"Ich bin für mehr Härte"

Typ: Interview , Datum: 21.04.2018

Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer über den Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern, Deutschland als Mittler zwischen Ost und West und seine Enttäuschung über US-Präsident Donald Trump

Der Spiegel

Herr Minister, es gibt auf der einen Seite einen amerikanischen Präsidenten, der per Twitter Raketenangriffe ankündigt. Auf der anderen Seite steht ein russischer Staatschef, der sich als Schutzpatron eines Diktators gibt, der Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk anwendet. Wer von beiden macht Ihnen mehr Angst?

Mich beruhigt die Reaktion der Bundesregierung und der Kanzlerin. Sie steht solidarisch zu unseren Verbündeten, setzt aber auf das Gespräch und die diplomatische Lösung. Dazu braucht man übrigens beide, Moskau und Washington.

Die deutsche Position gegenüber den Verbündeten ist: Wir machen bei nichts mit, aber wir drücken euch die Daumen. Ist das eine angemessene Haltung?

Die Bundesregierung setzt auf eine Strategie des Dialogs, des Gesprächs, der Diplomatie. Genau das ist angesagt. Anders gewinnen sie gar nichts. Ich hätte gegen eine militärische Beteiligung Deutschlands mein Veto eingelegt.

Das klingt jetzt, als würden Sie die jüngsten Luftangriffe durch Amerikaner, Briten und Franzosen in Syrien nicht für sinnvoll halten.

Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass die Kanzlerin angemessen auf die Situation reagiert hat.

Fänden Sie es sinnvoll, wenn Deutschland eine Mittlerrolle zwischen den USA und Russland einnähme?

Ich habe ausdrücklich begrüßt, dass die Kanzlerin schon vor diesen Vorgängen erklärt hat, in die Vereinigten Staaten zu reisen - trotz all der Ärgernisse, die derzeit aus Washington kommen, etwa in der Handelspolitik. Ich war jetzt sehr erfreut, dass sie auch angekündigt hat, zu Putin zu fahren. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit Angela Merkel an der Spitze eine ganz wichtige Scharnierfunktion erfüllen kann.

War es voreilig, die russischen Diplomaten wegen der Vergiftung eines Ex-Spions in Salisbury (London) auszuweisen? Der letzte Beweis, dass Russland hinter dieser Sache steckt, ist ja nicht erbracht.

Das war ein Akt der Solidarität gegenüber den Briten, den ich für richtig halte.

Haben die Belege aus Großbritannien Sie überzeugt?

Sie werden in solchen Fällen nie den unwiderleglichen Beweis bekommen. Da geht es um Wahrscheinlichkeiten. Außerdem war die Bereitschaft Russlands, an der Aufklärung mitzuwirken, gering. Daher war die Reaktion angemessen.

Werden Sie im Sommer zur Fußballweltmeisterschaft nach Russland fahren?

Wieso nicht? Wenn mein Terminkalender das zulässt, werde ich fahren. Wir sollten den Sport nicht politisch instrumentalisieren, das war schon immer meine Meinung.

Sie haben sich vor einem Jahr sehr lobend über Donald Trump geäußert. Wir dürfen Sie zitieren: »Er setzt mit Konsequenz und Geschwindigkeit seine Wahlversprechen Punkt für Punkt um. In Deutschland würden wir da erst mal einen Arbeitskreis einsetzen.« Hat sich Ihr Bild von Trump gewandelt?

Ja, das kann man schon sagen. Mein damaliges Urteil habe ich einige Wochen nach der Wahl gefällt. Mir hat gefallen, dass Trump konsequent das angepackt hat, was er der amerikanischen Bevölkerung zugesagt hatte. Was da in den letzten Monaten abgeliefert wurde, würde mich nicht veranlassen, meine Äußerungen zu wiederholen.

Was hat Sie irritiert? Die Tweets, sein Umgang mit dem Personal...

Alles. Lassen wir das so stehen.

Auch in der Europapolitik steht Deutschland derzeit am Spielfeldrand. Wann darf der französische Präsident Emmanuel Macron mit einer konstruktiven Antwort auf seine Reformvorschläge rechnen?

Die deutsche Regierungsbildung hat sehr lange gedauert. Es wird Zeit, dass wir mit Frankreich über Lösungen für Europa reden. Das geschieht ja jetzt auch.

Die Bundesregierung formuliert vor allem, was sie alles nicht will.

CDU und CSU haben nach dem Wahlergebnis erklärt, dass wir die Botschaft der Wähler verstanden haben. Das gilt natürlich auch für die Europapolitik. Wir müssen und werden die nationalen Interessen stark in eine europäische Integrationspolitik einbringen. Die Debatte kommt sowieso im nächsten Frühjahr bei der Europawahl. Also ist es doch gut, wenn man sie jetzt führt und bestimmte Leitplanken einzieht, die aus der Sicht des deutschen Parlaments erfüllt sein sollen.

Was heißt das konkret?

Alles, was wir in der Euro-Zone institutionell verändern, muss strikt den Stabilitätskriterien entsprechen. Wir dürfen nicht in einer Schuldenunion landen, in der alles, was man sich vorstellt in Europa, entweder mit deutschem Steuergeld oder über Schulden finanziert wird. Wenn Angela Merkel darauf pocht, dass das Parlament bei allen Entscheidungen eines möglichen Europäischen Währungsfonds beteiligt sein muss, dann entspricht das genau meiner Position. Und dass muss man dann auch gegenüber Frankreich vertreten.

Sie haben jetzt auch noch die Zuständigkeit fürs Bauen. Ist die Wohnungsnot in Deutschland dank Horst Seehofer bald besiegt?

Wir wollen dafür sorgen, dass 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden. Das sind 50 Prozent mehr als in der letzten Legislaturperiode. Dafür müssen wir Anreize schaffen. Dazu zählen steuerliche Absetzmöglichkeiten für den Mietwohnungsbau und das Baukindergeld. Und wir müssen die Förderung auf die Regionen konzentrieren, in denen das Problem am größten ist.

Soll der Bund auch selbst als Bauherr auftreten?

In Bayern haben wir am Ende meiner Amtszeit als Ministerpräsident den Bau von Wohnungen für Staatsbedienstete beschlossen. Ein Polizist in München zum Beispiel kann sonst seine Miete gar nicht mehr bezahlen.

Und Ähnliches planen Sie für den Bund?

Es wäre jedenfalls eine Überlegung, ob man nicht auf den vielen Grundstücken, die der Bund hat, auch Wohnungen baut. Wir müssen da ganz neue Wege gehen. Einerseits brauchen wir Wohnraum, andererseits wird der Flächenverbrauch kritisiert. Möglicherweise müssen wir höher bauen. Auf jeden Fall müssen wir effizienter mit den Flächen umgehen.
Das sind spannende Fragen, die wir noch mit den Experten diskutieren müssen. Die Wohnungskosten sind aus meiner Sicht vielleicht die brennendste soziale Frage unserer Zeit.

Nach den Diskussionen in der Großen Koalition konnte man in den vergangenen Wochen eher den Eindruck bekommen, Hartz IV sei das drängendste Problem.

Was sollen diese Phantomdiskussionen? HartzIV war eine richtige Reform, und ich kann nur davor warnen, das zu ändern.

Fast jeder sechste Hartz-IV-Empfänger ist mittlerweile ein Flüchtling. Was folgt für Sie daraus?

Es zeigt jedenfalls, dass die Aussage mancher hochrangiger Wirtschaftsvertreter, es kämen genau die Fachkräfte, die wir brauchen, falsch war. Ich war gerade beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg und habe mir die Integrationskurse angeschaut. Das sind auch Alphabetisierungskurse, wo jemand, der bisher von rechts nach links geschrieben hat, unsere Schreibweise kennenlernen muss. Wir müssen deshalb bei denen, die zu Recht Schutz in Deutschland genießen, die Anstrengungen zur Integration massiv verstärken. An guter Integration derer, die ein Bleiberecht habenführt kein Weg vorbei. Ansonsten wird Hartz IV zur Zuwandererstütze.

Und bei den anderen?

Ich habe immer gesagt: Die Integrationsfähigkeit unseres Landes darf nicht überfordert werdenBei abgelehnten Asylbewerbern sieht es anders aus, da bin ich für mehr Härte. Ihnen sollten nur noch Sachleistungen gewährt werden, wenn sie nicht freiwillig in ihre Heimat zurückkehren.

Die Zahl der Abschiebungen ist im vergangenen Jahr trotz großer Anstrengungen nicht gestiegen, sondern sogar zurückgegangen. Das gleiche gilt für die freiwillige Rückkehr abgelehnter Asylbewerber. Wie wollen Sie das ändern?

Die Schwierigkeit ist doch: Wenn Zuwanderer jahrelang hier sind, können sie immer schwerer zurückgeführt werden, weil sie Wurzeln geschlagen haben. Deshalb setze ich auf die neuen Ankerzentren, wo die Ankunft, die Verfahren und die Rückführung gebündelt und beschleunigt werden. Dort wird, noch bevor die Asylbewerber auf die Gemeinden verteilt werden, entschieden: Wer hat ein Recht auf Schutz und wer nicht. Am Ende werden die Ankerzentren dazu beitragen, dass es deutlich weniger Zuwanderung nach Deutschand gibt.

Wenn Sie viele Flüchtlinge an einem Ort unterbringen, schaffen Sie vor allem neue Konflikte.

Diese Einrichtungen dürfen nicht zu groß sein, sonst gibt es Probleme. Viel mehr als 1000 Menschen sollten dort nicht untergebracht werden.

Wie müssen wir uns diese »Ankerzentren« vorstellen? Großlager mit einem Zaun drum herum, damit keiner raus kann?

Seehofer: Das sind doch Schauermärchen. Die Asylbewerber werden dort nicht eingesperrt. Sie haben aber eine Residenzpflicht und bekommen nur Leistungen, wenn sie in der Unterkunft wohnen. Es geht darum, dass sie für die Behörden verfügbarsind, damit die Verfahren innerhalb weniger Wochen abgeschlossen sind.

Die Realität ist davon weit entfernt. Die Verfahren dauern Monate, teilweise sogar Jahre. Aktuell hängen noch 370 000 Asylfälle bei den Verwaltungsgerichten.

Das stimmt. Aber wir sind ein Rechtsstaat, und da kann gegen jede Entscheidung einer Behörde Rechtsmittel eingelegt werden. Wir können das verkürzen, aber wir können es nicht abschaffen. Das unterscheidet uns von vielen Staaten, aus denen die Flüchtlinge kommen.

Also wird sich an der Situation nichts ändern.

Doch, da gibt es Möglichkeiten und dafür setzen wir uns ein. Die Bundesländer müssen mehr Verwaltungsrichter einstellen, die Verfahren werden effizienter gestaltet. Und die Abschiebungen müssen konsequenter werden.

Mehrere 10 000 Migranten können derzeit nicht abgeschoben werden, auch weil ihre Heimatländer oft kein Interesse zeigen, sie zurückzunehmen. Wie wollen Sie das ändern?

Die Gründe, woran die Abschiebung scheitert, müssen wir genau ansehen: Wenn die Heimatländer sich weigern, Staatsangehörige zurückzunehmen, verhandeln wir.. Wir brauchen Abkommen und verbindliche Absprachen mit den Herkunftsländern.

Ihr Vorgänger wollte Ländern, die nicht kooperieren, die Entwicklungshilfe kürzen.

Diese Länder haben alle ihren Stolz. Mir sind Anreize lieber als Strafen. Aber die Rücknahmebereitschaft muss deutlich nach oben gehen. Darauf arbeiten wir hin.