"Schöner ist die Aufgabe in München, prickelnder die in der Bundeshauptstadt"
Interview 18.03.2018
Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer über seine Ziele als Innen- und Heimatminister und seinen Abschied aus München
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Das Interview führten: Peter Issig und Jacques Schuster
Herr Seehofer, wie wollen Sie das mit Angela Merkel wieder hinbekommen?
Angela Merkel und ich halten Meinungsunterschiede aus.
Nachdem Sie sagten, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, hat Ihnen die Kanzlerin widersprochen. Wie soll es künftig zu einer Einvernehmlichkeit zwischen Ihnen und Angela Merkel kommen?
Generell wünsche ich mir bei dieser für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wichtigen Frage mehr Gelassenheit. Dass Deutschland geschichtlich und kulturell christlich-jüdisch und nicht islamisch geprägt ist, kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Das ist für mich entscheidend, wenn es um die Frage geht, was zu Deutschland gehört. Genauso wie es für mich eine Selbstverständlichkeit ist, dass die große Zahl der friedliebenden Muslime in Deutschland zu uns gehört.
Auch der Partner von der SPD ist über Sie entsetzt. Wie wollen Sie dauerhaft einem Koalitionsfrieden erreichen?
Auch meine Kritiker in der SPD können doch nicht in Frage stellen, wo wir unsere Wurzeln haben und was uns historisch geprägt hat und ausmacht. Statt sich an einzelnen Sätzen abzuarbeiten, sollte die SPD lieber mithelfen, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken. Ich jedenfalls bin nicht bereit zu akzeptieren, dass Extremisten egal ob rechts oder links weiter Zulauf erhalten.
Wie schaut es überhaupt im Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und der Kanzlerin aus?
Es ist seit über einem Jahr wieder gut. Trotzdem darf man zwischen Berufspolitikern niemals ausschließen, dass es in der Sache immer wieder mal unterschiedliche Positionen gibt. Die Auseinandersetzung, die wir hatten, betraf Themen, die das gesamte Land bewegten und Schicksalsthemen waren: etwa die Flüchtlingsfrage. Aber all das gehört der Vergangenheit an. Gerade im Bereich der Flüchtlingspolitik haben wir einen sehr guten Koalitionsvertrag geschlossen. Darin betonen wir zwei Prinzipien: Integration und Begrenzung. Ohne Begrenzung wird Integration niemals gelingen. Einwanderung ohne Begrenzung überfordert ein Land.
Empfinden Sie den Wechsel nach Berlin als Aufstieg oder als Abstieg?
Bayerischer Ministerpräsident zu sein, ist das schönste Amt, das ich mir vorstellen kann. Es ist eine Kombination zwischen Repräsentation und Führung eines Landes. Bundesminister zu sein, bedeutet vor allem Exekutivgewalt auszuführen. In Berlin werden die Grundlagen für die Gesellschaftsordnung von über 80 Millionen Menschen bestimmt. Deswegen kann man die beiden Ämter überhaupt nicht vergleichen. Nachdem ich 18 Jahre in Bonn und Berlin war, kann ich jetzt schon sagen: Schöner ist die Aufgabe in München, prickelnder die in der Bundeshauptstadt.
Sie sind ja ein erfahrenes Schlachtross – auch in der Bundespolitik. Welche Lehren aus Ihrer Bundeszeit wird Ihnen in Berlin nutzen?
Zwei Dinge: Eine gute Regierung braucht ein gutes menschliches Verhältnis zwischen den Hauptakteuren. Sonst kann die Regierungsarbeit nicht wirklich gelingen. Das Zweite: Für die Bevölkerung ist entscheidend, dass etwas getan und nicht nur diskutiert wird. Deshalb werde ich nicht in jede Talkshow gehen. Aber ich werde teilnehmen, wenn es das Informationsbedürfnis der Bevölkerung etwa im Bereich der Inneren Sicherheit verlangt. Ich will eine Einheit zwischen Reden und Handeln herstellen. Das Vertrauen zu den Bürgern stellen Sie nur durch Leistung her. Es gibt nichts Gutes außer man tut es.
Während es in der CDU einiges Murren über den Koalitionsvertrag gab, blieb es in der CSU ruhig. Gab es keine Beanstandungen?
Keine einzige. Wir haben einen Koalitionsvertrag geschlossen, wie ihn die CSU lange nicht mehr hatte: von den Inhalten bis zur Anzahl der Ministerien, die wir bekommen haben. Wir mussten keine einzige Kröte schlucken – weder in der Außen- noch in der Innenpolitik. Ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben.
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise haben Sie sich für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen stark gemacht. Weder die Balkan- noch die Italienroute sind derzeit wirklich dicht. Wäre es nicht sinnvoll die Regeln des Schengen-Abkommens auf längere Zeit auszusetzen?
Die Binnengrenzkontrollen müssen so lange ausgeführt werden, solange die EU es nicht schafft, die Außengrenzen wirksam zu schützen und zu kontrollieren. Auf absehbare Zeit sehe ich im Augenblick nicht, dass ihr das gelingen wird. Übrigens: Es sind nicht allzu viele Grenzstellen in Deutschland derzeit dauerhaft besetzt. Auch darüber wird nun zu reden sein, ob das so bleiben kann. Es geht ja nicht nur darum, Menschen von illegalen Grenzübertritten abzuhalten, sondern Grenzkontrollen erfüllen auch andere Schutzfunktionen.
Als Innenminister sind Sie der Chef der Bundespolizei. Markus Söder hat die Wiedereinführung der bayerischen Grenzpolizei angekündigt. Halten Sie das für sinnvoll?
Es ist auf alle Fälle sinnvoll, illegale Zuwanderung zu verhindern und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Das haben wir doch auch aus der Situation des Jahres 2015 gelernt. Selbstverständlich ziehen Markus Söder und ich dabei an einem Strang.
Die Bundeskanzlerin hat sich dafür stark gemacht, einen Teil der Flüchtlinge nach dem Schlüssel in Europa zu verteilen, den die EU-Kommission ausgearbeitet hat. Bisher weigern sich die osteuropäischen Staaten, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Ist es sinnvoll angesichts der anhaltenden Weigerung, auf eine Verteilung zu beharren?
Nicht bei unserer Kanzlerin, aber bei anderen, vor allem in der EU-Kommission, hat sich ein belehrender Ton gegenüber den Osteuropäern eingeschlichen, der kontraproduktiv ist, weil jeder Staat seinen eigenen Stolz hat. Man ist klug beraten, nicht über die Köpfe der jeweiligen Regierungen hinweg zu entscheiden. Gerade in der EU-Kommission schwingt oft auch Bevormundung mit. Das gilt übrigens auch gegenüber Großbritannien. Ohne Großbritannien wäre die europäische Sicherheit gar nicht zu gewährleisten. In diesem Geist sollte mit London verhandelt werden und nicht mit einem Revanchegedanken wegen des Brexit. In der Flüchtlingsverteilung sollten wir allesamt mehr Kraft auf den Dialog setzen. Wenn wir geduldig weiter verhandeln, wird man einen Großteil der Länder für die Flüchtlingsverteilung gewinnen. Ein anderer Teil der Länder wird sich in anderer Form daran beteiligen, etwa in dem diese Länder mehr Personal an die Grenzen entsenden oder Geld für die gemeinsame Grenzsicherheit geben. Da sollten wir flexibler sein und auf eine flexible Solidarität setzen.
Merkel sagte, 2015 werde sich nicht mehr wiederholen. Sie erwiderten, die Zusage würde nicht reichen. Die Flüchtlingskrise kann jederzeit wieder eskalieren. Könnte sich unter Innenminister Horst Seehofer der Flüchtlingszustrom wieder krisenhaft erhöhen?
Mit dem Koalitionsvertrag haben wir ein sehr gutes Regelwerk geschaffen: von der Bekämpfung der Fluchtursache über die Integration bis hin zu Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung. Ich bin froh, dass es gelungen ist, den Familiennachzug bei subsidiären Flüchtlingen abzuschaffen und dafür eine Härtefall- und Kontingentlösung einzuführen. Wenn der Koalitionsvertrag in diesem Geist umgesetzt wird, haben wir wirksame Vorkehrungen dafür getroffen, dass sich das Jahr 2015 nicht mehr wiederholt.
Vergangene Woche haben Sie die schnelle Abschiebung abgelehnter Asylbewerber angekündigt und sind dafür sofort als naiv kritisiert worden. In der Tat ist die Abschiebung in die betreffenden Länder nicht leicht. Was soll konkret geschehen?
Wenn man zehn Jahre als Ministerpräsident für die Praxis zuständig war, ist es schon verwunderlich, sich anhören zu müssen, man wäre naiv. Ich habe in letzter Zeit auf kaum einem Feld so viel Erfahrung sammeln müssen wie bei der Rückführung – und zwar negativer Art. Ich habe von einem Masterplan für die Zukunft gesprochen und gesagt: Es geht nur in einem engen Schulterschluss mit den Bundesländern. Das Allerwichtigste ist: frühzeitig zu entscheiden, wer ist schutzbedürftig und wer ist es nicht. Wer es nicht ist, muss bis zur Rückführung in den Ankerzentren bleiben und wird erst gar nicht auf die verschiedenen Gemeinden verteilt. Wenn die Menschen Wurzeln geschlagen haben, dann ist es furchtbar schwer, sie wieder zurückzuführen. In den Ankerzentren werden die Entscheidungen gebündelt und sind die Verfahren rechtsstaatlich einwandfrei, aber schnell. Bei denjenigen, die schon länger hier sind und abgelehnt wurden, tun sich eine Vielzahl von Schwierigkeiten auf: von nichtvorhandenen Papieren über Identitätsverschleierung bis hin zu den Heimatländern, die sie nicht mehr zurücknehmen wollen. Deshalb müssen wir uns mit den Bundesländern zusammensetzen und die gesamten Hinderungsgründe auf den Tisch legen, um zu sehen, welche Gesetze und Regeln wir brauchen, um auch diese Probleme zu lösen. Sicher brauchen wir auch mehr Verwaltungsrichter.
Abschieben ist Ländersache.
Das weiß ich. Aber wir müssen uns mit den Ländern zusammensetzen, sämtliche Abschiebungshindernisse identifizieren und dann entscheiden, wo wir Gesetze ändern müssen, wo wir Vereinbarungen mit den Herkunftsländern brauchen, wo wir mehr Verwaltungsrichter benötigen und wo wir den Ländern und den Behörden bei der Durchführung der Abschiebungen helfen können. Dabei könnte der Bund mehr Verantwortung übernehmen. Ich will den Bundesländern sagen, dass wir bereit sind, stärker zu helfen.
Durch die langen Koalitionsverhandlungen ist viel Zeit verloren gegangen. Der neuen Regierung bleiben im Grunde nur noch drei Jahre Zeit. Was sind die wichtigsten Projekte, die vor der Sommerpause angegangen werden müssen?
Die Kanzlerin hat es schön gesagt: Alles!
Was packen sie in Ihrem Ressort zuerst an?
Alles. Die Sicherheit, die Zuwanderungsfrage, die Wohnungsbaufrage, die Heimatstrategie, die öffentliche Verwaltung ohne Papier. Wir müssen die gesamte öffentliche Verwaltung digitalisieren, das heißt bürgerfreundlich gestalten.
Sie sind jetzt auch Bundesheimatminister. Was ist für Sie Heimat?
Heimat ist für mich persönlich Ingolstadt und Bayern. In Ingolstadt bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. Und Bayern ist für mich der Teil unseres Vaterlandes, wo ich Halt verspüre. Das braucht jeder. Da muss auch der Staat mithelfen. Heimat ist aber nicht notwendigerweise nur die Region, wo jemand geboren ist. Menschen können auch eine zweite Heimat haben, wo sie hin gezogen sind, wo es ihnen gefällt, wo sie Freunde haben. Ganz nach dem bayerischen Motto: Leben und leben lassen!
Ist das Heimatministerium auch eine Kampfansage an die AfD?
Das greift mir zu kurz. Das Heimatministerium ist eine Antwort auf die zunehmend größer werdenden Unterschiede zwischen Ballungszentren und ländlichen Regionen und auch auf das Bundestagswahl-Ergebnis, das die Polarisierung der Gesellschaft dokumentiert hat. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft hat leider Schaden genommen.
Diesen Schaden soll der Heimatminister reparieren?
In Bayern gibt es seit 2013 auf meinen Vorschlag hin ein Heimatministerium. Es hat sich als Volltreffer erwiesen. Zunächst gab es auch Spott und Häme über Lederhosen-Seppl, die vorschreiben wollen, wie man zu leben hat. Das ist natürlich Unsinn. Jeder kann leben, wie er will. Wir bleiben ein liberales und weltoffenes Land, auch mit Bundesinnenminister Horst Seehofer. Aber es gibt eine Grenze, wenn es um den Schutz unserer Rechts- und Werteordnung geht.
Geht es Ihnen um Strukturpolitik oder um Leitkultur?
Um beides. Die Raumordnung ist wichtig, viele Regionen verlieren Menschen, andere Regionen sind überhitzt. Hier braucht es Landesplanung. Das Zweite ist, wie gesagt, der Zusammenhalt der Gesellschaft. Das dritte Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands.
Das heißt konkret?
Wenn beispielsweise ein Unternehmen Arbeitsplätze in Görlitz abbauen will, dann werden dort die Lebensverhältnisse verschlechtert. Dann muss sich die Politik darum kümmern, dass solche Unternehmen zukunftsträchtige Produktionen dort einrichten und nicht in den boomenden Metropolen. Zur Heimatstrategie in Bayern gehörte immer, Arbeitsplätze zu den Menschen zu bringen, gerade auch durch Behördenverlagerungen, durch wissenschaftliche Einrichtungen, durch Infrastrukturmaßnahmen.
Mit Ihnen sitzt der Parteichef jetzt aber in Berlin. Wie wollen Sie es anstellen, dass ihre Autorität unangefochten bleibt?
Die Autorität muss man sich durch Arbeit erhalten. Bisher ist es gelungen.
Sie haben über Undankbarkeit in den eigenen Reihen geklagt.
Ich habe darauf hingewiesen.
Wie wollen Sie in Zukunft Undankbarkeiten verhindern?
Das Schönste im fortgeschrittenen Alter ist die Freiheit: Man kann etwas machen, muss es aber nicht machen. Man wird gelassener und muss nicht bei jeder anonymen Äußerung aus dem Hinterhalt mit voller Feuerkraft dagegenhalten, sondern kann sich sagen: Alles ist halb so wild.
Gelassen haben Sie aber nicht reagiert.
Ich habe im September, im Oktober, im November, im Dezember, im Januar nichts gesagt zu all den Dingen, die in der CSU abliefen. Im Februar habe ich erklärt, warum ich nichts gesagt habe. Das war alles. Aber das ist doch Geschichte!
Was raten Sie ihrem Nachfolger, um die stabile 40 plus X zu erreichen?
Ich wünsche ihm erst einmal eine glückliche Hand bei der bayerischen Kabinettsbildung. Und dass er als oberster Repräsentant des Freistaats Bayern authentisch Politik macht. Das heißt: so sprechen, wie man denkt und so handeln, wie man redet. Wenn man das harmonisch macht, gewinnt man das Vertrauen der Bevölkerung.