Humanitäre Aufnahmeprogramme von Bund und Ländern
Artikel Migration
Humanitäre Aufnahmeprogramme dienen insbesondere in Kriegs- und akuten Krisensituationen dazu, sichere Zugangswege für bestimmte Flüchtlingsgruppen nach Deutschland zu ermöglichen.
Sowohl der Bund als auch die einzelnen Bundesländer haben humanitäre Aufnahmeprogramme eingerichtet. Mit einem solchen Aufnahmeprogramm erklären sie sich bereit, eine bestimmte Anzahl von schutzbedürftigen Menschen aufzunehmen. Die rechtlichen Voraussetzungen für humanitäre Aufnahmeprogramme des Bundes sind in § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geregelt. Danach kann das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) "zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland"
anordnen, dass bestimmten Ausländern eine Aufnahme zugesagt wird. Der Bund setzt seit 2017 ein Aufnahmeprogramm für syrische und staatenlose Schutzsuchende aus der Türkei sowie seit 2022 das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan um.
Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan
Seit der Machtübernahme der Taliban werden viele Menschen in Afghanistan u. a. wegen ihres Einsatzes für Demokratie und Menschenrechte, ihre Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten oder internationalen Organisationen oder aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung bedroht und verfolgt.
Mit dem Ziel, ein langfristiges und strukturiertes Verfahren aufzusetzen, um weitere Aufnahmen aus Afghanistan zu ermöglichen, wurde mit dem Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan ein Verfahren geschaffen, das die Aufnahme weiterer besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen ermöglicht. Es handelt sich um die Umsetzung eines Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag.
Beim Aufnahmeprogramm wird erstmals die Zivilgesellschaft sehr eng eingebunden, um die Expertise derjenigen zu nutzen, die mit dem aufzunehmenden Personenkreis in Kontakt stehen. Mehr als 100 verschiedene Organisationen sind bereits am Programm beteiligt. Sie machen Vorschläge für Personen, bei denen es besonders naheliegt, sie in das Aufnahmeprogramm einzubeziehen.
Diese Form der Beteiligung und Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ist bisher einmalig für ein Bundesaufnahmeprogramm. Deshalb war es der Bundesregierung wichtig, dass gleichzeitig die Strukturen der zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt werden. Dafür wurde eigens eine Koordinierungsstelle der zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgesetzt. Als Brücke zur Bundesregierung unterstützt sie die vielen Organisationen, die sich am Programm beteiligen.
Humanitäres Aufnahmeprogramm aus der Türkei
In der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 haben sich die Mitglieder des Europäischen Rates mit ihrem türkischen Amtskollegen auf diverse Maßnahmen, u. a. Neuansiedlungen von syrischen Staatsangehörigen aus der Türkei in der EU verständigt. Ziel ist seitdem, die irreguläre Migration aus der Türkei in die EU zu beenden, das Geschäftsmodell der Schleuser zu zerschlagen und Schutzbedürftigen eine Alternative zu der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer zu bieten.
Das Aufnahmeprogramm für syrische und staatenlose Schutzsuchende aus der Türkei wird seit 2017 mit jährlichen Aufnahmen von bis zu 3.000 Personen umgesetzt.
Landesaufnahmeprogramme
Neben dem Bund können auch die Länder Landesaufnahmeprogramme für humanitäre Aufnahmen auflegen. § 23 Absatz 1 AufenthG sieht zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit vor, dass die entsprechenden Landesaufnahmeanordnungen des Einvernehmens des BMI bedürfen.
Einige Länder haben über eigene Landesaufnahmeprogramme Flüchtlingen vor allem aus Syrien, aber auch aus dem Irak und Afghanistan, die Möglichkeit einer legalen Einreise zu Verwandten in Deutschland eingeräumt. Erforderlich ist die Abgabe einer Verpflichtungserklärung, mit der sich die Verwandten in Deutschland zur Finanzierung des Lebensunterhalts des einreisenden Flüchtlings für einen gewissen Zeitraum verpflichten. Derzeit setzen Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen solche Programme um.
Daneben haben einige Länder eigene Programme zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Erstzufluchtsstaaten wie Ägypten, Libanon oder Jordanien ins Leben gerufen. Diese Landesaufnahmeprogramme beruhen auf einer Vorauswahl durch UNHCR und setzen eine enge Zusammenarbeit der Länder mit den jeweiligen Akteuren vor Ort, aber auch den an humanitären Aufnahmen beteiligten Stellen in Deutschland voraus. Diese Landesaufnahmeprogramme sind Teil der deutschen Resettlement-Aufnahmen im EU-Resettlement-Programm. Aktuell setzen Berlin und Brandenburg solche Aufnahmeprogramme um.
Einzelaufnahmen aus besonderen humanitären oder politischen Gründen
Das Aufenthaltsgesetz eröffnet die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Einzelfall, wenn das BMI auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes „zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschlandʺ die Aufnahme erklärt hat. Diese Möglichkeit gemäß § 22 Satz 2 AufenthG ist begrenzt auf besondere Ausnahmefälle, die von hervorgehobener politischer Bedeutung sind. In Betracht kommen beispielsweise Personen, die in besonders herausragender und langjähriger Weise in der Menschenrechts- bzw. Oppositionsarbeit aktiv waren, sie dadurch einer massiven Gefährdung ihrer körperlichen Unversehrtheit unmittelbar ausgesetzt sind und einer solchen allein durch eine Aufnahme in Deutschland nachhaltig entgehen können. Für Personen, die aufgrund ihres Einsatzes gegen den Krieg, für Demokratie und Menschenrechte oder wegen einer regimekritischen Tätigkeit in Russland, aber auch in Iran oder Belarus besonders gefährdet sind und für die ein Visum zu einem anderen Zweck nicht in Betracht kommt, haben das Auswärtige Amt und das BMI ein beschleunigtes Aufnahmeverfahren auf Grundlage von §22 Satz 2 AufenthG erarbeitet.
Es handelt sich bei Aufnahmen nach § 22 AufenthG nicht um eine allgemeine Härtefallregelung oder einen Auffangtatbestand. Es besteht zudem kein Anspruch auf die Erteilung einer Aufnahmezusage.
Verfahren für afghanische Ortskräfte und weitere Aufnahmen aus Afghanistan
Aus Fürsorge gegenüber den bei deutschen Stellen beschäftigten afghanischen Ortskräften gibt es ein besonderes Verfahren zur Aufnahme. (Ehemalige) Ortskräfte können eine Aufnahme für sich und ihre Kernfamilie auf der Grundlage des § 22 Satz 2 AufenthG erhalten, wenn eine individuelle Gefährdung aufgrund der vorherigen Tätigkeit von dem jeweils als Arbeitgeber aufgetretenen deutschen Ressort anerkannt wurde.
Als Ortskraft, für die im Rahmen des sogenannte Ortskräfteverfahrens eine Aufnahme erklärt wird, gilt, wer zum bzw. ab dem 1. Januar 2013 bis August 2021 unmittelbar in einem Arbeitsverhältnis für ein deutsches Ministerium oder mittelbar für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bei einer Institution der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit oder mittelbar für das Auswärtige Amt bei den Kulturmittlerorganisationen Deutscher Akademischer Austauschdienst, Goethe-Institut und Deutsche Welle oder bei einer politischen Stiftung gearbeitet hat und aufgrund dieser Tätigkeit unmittelbar konkret oder latent gefährdet ist.
Zudem hat die Bundesregierung im zeitlichen Zusammenhang mit den Evakuierungsmaßnahmen aus Afghanistan im August 2021 über eine Aufnahme von Personen aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Judikative, NGOs, Kultur und Medien, die aufgrund persönlichen Wirkens in Afghanistan exponiert und deshalb durch die Machtergreifung der Taliban akut besonders gefährdet waren, z. B. Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie Journalistinnen und Journalisten, entschieden. Diese Liste wurde mit Ende der Evakuierungsmaßnahmen Ende August 2021 geschlossen.
Darüber hinaus hatten sich Auswärtige Amt und BMI im Frühjahr 2022 darauf verständigt, weitere Aufnahmen für besonders dringende Einzelfälle auf der Grundlage von § 22 Satz 2 AufenthG bis zur vollständigen Etablierung des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan umzusetzen.
Über diese Verfahren hat Deutschland in den vergangenen Jahren bisher über 30.300 gefährdete Afghaninnen und Afghanen eine Einreise nach Deutschland ermöglicht (Stand August 2023).