag von der Regierungsbank aus nächster Nähe. Wie wird sich der Landtag im Herbst mit der AfD verändern?

Ich erlebe ganz betrübliche, oft niederschmetternde Szenen – auch von der Sprache, der Emotion und dem Hass, der da unterwegs ist. Wer das aus kurzer Distanz erlebt, der kann eigentlich nur seine ganze politische Kraft investieren, dass diese Partei wieder überflüssig wird. Das wird jetzt kurzfristig nicht gelingen, aber es wird überhaupt nicht gelingen, wenn wir nicht eine glaubwürdige Politik machen. Das ist das beste Gegenrezept.

Ministerpräsident Markus Söder hat jetzt Zurückweisungen von Asylbewerbern an der Grenze gefordert, sollten die Ankerzentren nicht funktionieren. Hintergrund sind die wieder gestiegene Zahl von Flüchtlingen, die in die EU kommen. Würden und können Sie als Bundesinnenminister in der großen Koalition Zurückweisungen anordnen?

Sicherheit beginnt an der Grenze. Wenn alle anderen Maßnahmen nicht die Wirkungen entfalten, die man erhofft, die Flüchtlingszahlen auch an unserer Grenze wieder deutlich ansteigen würden, muss man auch das in die Überlegungen einbeziehen. Es gilt immer noch der Grundsatz: Wer an der deutschen Grenze erscheint, ist ja schon in Europa und in Sicherheit.

Ist das in der großen Koalition durchsetzbar?

Das ist wie bei den Ankerzentren: Wenn die Fakten zu Maßnahmen zwingen, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine vernunftgeleitete Koalition das Notwendige unterlässt.

Das CSU-Spitzenpersonal pflegt einen scharfen Ton in der Asylpolitik. Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef im Bundestag, sprach jüngst in Zusammenhang mit Rechtsverfahren um Asylbewerber von "Abschiebe-Saboteuren". Verschreckt das nicht auch das eigene Klientel?

Dobrindt liegt doch in der Sache nicht falsch. Nehmen sie den Fall der BAMF-Außenstelle Bremen. Dort geht es auch um zwei Rechtsanwaltskanzleien, die in die umstrittenen Verfahren involviert sind. Man kann manche Formulierungen von Politikern endlos diskutieren – wie auch manche Zeitungskommentare: Entscheidend ist aber immer, ob der Kern der Aussage stimmt.

Sie selbst galten immer als Herz-Jesu-Sozialist der CSU. Als Bundesinnenminister müssen sie auch harte Entscheidungen treffen. Wird dieser Nimbus durch den harten Asylkurs gerade aufgezehrt?

Nein, ich schaue in meinem neuen Amt nach wie vor darauf, dass die soziale Seite stimmt. Die innere Sicherheit ist eine wichtige Angelegenheit für die normalen Leute. Bayern hat mit Abstand die geringste Kriminalitätsrate und die höchste Aufklärungsquote. Zwei Drittel der bayerischen Straftaten werden aufgeklärt. Ich möchte Deutschland dahin bringen, wo Bayern heute ist.

In Bayern wird am 14. Oktober ein neuer Landtag gewählt. In Umfragen lag die CSU zuletzt bei 41 oder 42 Prozent. Ihre Parteifreunde in Bayern sehen den Schlüssel zum Erfolg in Berlin. Was können Sie als Bundesinnenminister bis Oktober an Erfolgen in der Asylpolitik liefern, um Wähler zurückzugewinnen?

Wir gewinnen nur gemeinsam. Manche meinen ja, wenn eine Umfrage für die CSU besser ist, dann sei das der Effekt von Markus Söder. Wenn eine Umfrage bescheiden ist – und 41 oder 42 Prozent für die CSU sind das noch immer – sagt man, da liegt die Ursache in Berlin und das lässt sich nur verbessern, wenn der Innenminister eine ordentliche Arbeit macht. Ich sage: Es ist immer ein gemeinsames Ergebnis. Sezieren hat Tradition. Aber es überzeugt die Bevölkerung nicht. Wenn wir schlecht sind, sind wir es gemeinsam. Wenn wir uns nach oben rackern, dann auch.

Die Umfragewerte gibt es trotz Offensive von Ministerpräsident Söders samt 100-Punkte-Plan mit Familienleistungen und Pflegegeld. Woran liegt es, das nichts so richtig durchschlägt?

Wir waren einmal unter 40 Prozent. Wir scheinen uns bei über 40 Prozent stabilisiert zu haben. Das ist schon ein Fortschritt. Aber das Erreichte ist noch nicht zufriedenstellend. Markus Söder und ich arbeiten jeden Tag daran, das zu verbessern. Unser Problem ist, dass wir zwar nicht mit starken Mitbewerbern, aber mit einer Vielzahl von Mitbewerbern zu tun haben. Fünf mal 10 macht auch 50 Prozent.

Was ist ihre Prognose für den 14. Oktober: Wie geht es aus?

Eine Prognose abzugeben, wäre fatal. Entweder sie schreiben, der ist aber bescheiden geworden. Oder, im anderen Fall: Der legt die Messlatte aber ganz schön hoch.

Sie kommentieren die Amtsgeschäfte ihres Nachfolgers im Amt des Ministerpräsidenten grundsätzlich nicht, haben sich im Kreuzstreit aber echauffiert, dass christliche Kirchen Kritik geübt haben. Denken Sie daran, auch in Bundesbehörden Kreuze anzuordnen?

In meinem Dienstzimmer im Bundesinnenministerium hängt eines. In den meisten Bundesbehörden ist das so. Ich wüsste nicht, wo ich da ein Defizit sehe. Das ist kein Kommentar zur Entscheidung der bayerischen Staatsregierung.

Sie und Söder haben sich arrangiert – auch, in dem sie so wenig wie möglich die Wege des Anderen kreuzen: Vergleichen wir es mit einem Fußballspiel: Auf welcher Position spielen Sie? Auf welcher er? Wie oft gibt’s gemeinsame Ballkontakte?

Wir spielen sehr gut Doppelpass miteinander, das hatten doch so viele nicht erwartet. Ich würde uns beide als Allrounder einschätzen. Wir lassen uns nicht auf eine Position einengen. Wenn es notwendig ist, bin ich der linke Flügelstürmer, manchmal auch der rechte, manchmal auch der Libero – und er auch.

Bleiben wir beim Fußball. Als Innenminister fällt auch der Sport in ihr Ressort. Was sagen Sie zu dem Treffen der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan?

Jedem passieren einmal Dinge, die man hinterfragen kann – und dann soll es auch wieder gut sein. Ich glaube, man sollte nach dem Gespräch mit dem Bundespräsidenten wieder zur Tagesordnung übergehen. Wenn mir heute noch alles vorgehalten würde, was ich als 28-Jähriger und 30-Jähriger getan habe ...

Die Fußball-WM in Russland steht kurz bevor: Wird man Sie bei Spielen auf der Tribüne sehen?

Wenn ich Zeit habe, fahre ich. Ich weiß aber gar nicht, ob das angesichts der enormen Herausforderungen, mit denen ich zu tun habe möglich sein wird – mit dem BAMF und dem Masterplan für Asyl. Ich muss auch den Wohnungsbau und die Heimatstrategie voranbringen.