Neustrukturierung der Spitzensportförderung

Typ: Häufig nachgefragt

Warum brauchen wir überhaupt eine Spitzensportförderung?

Die Medaillenbilanz Deutschlands hat sich bei Olympischen Spielen seit der Wiedervereinigung deutlich verschlechtert. Dies ist längst nicht mehr mit dem Wegfall von Nachwirkungen des DDR-Sports zu erklären. Andere Nationen haben aufgeholt. Das Vereinigte Königreich hat bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 eine Goldmedaille errungen, bei den Spielen in London 2012 waren es 29. In Rio hat das Team des Vereinigten Königreichs die Gesamtzahl seiner Medaillen gegenüber London gesteigert (67 gegenüber 65). Bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 haben mit Frankreich und Italien zwei Länder, die in der Nationenwerbung knapp hinter Deutschland liegen, bei den Plätzen vier bis acht, also Plätzen mit Medaillenpotenzial, zugelegt, Frankreich hat hier sogar Deutschland überholt. Wir brauchen die Reform nicht nur, um uns nach oben zu orientieren, sondern auch um nicht nach unten abzurutschen. Stillstand oder ein "Weiter-so" wäre hier ein Rückschritt. Wir brauchen daher die Spitzensportreform um Sportarten und Disziplinen mit Medaillenpotenzial gezielt zu fördern und dadurch Athletinnen und Athleten mit Talent für das Podium auf ihrem Weg dahin besser zu unterstützen.

Geht es bei der Reform tatsächlich nur um mehr Medaillen?

Spitzensport, und nur für dessen Förderung ist der Bund zuständig, definiert sich durch Erfolg bei Wettbewerben auf globaler Ebene (Olympische, Paralympische, und Deaflympische Spiele sowie Weltmeisterschaften und World Games). Sportpolitisches Förderziel des Bundes ist es, dass sich Deutschland als Sportnation noch besser präsentiert - erfolgreicher, aber zugleich fair und sauber. Fairness, Achtung sportlicher Regeln und Werte sowie ein kompromissloses "Nein" zu Doping gehören genauso zum deutschen Spitzensport wie Leistung und Erfolg. Das Anti-Dopinggesetz, das im Dezember des letzten Jahres in Kraft getreten ist, der Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit von Spiel- und Spielwettmanipulation, das sich gegenwärtig im parlamentarischen Verfahren befindet sowie das weltweit geachtete nationale Dopingkontroll-System der vom Bund geförderten NADA zeigen, dass dies ernst gemeint ist.

Worin unterscheidet sich das künftige Fördersystem von dem gegenwärtigen?

Das gegenwärtige Fördersystem sieht für die Sportverbände vor allem eine Grund­förderung vor, die sich errechnet aus der Anzahl der Medaillen (3/5), der Wettbewerbe (1/5) und der qualifizierten Athleten (1/5). Diese überwiegend retrospektive Betrachtung ist zu eng. Zukünftig werden die Verbände bzw. die durch sie vertretenen Sportarten und Disziplinen in den Bereichen "Erfolge", "Perspektive" und "Strukturen" durch die Expertenkommission - PotAS-Kommission - bewertet. Diese Bewertungen werden in das Potenzialanalysesystem PotAS eingegeben, das sodann eine Mustererkennung und Leistungsklassifizierung der von den Spitzenverbänden vertretenen Sportarten und Disziplinen erstellt.

Worum handelt es sich bei dem Potenzialanalysesystem "PotAS"?

PotAS ist eine Software des Typs neuronales Netz. Es erkennt Muster und bildet Cluster vergleichbarer Muster. Diese Methode wird in den verschiedensten Bereichen, z.B. Kriminalistik und Spielanalyse, erfolgreich eingesetzt. PotAS bildet anhand von Attributen aus den Bewertungsfeldern "Erfolge", "Perspektive" und "Strukturen" für die einzelnen Sportarten und Disziplinen drei Cluster - Exzellenzcluster, Potenzialcluster und Cluster mit wenig oder keinem Potenzial. PotAS selbst trifft keine Bewertung oder Entscheidung. Die Leistungsklassifizierung setzt eine umfassende Evaluierung der Erfolge, Perspektiven und Strukturen der Spitzenverbände voraus. Diese nimmt eine fünfköpfige Expertenkommission (PotAS-Kommission) vor. Deren Aufgabe ist es auch, den Gesamtprozess regelmäßig zu evaluieren, insbesondere die Relevanz der Attribute zu überprüfen und ggf. Anpassungen vorzunehmen. PotAS und die PotAS- Kommission liefern mit der Clusterung eine objektivierte und transparente Grundlage für die darauf aufbauenden Strukturgespräche und die nachfolgende abschließende Entscheidung.

Wie kommt die Förderentscheidung zustande?

Nach Ermittlung der Cluster führt der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Strukturgespräche mit den Verbänden unter Einbeziehung des Bundesministeriums des Innern, der Länder, der Landessportbünde, der Partner im Service- und Forschungsbereich sowie der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Themen sind dabei u.a. die Projekte für die einzelnen Kader, die Nachwuchsförderung, das Leistungssportpersonal, Sportförderstellen bei Bundeswehr, Zoll und Polizei, die Athletenförderung durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe, die wissenschaftliche Unterstützung sowie der Sportstättenbau. Auf der Grundlage der disziplinspezifischen Fördervorschläge nach den Strukturgesprächen trifft die Förderkommission unter Vorsitz des BMI die Förderentscheidung. In ihr sind neben dem Bundesministerium des Innern, der DOSB sowie die Länder, soweit für sie finanzwirksame Entscheidungen getroffen werden, vertreten. Die Förderkommission kann zu ihren Beratungen weitere Experten hinzuziehen. Sie trifft ihre Entscheidungen einvernehmlich. Das aufgrund der verfassungs- und haushaltsrechtlicher Bindungen sowie der politischen Verantwortung bestehende Recht des Bundesministers des Innern zur abweichenden Entscheidung bleibt unberührt. Der Zuwendungsbescheid wird wie bisher durch das Bundesverwaltungsamt erstellt.

Was geschieht mit den Verbänden in Cluster 3?

Hier zugeordnete Disziplinen können grundsätzlich nicht mit einer dauerhaften Spitzensportförderung rechnen. Ggf. erforderliche Einzelfallbetrachtungen können Ausnahmen begründen.
Sofern ein Verband dadurch tatsächlich in seiner Existenz gefährdet wird, ist einzel­fallbezogen über eine "Basisförderung" zu entscheiden. Diese Basisförderung muss signifikant unterhalb der Förderung liegen, die im zweiten Cluster bewilligt worden wäre. In jedem Fall bedarf es eines sportfachlichen Ansprechpartners - z.B. durch einen Sportdirektor / einen Bundestrainer – auf Ebene des betroffenen Bundessportfachverbandes, damit die Förderung auch mittel- und langfristig zum Erfolg führen kann.
In begründeten Einzelfällen kann auch eine Spitzensportförderung in Form der Individualförderung möglich sein.
Darüber hinaus sind die Länder grundsätzlich bereit, im Rahmen ihrer bisherigen Zuständigkeit die betroffenen Disziplinen / Sportarten weiter zu fördern.
Sofern die Spitzensportförderung ausläuft, erfolgt dies durch Abschmelzung der Fördergelder unter Berücksichtigung der sachgerechten Notwendigkeiten und Belange des Verbandes.

Wird es Veränderungen bei den Olympiastützpunkten und den Bundesstützpunkten geben?

Gegenwärtig existieren 19 Olympiastützpunkte. Im Zuge der Neustrukturierung soll es zu einer Konzentration der Anzahl der Olympiastützpunkte kommen. In der Umsetzung bedeutet dies eine Reduzierung der Olympiastützpunkte auf zukünftig 13. Zudem wird vom DOSB eine Vereinheitlichung der Rechtsform für die Träger der Olympiastützpunkte angestrebt.

Bei den gegenwärtig 204 Bundesstützpunkten des Olympischen Sommer- und Winter­sports muss es ebenfalls zu einer Konzentration kommen, um die Bundesstütz­punkte künftig bedarfsgerechter ausstatten zu können. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich tagtäglich die Besten in leistungsstarken Trainingsgruppen miteinander messen. Eine bedarfsgerechte, sportfachlich notwendige Anzahl an Stütz­punkten, die gemäß den Anforderungen eines optimalen Trainings orientiert an der Weltspitze ausgestattet sind, wird angestrebt. Nun gilt es die Stützpunkte zu identifizieren, die diesen Anforderungen nicht bzw. nicht mehr gerecht werden. Erste Vorarbeiten durch den DOSB dazu sind erfolgt. Welche Bundesstützpunkte am Ende aberkannt, neu anerkannt oder erhalten bleiben sollen, wird sich erst im weiteren Umsetzungsprozess zeigen.

Ist der Spitzensport der Menschen mit Behinderung in die Reform einbezogen?

Politik und Sport bekennen sich zur Gleichstellung des Olympischen Sports und des Spitzensports der Menschen mit Behinderung. Aufgrund der spezifischen Anforderungen des Spitzensports der Menschen mit Behinderung ist es nur bedingt möglich, die angestrebte Fördersystematik auf diese Strukturen anzuwenden. Unabhängig hiervon ist die generelle Zielsetzung, den Spitzensport der Menschen mit Behinderung soweit wie möglich in die Reformen zur Spitzensportförderung einzubinden. In diesem Sinne geht es darum, unter Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten etablierte Strukturen des Spitzensports für die Athletinnen und Athleten mit Behinderung nutzbar zu machen. In den Spitzenverbänden ist insbesondere die Bereitschaft für die Integration der paralympischen Sportarten mit dem Ziel zu entwickeln, dass mittel- bis langfristig möglichst alle paralympischen Sportarten von dem jeweils zuständigen Spitzenverband verantwortet werden.

...und was bringt die Reform für die Athletinnen und Athleten, die in deren Mittelpunkt stehen?

Die Reform stellt ab auf Potenziale von Athletinnen und Athleten in einzelnen Sportarten und Disziplinen und weniger auf Verbandsstrukturen, wenngleich die Betreuung der Spitzenathletinnen und -athleten in ihren Verbänden nach wie vor unverzichtbar ist. Zugleich soll die Absicherung von Athletinnen und Athleten durch den Ausbau der Dualen Karriere und ein verbessertes Gesundheitsmanagement ausgebaut werden. Im Ergebnis soll die Reform den Spitzenathletinnen und -athleten dabei helfen, ihre Anstrengungen im Training mit einem Platz auf dem Podium zu krönen.

Wann wird die Reform ihre Wirkung zeigen?

Die Reform ist auf einen nachhaltigen Erfolg ausgerichtet. Ihre einzelnen Elemente müssen erst implementiert werden und es wird einige Zeit dauern, bis sie sich auf das Leistungsvermögen der deutschen Spitzensportlerinnen und -sportler auswirken. Dies zeigen Erfahrungen mit tiefgreifenden Reformen im Spitzensport, international wie national. Das Vereinigte Königreich brauchte 16 Jahre von der einen Goldmedaille in Atlanta 1996 bis zu den 29 Goldmedaillen in London 2012. Die deutsche Fußballnationalmannschaft brauchte ebenfalls 16 Jahre vom Aus im Viertelfinale bei der WM in Frankreich 1998 bis zum Titelgewinn in Brasilien 2014. Man muss daher damit rechnen, dass sich signifikante Effekte der Reform erst bei den Sommerspielen 2028 bzw. den Winterspielen 2026 einstellen werden und sich die volle Wirkung sogar erst danach entfalten wird. Wenn dies schon früher geschehen sollte, umso besser.